IT FOLLOWS – Bundesstart 09.07.2015
Die Regeln im Teenage-Slasher sind seit Jahrzehnten definiert. Es überlebt die Figur, die mit reinem Herzen auf Sex verzichtet hat. John Carpenter war einer der Mitbegründer dieser Klischees. Und David Robert Mitchell macht unmissverständlich klar, wo die Vorbilder für seinen innovativen Horrorfilm zu finden sind. Auch Carpenter ließ Jamie Lee Curtis verklärt aus dem Klassenzimmer blicken, wo sich draußen unvermittelt das Böse zu erkennen gab. Mitchell wiederholt diese Sequenz, während hier die Lehrerin T.S. Eliot zitiert. Das macht natürlich wissbegierige Fans neugierig, denn manchmal können Horrorautoren auch sehr verwegene Spuren legen. Das Gedicht ‚Das Liebeslied von J. Alfred Prufrock‘ ist im Internet nicht zu finden, nur unendlich viele Auslegungen über dessen Inhalt und Aussage. Es soll um Angst gehen, um Selbstfindung, die Unsicherheiten im Leben, die Quintessenz des Scheiterns. Das Gedicht ist schwer zu interpretieren, oder lässt viele Interpretationsmöglichkeiten. Der Dichter Eliot hat sich dabei an verschiedenen, älteren Dramatikern und Autoren angelehnt. David Robert Mitchells Film ist von diesem Gedicht ein perfekter Abzug.
IT FOLLOWS erzählt die Geschichte von Jay, einer jugendlichen, schüchternen Schönheit. Ihre neuer Freund Hugh ist ein liebevoller und charismatischer All-American-Guy. Eine perfekte Paarung, die zu spontanem Sex führt. Doch alles lag im Kalkül von Hugh, der mit dem Akt eine Art Dämon auf Jay übertragen hat. Fortan verfolgen geisterhafte Gestalten das Mädchen, und sollten diese Gestalten es schaffen, sie zu erreichen, hätte das einen grauenvollen Tod zur Folge. Die erste logische Konsequenz wäre natürlich, schnellstmöglich mit einer unwissenden Person Sex zu haben. Doch gibt es einen Haken, schafft es der Dämon an ein Opfer heran zu kommen und es tötet, springt dieser wieder auf den vorangegangenen Sexpartner zurück.
David Robert Mitchells Film war nicht der unumstößliche Liebling der Genre-Festivals in den Jahren 2014 und 2015. Allerdings war IT FOLLOWS der Film, der zu beiden Teilen Kritiker und Fans gleichermaßen berührte und begeisterte. Es war der Film, dem durch den Festival-Zirkus eine gefestigte Reputation erlangte, um über die Genre-Grenzen hinaus Aufmerksamkeit zu erlangen. Und dies zu recht. Denn IT FOLLOWS könnte genauso Coming-of-age-Drama sein, wie spukende Monstershow. Letztendlich ist es beides, sehr raffiniert ineinander verwoben. Mal bedient er sich Genre-Klischees, um diese an anderer Stelle wieder zu brechen. Zuerst scheint es, dass der Sex habende Teenager dieses Mal der Glückliche sein sollte. Doch letztendlich ist es erneut der promiskuitive Charakter, der daran glauben muss. Und genauso geschickt hat Mitchell sein Drehbuch geschrieben und inszeniert, dass eine klare Grenze von Recht und Unrecht, von Sein und Schein im Verlauf der Handlung überhaupt nicht klar zu erkennen ist.
Hinzu kommt, dass Mitchell sehr viel Wert auf die Ausarbeitung der Figuren gelegt hat, und diese stets dem Handlungsverlauf bevorzugt. So vergeht erst einmal eine Viertelstunde, bevor man glaubt, das etwas handlungsrelevantes passieren würde. Dabei sind schon die ersten fünfzehn Minuten die eigentliche Grundlage für den Film. Es ist die Charakterisierung von Maika Monroes Jay, die als gleichermaßen männermordende Schönheit, aber auch schüchterner High-School-Außenseiter den Zuschauer an sich binden kann. Ihr kleiner Kreis von Freunden, bildet einen typischen Querschnitt von Amerikas Jugend, aber keine Stereotypen. Es sind glaubwürdige Figuren, weil von den Darstellern sehr gut gespielt. Ein verstohlener Blick hier, eine kurze Berührung dort. Regisseur Mitchell kann seine Schauspieler sehr gut inszenieren, und bringt mit ihnen für einen Horrorfilm ungewöhnlich viel Gefühle in die Handlung ein. Natürlich können die Freunde Jays Geschichte erst einmal nicht glauben. Doch erwächst in ihnen eine Ahnung, sie verstehen nicht den Auslöser für Jays Panik, aber sie verstehen diese nagenden Ängste. Sie alle sind am erwachsen werden.
