SPECTRE – Bundesstart 05.11.2015
Tag der Toten in Mexico City. Die Kamera schwebt über das Treiben der Menschenmassen, taucht in die Parade, fokussiert kurz einen Mann mit Totenkopfmaske und Skelett auf dem Smoking, geht weiter und greift einen anderen Mann auf, folgt ihm auch nur kurz. Der Mann mit der Totenkopfmaske kommt wieder ins Bild, nimmt seine Begleiterin bei der Hand. Offensichtlich haben sie auf den anderen Mann gewartet. Sie gehen durch die Parade in eine andere Richtung, in eine Hotellobby, hinauf in den ersten Stock. Hier werden sie von der Kamera überholt, der Mann nimmt die Maske ab, es ist Bond. Die Kamera nun vorneweg, geht Bond sofort weiter, nimmt sich ein Gewehr vom Tisch, auf den Balkon, steigt über das Geländer, geht über das Dach zu einer Mauer, wo die Kamera wieder hinter Bond gleitet. Man sieht über die Straße in ein anderes Gebäude, und erkennt dort den Mann vom Anfang. Damit endet eine der aufregendsten, weil dynamischsten Plansequenzen, die ein Mainstream-Blockbuster je produziert hat. Und stellt dabei selbst Brian De Palmas aufwendig choreografierte Fünf-Minuten-Einstellungen in einen tiefen Schatten.
Man hätte sich gewünscht, das auch der weitere Verlauf in einer einzigen Einstellung geblieben wäre. Doch dazu wäre für die folgende Action lediglich der Einsatz von Computern möglich gewesen. Und ein Herausstellungsmerkmal in dieser Filmserie ist nun einmal der Kräfte verzehrende Einsatz wirklicher Stunt-Arbeit. Vorausgesetzt, soweit möglich. Und wenn dann schließlich Sam Smith‘ seine nicht sehr rühmliche Ballade anstimmt, ist der Zuschauer sehr dankbar, wieder einmal Luft holen zu können. Es ist die wahrscheinlich nicht nur aufwendigste, sondern auch atemberaubendste Pre-Titel-Sequenz eines Bond Filmes. Aber weit gefehlt, wer glaubt, damit hätte SPECTRE sein Pulver schon verschossen. Das MI6 ist unter politischem Beschuss, und soll abgeschafft werden. Nicht mehr der 00-Agent soll die Welt retten, sondern Informationen. Die Geheimdienste dieser Welt schaffen ein Netz an Datenaustausch. M hat alle Hände voll zu tun, gegen diese neu geschaffene Behörde anzugehen. Dabei ist Bond keine große Hilfe, der dem Gegner jede Argumentation liefert, warum der MI6 abgeschafft werden muss. Denn eine Botschaft aus der Vergangenheit, lässt den Geheimagenten eigenmächtig und ohne Rückendeckung agieren, um die Drahtzieher einer weltweit operierenden Organisation aufzuspüren.
Barbara Broccoli und Michael Wilson haben nicht nur großen Mut bewiesen, sondern auch ein sehr feines Gespür. Mit einem neuen Bond-Darsteller auch gleich den Charakter auf Null zu setzen, wurde sehr umstritten aufgenommen. Der Schauspieler selbst sah sich ungerechtfertigter Kritik ausgesetzt. CASINO ROYALE hätte zu einem Desaster werden können, was allerdings ebenso ungerechtfertigt gewesen wäre. Und mit SKYFALL glaubte man die dreiteilige Entwicklung des Charakters abgeschlossen gesehen zu haben. Broccoli und Wilson haben auf das richtige Pferd gesetzt. Bond ist angekommen wo man seinen Charakter auch sehen wollte, bestellt nun auch seinen Martine ordentlich, geschüttelt, nicht gerührt. Aber der große Bogen der die ersten drei Filme zusammenhielt, wurde noch einmal erweitert. Und dabei gelang es den Machern sehr gut, einen eigenständigen Film zu schaffen, der sich allerdings auch sehr gut in eine fortlaufende Reihe integriert. Und wer etwas aufpasst, wird auf die nicht abwegige Idee kommen, dass es einen fünften Teil geben könnte.
SPECTRE ist ganz großes Kino, das dem Vermächtnis der längsten Kino-Reihe absolut gerecht wird. Auch wenn es natürlich Abstriche gibt. So ist C kein sehr starker Charakter, und Darsteller Andrew Scott selbst nicht so charismatisch um die Rolle wenigstens mit Präsenz auszufüllen. Aber genauso Christoph Waltz, der versucht mit seiner hinlänglich ausgereizten Jovialität zu glänzen. Und so gerne man auch einen schönen Sportwagen sieht, hätte die Autorverfolgung durch Rom durchaus mehr Gimmicks mit zu überwindenden Hindernissen vertragen können. Dafür gibt es einige sehr deftige Zweikämpfe, in denen Regisseur Sam Mendes den Zuschauer förmlich spüren lässt, welchen physischen Belastung die Darsteller während der jeweiligen Dreharbeiten ausgesetzt waren. Leider nahm Hoyt Von Hoytema die Kamera etwas zu oft vom Stativ. Allerdings fängt das Lee Smith‘ Bildschnitt fantastisch auf, dass der Zuschauer auch wirklich nicht den Überblick verliert, und er die aufwendigen Stunts auch in ihrer Gänze bewundern kann. Sam Mendes weiß genau wie seine Szenen am besten funktionieren. In den ruhigeren Sequenzen bleibt er stets auf den Charakteren konzentriert, und lässt das umgebende Setting fast schon ausgeblendet. Dazu gönnte er sich und dem Zuschauer mit Craig und Monica Bellucci einer der erotischsten Szenen in der Reihe.
Thomas Newman schrieb dafür einen sehr treibenden Soundtrack, der selbst in Dialogszenen immer ein unterschwelliges Tempo aufbaut, und die Spannung hält. Die Melodie des Titelsongs hat er auch dieses Mal nicht in seine Themen einfließen lassen, lediglich eine Instrumentalversion von ‚Writings On The Wall‘ geschrieben. Doch die wirkliche Sensation ist die Dolby 7.1 Tonmischung. Selbst leiseste Geräusche werden nicht vom Action getriebenen Bass unterdrückt. Die verschiedenen Tonebenen sind klar voneinander getrennt und auch so hörbar, und die Töne und Toneffekte stimmen perfekt mit der visuellen Vorgabe überein. Es gibt nicht wenige Momente, wo der Zuschauer um die Statik des Auditoriums bangen wird. Aber genau so macht Kino auch wirklich Freude. Da kann Logik ruhig einmal hinten anstehen, wenn die einzelnen Gewerke nicht einfach nur perfekt arbeiten, sondern dies auch zu einem perfekten Zusammenspiel bringen. Da wird es für das Gespann Broccoli und Wilson ziemlich eng in ihrem Sandkasten. Die kontinuierliche Steigerung der vorangegangenen drei Bond-Filme, ließ für SPECTRE nicht mehr viel Raum. Aber diesen Raum hat Sam Mendes mit seinen vier Drehbuchautoren genutzt.
Darsteller: Daniel Craig, Léa Seydoux, Ralph Fiennes, Monica Bellucci, Ben Wishaw, Naomie Harris, Dave Bautista, Jesper Christensen Rory Kinnear, Christoph Waltz u.a.
Regie: Sam Mendes
Drehbuch: John Logan, Neal Purvis, Robert Wade, Jez Butterworth
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Bildschnitt: Lee Smith
Musik: Thomas Newman
Produktionsdesign: Dennis Gassner
Großbritannien – USA / 2015
148 Minuten