RUN ALL NIGHT – Bundesstart 16.04.2015
Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, da spielte Liam Neeson die Rolle eines MICHAEL COLLINS, oder die des Oskar Schindler. Das scheint eine Ewigkeit zurück. Jetzt schießt und prügelt sich Neeson quer durch die Action-Landschaft. Jeder Film macht den Eindruck eines Aufgusses des Vorangegangenen. Der unterschätzte Alte, der den überraschten Jungen zeigt, was Faust und Treffsicherheit tatsächlich anstellen können. RUN ALL NIGHT fügt sich dabei mühelos ein in die Serie von der TAKEN-Reihe, über NON-STOP, bis hin zu THE GREY. Das die Zuschauer dabei nicht müde werden, Liam Neeson immer wieder im selben Action-Stakkato zu sehen, liegt an dem Schauspieler selbst. Seine unglaubliche Präsenz erfüllt einfach jeden Film mit einnehmender Energie.
Einst war Jimmy Conlon einer der angesehensten, weil effektivsten Killer in der Unterwelt. Sein bester Freund ist Shawn Maguire, der einflussreichste Boss in New York. Jetzt ist Jimmy ein versoffenes Wrack, was ihm Shawn nachsieht. eide haben Wege gewählt, bei denen es weder ein Zurück, noch Erlösung gibt. Und beide fürchteten, dass es einen Tag geben würde, wo sich die Grenzen überschneiden würden. Aus purem Zufall gerät Jimmys Sohn Mike auf die Abschussliste von Shawns Sohn Danny. Und hier überschneiden sich die Grenzen, als Jimmy gezwungen ist, den Sohn seines besten Freundes zu töten, um seinen eigenen Sohn zu retten. Doch letztendlich ist Shawn Maguire nicht bereit, den Kodex für eine derartige Situation zu akzeptieren. Eine gnadenlose Jagd beginnt auf Vater und Sohn Conlon, die dadurch erschwert wird, dass die Polizei absolut in Maguires Hand ist.
Es ist die dritte Zusammenarbeit von Neeson mit Regisseur Jaume Collet-Serra, nach NON-STOP und UNKNOWN. Und der Regisseur weiß was er an dem irischen Ausnahmedarsteller hat. Das er sich dann auch noch ein Urgestein wie Ed Harris ins Boot holte, macht schnell klar, dass Collet-Serra sehr wohl einen überzeugenden Action-Film inszenieren wollte, aber diesen mit packenden Charakterstudien zu einem Werk mit Tiefgang gestalten wollte. Das ausgerechnet in dieser Nacht Jimmy Conlon mit steigendem Alkoholgenuss immer nüchterner wird, ist ein fragwürdiges Detail, dass man dabei verschmerzen muss. Aber Harris und Neeson sind derart starke Persönlichkeiten, dass selbst eine nicht wirklich stimmige Geschichte wie RUN ALL NIGHT, durch diese Charakterköpfe eine unerwartete Glaubwürdigkeit bekommt. Es gibt eine Restaurant-Szene, die sehr stark an Pacinos und De Niros Unterhaltung in Michael Manns HEAT angelehnt ist. Zumindest in der ersten Hälfte besticht diese sehr eindringliche Szene dadurch, dass sich die eigentlichen Kontrahenten zutiefst respektieren, und ihr Handeln verständlich machen, ohne die Situation direkt anzusprechen.
Was OUT-OF-THE-FURNACE-Autor Brad Ingelsby allerdings nicht gelang, ist eine glaubwürdige Figur für Joel Kinneman als Sohnemann Mike zu erschaffen. Unentwegt erweist sich Mike als undankbarer Hitzkopf, der seinem Vater immer und immer wieder die Schuld zuweist, für Geschehnisse wofür der Vater wahrlich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Nur um Konfliktpotential aufrecht zu erhalten, darf Mike seine missliche Lage einfach nicht überreißen. Dafür gibt es ein sehr raffiniertes Geflecht von Action-Szenarien, das man hinterfragen könnte, aber für sich gesehen immer wieder einen sehr plausiblen Aufbau und Ablauf haben. RUN ALL NIGHT hat sich sehr viel Mühe gegeben, eine gewisse Logik in das Gewirr von Unwahrscheinlichkeiten zu bringen, die mit ähnlichen Filmen immer einhergeht. Und das gelingt überraschend gut. Am Ende gibt es einen Showdown der erneut sehr starke Erinnerungen an HEAT weckt, wo sich Pacino und De Niro in der Einflugschneise des Flughafens ein letztes Mal gegenüber stehen. Leider hat sich RUN ALL NIGHT für eine viel zu abgedroschene Variante an Kulisse entschieden, wenn Jimmy und Shawn ihr Ding zu Ende bringen.
Mit keiner Silbe, und keiner Szene hat RUN ALL NIGHT dem Action-Genre etwas Neues hinzuzufügen. Aber in erster Linie ist es ein sehr solides Werk, welches durch seine Charaktere besticht und überzeugt. Ein unerwarteter Überraschungsauftritt, verstärkt diesen Punkt noch. Das Jaume Collet-Serra die Action-Sequenzen zudem so eindringlich inszeniert hat, kann dem Genre-Freund nur gefallen. Natürlich darf man nicht unter den Tisch kehren, dass es immer sehr praktische Zufälle gibt, welche die Handlung eigentlich erst am Laufen halten. Hey, das ist nicht das Leben, sondern Unterhaltung. Und dies auf gehobenen Niveau.
Darsteller: Liam Neeson, Ed Harris, Joel Kinnaman, Boyd Holbrook, Bruce McGill, Vincent D’Onofrio, Genesis Rodriguez u.a.
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Brad Ingelsby
Kamera: Martin Ruhe
Bildschnitt: Dirk Westervelt
Musik: Junkie XL
Produktionsdesign: Sharon Seymour
USA / 2015
Minuten 114