Produzentin mit Herz
Spricht man von der einflussreichsten Frau in Hollywood, dann drängt sich sofort ein Name auf: Julia Roberts. Nicht nur, dass sie einflussreich wäre, sondern sie ist zudem mit einer gewissen Ansehnlichkeit gesegnet und hat ein paar Dollar auf der hohen Kante. Forbes spricht von 140 Millionen Dollar, da könnte man sich schon eine Doppelhaushälfte leisten.
Roberts war bis vor wenigen Jahren die am besten bezahlte Schauspielerin der Welt, lag zwar stets hinter ihren männlichen Kollegen Hanks, Cruise und Schwarzenegger zurück, aber bei 25 Millionen Gage für einen Film ist das trotzdem nicht so übel. Eingependelt hat sich Julia jetzt bei 15 Millionen. Damit hat sie die Jolie etwas überholt oder zumindest gleichgezogen. Aber Angelina ist noch lange nicht so erfolgreich und einflussreich wie unsere Julia. Ah, da ist er wieder, der Einfluss. Tatsächlich war bis jetzt nicht einmal Julia Roberts die einflussreichste Frau Hollywoods. Diese Ehre wird wohl eindeutig Sherry Lansing zuteil.
„Ich wollte (in meinem Leben) ein drittes Kapitel, bei dem es sich ums Zurückgeben dreht und um die Dinge, welche mich beschäftigen, und ich wollte auch viel Spaß dabei.“
In Zeiten wie diesen muss man sich grundsätzlich mit Fragen auseinandersetzen, deren Priorität zuerst weit weg scheint. Im Fall Sherry Lansing wäre die Frage, wer sie denn in einer Biografie darstellen könnte. Julia Roberts höchstwahrscheinlich nicht. Und Angelina Jolie, na ja. Da fragt sich die Frohnatur natürlich erst einmal, wer denn Sherry Lansing überhaupt ist, obwohl ihr der Name vielleicht schon einmal aufgefallen ist. Vorausgesetzt, man neigt dazu, auch mal die Sonntagsbeilage zu lesen.
Als Film-Interessierter und Liebhaber höherer Filmkunst zieht man schnell den Kopf ein, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Sherry Lansing Präsidentin eines Filmstudios und Produzentin war. Jawohl, sie war der Feind. Sie war eines jener undurchsichtigen Subjekte, die Regisseure bestimmen, Schauspieler feuern und Bücher nicht so verfilmen lassen, wie es der Fan gerne hätte.
Die 1944 in Chicago als Sherry Lee Heimann geborene Lansing war jene Art von Feind, die Kinofreunde mit Werken wie ANGEKLAGT oder FORREST GUMP oder auch BRAVEHEART belästigte. Genau diese Frau wollte schon von Kindheit an Schauspielerin werden. Sie verfolgte dieses Ziel nicht aggressiv, aber mit Bestimmtheit, wie sie es sich von ihrer Mutter abgeschaut hatte, die nach dem plötzlichen Tod des Vaters den Blick konsequent nach vorne richtete.
Nach ihrem Studium, welches sie cum laude in Mathematik, Theaterwissenschaften und Englisch abschloss, lehrte sie selbst erst für vier Jahre. Bildung war mehr als nur ein Steckenpferd für Sherry Lansing. Und ist es noch heute. Nichts bereitet ihr mehr Freude, als von Universitäten eingeladen zu werden, um am Jahresende die Abschlussrede zu halten. Es ist daher fast selbstverständlich, dass sie in vielen Vereinen und Organisationen ehrenamtlich tätig ist und in manchen sogar den Vorsitz führt. Erziehung, Bildung, Ausbildung. Bis heute begleitet sie diese Leidenschaft, und leidenschaftlich setzt sie sich dafür ein.
Für Frauen war die Karriereleiter zu den Führungsebenen im Filmgeschäft schon immer steil, meist schwer begehbar und oftmals angesägt. Aber was kümmerte dies Sherry Lansing, die schnell die Drehbuch-Abteilung bei MGM leitete und noch schneller Vize-Präsidentin der Kreativ-Abteilung von MGM wurde. Bereits 1977 wechselte sie zu COLUMBIA PICTURES in die Position der stellvertretenden Produktionschefin. 1980 dann der große Tusch, Produktionschefin bei TWENTIETH CENTURY-FOX. Das hielt bis 1983, wo Lansing mit Stanley Jaffe eine eigene Produktionsfirma gründete. Der wiederum stieg 1991 aus, um zu PARAMOUNT zu gehen. Ein Jahr später holte Jaffe seine Ex-Partnerin nach und brachte sie dazu, die Geschäftsführung von PARAMOUNT PICTURES zu übernehmen.
