– NETFLIX – 11.03.2022
Bei vier Drehbuchautoren sollte jeder annehmen können, dass inhaltliche Schwächen und dramaturgische Brüche weitgehend ausgemerzt wären. Tatsächlich ist das bei THE ADAM PROJECT auch so, unter Berufung auf ‚weitgehend‘. Der eigentliche Makel ist, dass diese Autoren nicht mehr mit ihrer Geschichte anzufangen wissen, als die Erwartungshaltung vorgibt. Ein überraschter Schlag auf die Sessellehne mit einem lautstarken Ausruf des Erstaunens bleibt aus. Ganz nach den Grundbedürfnissen der Handlung, teilen sich auch die Autoren auf. Tropper beherrscht das Familiendrama, Nowlin fühlt sich bei Science Fiction wohl, und Flackett und Levin sind prädestiniert für jugendliches Publikum. Ganz zufällig sind Flackett und Levin auch fleißige Netflix-Produzenten. Was sich gut anhört, wird allein mit den vier Autoren aber nicht zum gewünschten Erfolg.
Die vermeintlichen Fehler des einen, sind nur falsche Interpretation des anderen. Der emotionale Selbstschutz macht aus einem Kind einen bitteren Egoisten, weil Wut einfacher zu handhaben ist als Trauer. Die Erzählung des vom Vater enttäuschten Jungen, deren Beziehung sich erst durch widrige Umstände ins Reine bringen lässt, zieht sich durch alle Genres im Kino und im Fernsehen. Und Netflix ist eben der sonderbare Medium dazwischen, auch wenn speziell ADAM PROJECT eine Kinoauswertung verwehrt bleibt.
Weil es in ADAM PROJECT vornehmlich um Zeitreise geht, muss das Thema der verpassten Chancen zwischen Vater und Sohn auch entsprechend verpackt werden. Der Film schließt den Kreis mit der Zeitreise. Man kennt das ja aus vielen herzzerreißenden Familien-Abenteuern, die sich aus gutem Grund an Steven Spielberg anlehnen. Der vermeintlich allein gelassene Sohn findet endlich einen Mentor in ungewöhnlicher Umgebung oder Erscheinung. Er lernt, dass das Leben nicht einfach ist, und man niemals seine Mutter vergessen darf, die immer für einen da ist.
Shawn Levys Film geht die komplette emotionale Bahn. Es gibt dieses eine Problem, bei dem der dreizehnjährige Adam immer wieder scheitert, und am Ende wird er handlungsbedingt genau dieses Problem lösen. So wie er am Ende endlich auch seine Mutter zu schätzen weiß. Denn Adam lernt seine Lebenslektionen nur vom Besten, von sich selbst. Der vierzigjährige Adam kommt aus dem Jahr 2050 nach 2022, weil er die Erfindung der Zeitreise verhindern muss. Und der verantwortliche Wissenschaftler ist ausgerechnet sein Vater. Das er dazu die Hilfe seines jüngeren Ichs benötigt, versteht sich von selbst.
Wer an dieser Stelle nach Verräter-Warnung schreit, hat noch nie mit Filmen zu tun gehabt. Der Film trägt seine Prämisse schon so aufdringlich vor sich her, dass es nach der Eingangssequenz für die restliche Laufzeit keine inhaltlichen Überraschungen mehr geben wird. Inhaltlich nicht. Selbst inszenatorisch hat Regisseur Levy die Spielberg-Flagge ganz hoch gehängt. Das Mutter-Sohn-Szenario, dass idyllische Haus in friedvoller Lichtung, der typische Familienhund Hawking, und nicht zu vergessen die Bildgestaltung.
ADAM PROJECTs Tobias Schliessler hält sich in Ausleuchtung, Farbgestaltung, und Auswahl der Brennweiten ziemlich genau an das, was Spielberg von Allen Daviau und Vilmos Zsigmond bei seinen Filmen so schätzen gelernt hat. Und genau das ist heute Standard, wenn man mit dem sogenannten ‚Spielberg-Look‘ die 1980er Ästhetik kopieren will. Die meisten vergessen aber selbstverliebt, dass dazu mehr gehört als nur die Optik. Shawn Levy hingegen beweist sich nicht nur als gelehriger Schüler, sondern als selbstständiger Künstler.
Man hat das alles schon gesehen, irgendwie. Es ist natürlich ein Film mit Ryan Reynolds, und darauf baut der Film letztendlich auf. Vielmehr mit zweimal Reynolds. Eine wunderbare Entdeckung ist Walker Scobell als pubertierende Ausgabe von Reynolds Adam Reed. In seinem Debüt hat der Jungdarsteller wenig Möglichkeiten mit schauspielerischen Facetten zu brillieren, aber er ist das perfekte Abbild des ständig unter Strom stehenden Reynolds. Er gibt einen frechen Spruch nach dem anderen zum Besten, hört nicht auf andere, und bekommt lieber Schläge als verbal zurückzustecken.
Reynolds und Scobell schenken sich nichts, und darauf ist der Film auch aufgebaut. Es ist eine wahre Freude, und macht ADAM ROJECT zu einem sehr kurzweiligen Spaß. Wenn dann im letzten Akt auch noch Mark Ruffalo als Vater Louis dazu kommt, weiß man von wem Adam seine lose Zunge geerbt hat. Es ist eine ungewöhnliche Rolle für Ruffalo, die er mit angemessenen Charme glaubwürdig macht. Und vor allem spürt man förmlich seine Spielfreude.
„Ich erzähle dir das Zeitreisen möglich sind , und du interessierst dich nur dafür ob du flach gelegt wirst?“
Mit seinen eingeschränkten Mitteln, funktioniert ADAM PROJECT als Science Fiction Abenteuer ganz gut. Typisch für Netflix-Produktionen sind entweder exotische, weil preisgünstigere Länder, oder wie in diesem Fall ländliche Drehorte ohne kostenintensive Großstadtaufnahmen. Was das Drehbuch sehr plausibel umgesetzt hat. Und die visuellen Effekte halten sich gedeckt. Wenn aber das Effekte-Budget genau auf die richtigen visuellen Tricks ausgerichtet ist wie hier, dann ist das perfekt.
Jetzt sind Zeitreisen immer so eine heikle Angelegenheit. Hier gibt es aber keine Zeitreisen um die Quantum-Nerds zu befriedigen, sondern um eine unterhaltsame Geschichte funktionieren zu lassen. Die abstrakten Komplikationen mit dem Für und Wider, den Möglichkeiten und dem Widersprüchlichem, haben die Macher angemessen gelöst und verständlich umgesetzt. Es muss auch nicht immer die Offenbarung sein, gerade wenn das Herz am rechten Fleck ist. Und Shawn Levy hat gerade zusammen mit Ryan Reynolds einen sehr gesunden Herzschlag. THE ADAM PROJECT ist sicherlich keine Wiederholung von FREE GUY, dennoch überzeugend in all seinen wunderbaren Facetten.
Darsteller: Ryan Reynolds, Walker Scobell, Mark Ruffalo, Jennifer Garner, Zoe Saldana, Catherine Keener, Alex Mallari Jr. u.a.
Regie: Shawn Levy
Drehbuch: Jonathan Tropper, T.S. Nowlin, Jennifer Flackett, Mark Levin
Kamera: Tobias Schliessler
Bildschnitt: Jonathan Corn, Dean Zimmerman
Musik: Rob Simonsen
Produktionsdesign: Claude Paré
USA / 2022
106 Minuten