Einen Film gerecht zu besprechen, verlangt journalistische Tiefe und persönliche Distanz. Einen Film wie RUBBER zu besprechen, hebt die persönliche Distanz komplett auf. Quentin Dupieuxs One-Man-Show lässt das Autorenkino weit hinter sich, und überfällt den Zuschauer im Sinne eines sehr frühen John Waters, vielleicht sogar gleich den Ergüssen Warhols. Im Festival-Zirkus war RUBBER einem Freude kreischenden Publikum ausgesetzt. Ein Publikum, das es unmöglich macht die persönliche Distanz zu wahren, oder das Objekt in seiner Gänze objektiv zu bewerten. So bleibt es eine rein persönliche Einschätzung, dass es eine Schande ist, das diese absurde Reflektion über das Kino, keine wirkliche Kino-Auswertung erfahren darf, und stattdessen direkt dem DVD-Markt überlassen wird.
Fast jede Szene lässt den Zuschauer nach dem Grund der selbigen fragen. Kein Grund. Warum ist E.T. braun? Warum verlieben sich die Figuren in LOVE STORY? Warum wird in Stones JFK Kennedy von einem Unbekannten erschossen? Gleich zu Beginn klärt Stephen Spinella das Publikum auf, das jeder Film das Element ‚ohne Grund‘ aufweist. Die Frage nach JFK allerdings, müsste von logischer Seite aus gestrichen werden, doch hebt sie hervor, was RUBBER am Ende ausmacht. Bei diesem Film ist jede Sequenz ein Element der Willkür.
Ein ausgedienter Reifen erhebt sich aus dem Wüstensand und rollt zuerst ohne Grund vor sich hin. Bis Robbie (Der Titelabspann benennt den Reifen fälschlicherweise als Robert, im Film selbst hat er keinen Namen.) seine Fähigkeit entdeckt, Dinge explodieren lassen zu können. Vornehmlich menschliche Köpfe. In einem Wüstenkaff verliebt sich der Reifen in ein Mädel, das auf Durchreise in einem Motel unterkommt. Da nimmt sich auch Robbie ein Zimmer, duscht, und sieht Autorennen im Fernsehen.
Wer denkt es ist absurd, der sollte bedenken, dass das Publikum nicht nur vor der Leinwand sitzt, sondern RUBBER sein Publikum gleich selbst mitgebracht hat, das mit Ferngläsern in der Wüste steht, und das Geschehen um Robbie live beobachtet. Das Absurde ‚ohne Grund‘ wird dann plötzlich zu einer Meditation über das Verhältnis von Industrie zu Publikum. Eine höchst französische Sicht auf die Dinge, bei der der zahlende Zuschauer von der Einfallslosigkeit des Mainstream vergiftet wird. Im übertragenen Sinne gilt dies fürs wirkliche Leben, das Publikum innerhalb des Films stirbt tatsächlich an Vergiftung. Was bleibt ist ein kritischer Gast, der sich nicht vom spendierten Essen der Produzenten verführen lässt, und hartnäckig am Plot herum mäkelt.
Aber Kritiker sind die Feinde des Kommerzes, denn sie lassen kein gutes Haar am Drang zum Verdienen. Die Inkarnation von Robbie will sich aber die Chance auf Ruhm und Fortsetzung nicht nehmen lassen, nicht innerhalb der eigenen Handlung. Für alle ängstlichen Gemüter muss gesagt werden, dass Robbie der Reifen nicht das Zeitliche segnet, für entsprechende Szene wurde ein Dummy verwendet.
Man kann Dupieux Genialität bescheinigen, man kann ihn des Schwachsinns bezichtigen. RUBBER nimmt sich aus jeder objektiven Betrachtung heraus. Nur die Bilder sind brillant, da herrscht kein Zweifel. So was sollte man im Kino sehen können, wie der Filmemacher seine kargen Landschaften, seine von Sonne überstrahlten Sets in Szene setzt. Da haben Festivalbesucher zum Glück wieder mal die Nase vorn gehabt. Aber muss man so einen absurden Aufsatz über Fähigkeiten und Unfähigkeiten des Kinos auch wirklich dort erleben? Es ist endlich wieder einmal ein Film, der sich darauf konzentriert Köpfe der Protagonisten platzen zu lassen. Das ist doch herrlich, wie abgeschossene Melonen, grandios. Das wäre doch ein Grund, einen Film zu sehen, der sich jedem Grund verweigert.
Darsteller: Stephen Spinella, Roxanne Mesquida, Jack Plotnick, Ethan Cohn, Charley Koontz, Tara O’Brien, mit Wings Hauser und Robbie, der Reifen
Regie, Drehbuch, Bildschnitt, Kamera: Quentin Dupieux – Musik: Gaspard Auge, Mr.Oizo (Dupieux)
Frankreich/2010 – zirka 82 Minuten