Sherry Lansing ging ihren Weg konsequent und mit klaren Vorstellungen. Schon in den vier Jahren nach ihrem Abschluss, in denen sie selbst unterrichtete, wurde sie nebenher Model unter anderem für Max Factor und verfolgte weiterhin den Traum der Schauspielerei. Erfüllung fand Lansing 1970, als sie zuerst neben George Segal in LOVIN zu sehen war und im gleichen Jahr an der Seite von John Wayne in RIO LOBO spielte. Doch als sie merkte, dass sie nicht dieselbe Leidenschaft für das Schauspiel aufbrachte wie für die anderen Dinge, mit denen sie sich sonst beschäftigte, beendete Sherry Lansing einfach ihre Schauspielkarriere, bevor sie richtig begonnen hatte. Ihr Traum war in Erfüllung gegangen, stellte sich aber als unbefriedigend heraus. Der stete Blick nach vorne war ungebrochen und damit der Grundstein für eine beispiellose Karriere gelegt.
Eine klassische Karrierefrau war Sherry Lansing nie. Sie wollte schlichtweg machen, was ihr gefiel, wofür sie ein Gespür hatte, in Bereichen, in denen sie sich wohl fühlte. Und somit wurde sie eben anfangs die erste Frau an der Produktionsspitze eines Studios, um dann bei PARAMOUNT als erste Frau die Studioleitung zu übernehmen. Noch bei COLUMBIA, wo sie sich stets einen Posten in der Führungsebene erarbeiten wollte, hielt man dies für unmöglich und lehnte sie mit der Begründung ab, dass sich eine Frau nie bei den Männern durchsetzen könnte.
Dass sie mit 60 Jahren ihren Traumjob abgegeben hat, begründete Sherry Lansing mit ihrem jungen Alter und vertrat die Meinung, dass dieses Alter eine Generation zuvor noch als Rentenalter bezeichnet worden war. Heute sind diese Zeiten für sie vorbei. Sherry läutete ihren selbst so bezeichneten „dritten Lebensabschnitt“ damit ein, dass sie die Sherry Lansing Foundation zur Erforschung von Krebstherapien gründete.
Aber damit längst nicht genug. Die einzelnen Organisationen aufzuzählen, bei denen sie Mitglied ist oder sogar den Vorsitz führt, würde den Rahmen sprengen. Doch alles, was mit Bildung und Erziehung zu tun hat, findet ihr Interesse. Sogar im Dunstkreis des kalifornischen Gouverneurs und seiner Gremien für Bildungspolitik ist sie vorne mit dran. Und selbstverständlich finden sämtliche Vereine und Organisationen zur Krebsbekämpfung ihre Mithilfe.
Erst als der Krawallmacher Joe Eszterhas seine selbst verfasste Biografie veröffentlichte, kam Lansing so etwas wie einem Skandal nahe. Dieser behauptet in seinem Buch, dass Lansing als PARAMOUNT-Vorsitzende von ihm als Drehbuchautor eine Stellungnahme erwartete, dass er die Besetzung von William Friedkin als Regisseur für JADE unterstützen würde. Aber Eszterhas wollte ausgerechnet jenen Friedkin eben nicht als Regisseur, angeblich. Friedkin und Lansing hatten vier Jahre vorher geheiratet (und sind bis heute glücklich), und Vorteilnahme wäre ein durchaus berechtigter Vorwurf gewesen. Wer Eszterhas‘ offensichtlich übertriebene und teils widersprüchliche Memoiren gelesen hat, kann sich zum Wahrheitsgehalt eine eigene Meinung bilden.
Zwar behaupten viele Artikel, Sherry Lansing hätte bei einem Unfall ein Bein verloren und trage eine Prothese, doch tatsächlich stand sie nur (?) sehr knapp vor einer Amputation. Das war während ihrer Zeit bei COLUMBIA, und es stand wirklich nicht gut um Sherry. Das war allerdings ein Vorfall, der sie nach ihrer anstrengenden Rehabilitation nur noch darin bestärkte, ihre Karriere intensiver zu verfolgen. Was ja dann auch ihren Weg zu CENT-FOX begünstigte.
Um ihre Beliebtheit verständlich zu machen und die ihr zugedachte Anerkennung zu verdeutlichen, sollte man auf ein Sinnbild zurückgreifen, das auch mit Hollywood zu tun hat. Sie ist die erste Person, die als Kopf eines Studios auf dem Hollywood Walk of Fame mit einem Stern geehrt wurde. Das mag was heißen und würde eine Verfilmung ihres Lebens fast schon voraussetzen.
Die letzte Dialogzeile ihrer Biografie, vielleicht von Zooey Deschanel gespielt, könnte dann ein Original-Zitat sein:
„Bei mir hat alles ein gutes Ende genommen, mit all den Sachen, die du dir erträumst.“