Mike Gioulakis‘ Bilder sind sehr manipulative Einstellungen. Meist zitiert er mit seinem Bildaufbau die Gestaltung der Vorbilder aus den 70er und 80er Jahren. Wechselt aber immer wieder der Handlung dienlich, die Form der Perspektiven. Ist IT FOLLOWS ein in sich schon äußerst eigenständiger Film, präsentiert er sich gleichzeitig als tiefe Verbeugung vor den Klassikern. Am auffallendsten ist hier Rich Vreenlands Elektro-Soundtrack. Der als Disasterpeace aufgeführte Musiker, erinnert sehr stark an Carpenters eindringliche, aber reduzierte Themen, ohne diese allerdings zu kopieren. Disasterpeace lässt hören, wie sich Carpenters Musik weiter entwickelt haben müsste, um noch immer eigenständig zu klingen, aber zeitgemäß zu sein.
Der Film entzieht sich geschickt jeder zeitlichen Einordnung. Im Fernseher laufen nur alte schwarzweiß Klassiker, und es gibt mehr ältere Automobile als moderne. Freundin Yara hingegen liest auf einem Reader, der im Design überhaupt nicht zuzuordnen ist, die Wortwahl in den Dialogen ist auffallend zurückhaltend. Somit reduziert und fokussiert IT FOLLOWS seine Geschichte auf Charaktere und das Wesentliche der Handlung. Erzeugt wird damit eine intensive Spannung, welche der Regisseur anfangs erst gar nicht vermuten lassen möchte. Nach einem wirklich unheimlichen Intro, gewährt der Ablauf seinen Figuren erst einmal viel Zeit zur Entfaltung. Doch dann zieht der Horror unvermittelt an. Es gibt sehr viele, sehr gelungene Schockmomente, doch am effektivsten funktioniert der Film mit seinen Spannungssquenzen. Wenn die dämonischen Gestalten, von anderen unbemerkt, langsam auf Jay zulaufen, dann überträgt sich die aufbauende Angst durchaus auch auf den Zuschauer.
Letztendlich kann man nicht abschätzen, was tatsächlich passieren wird, wo ähnlich konzipierte Filme einem absehbaren Schema folgen. Was bei IT FOLLOWS anders ist, dass die Charakter-Entwicklung auch mit der Handlung weiter geht. Nicht etwa, dass jemand überraschend über sich hinaus wächst, sondern sich die Beziehungen innerhalb des Freundeskreises intensivieren. Somit schafft der Regisseur nicht nur Gruselsequenzen mit dem eigentlichen Monster, sondern erzeugt eine zusätzliche, spekulative Spannung mit der Entwicklung der Figuren. Und um eine überraschende Wendung kommt auch IT FOLLOWS nicht herum, und stellt die Frage nach einer kollektiven Hysterie. Es ist eben wie T.S. Eliots Gedicht ‚Das Liebeslied von J. Alfred Prufrock‘. Der Autor und Regisseur bleibt soweit konkret, dass man der Handlung sehr gespannt folgt. Es bleibt aber auch immer wieder viel Spielraum für Spekulationen und Interpretationen.
Darsteller: Maika Monroe, Keir Gilchrist, Daniel Zovatto, Jake Weary, Olivia Luccardi, Lili Sepe u.a.
Drehbuch & Regie: David Robert Mitchell
Kamera: Mike Gioulakis
Bildschnitt: Julio C. Perez IV
Musik: Disasterpeace
Produktionsdesign: Michael Perry
USA / 2014
100 Minuten