AVENGERS: AGE OF ULTRON – Bundesstart 23.04.2015
Gerade als man dachte, es geht nicht mehr, da bekommt man mehr. Von allem. Als elfter Film in der Reihe der zweiten und bald abgeschlossenen zweiten Phase, kann das Marvel Cinematic Universe immer noch überzeugen. Und versteht es immer noch, eine sich steigernde Erwartungshaltung zu befriedigen. Das in der abschließenden dritten Phase Macher Joss Whedon das Heft für die letzten beiden Avengers-Filme an Anthony und Joe Russo abgibt, stimmt da eher nachdenklich. Die Russos haben einen hervorragenden (der Verfasser verweigert den deutschen Titel) CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER gemacht, zweifellos. Und sie werden sich mit CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR beweisen müssen. Denn sollte der Titel tatsächlich auf die ausstehende Auseinandersetzung zwischen dem Captain und Iron Man hindeuten, dann würde das einen entscheidenden Eckpunkt in der Geschichte des Marvel Universums betreffen. Und wie es aussieht, hat Joss Whedon dafür schon vorgebaut. Immer wieder reiben sich im jüngsten Abenteuer die gegensätzlichen Ansichten von Steve Rogers und Tony Stark in hitzigen Verbalattacken. Und hier steckt die ganz große Anziehungskraft in einem Film, der nur oberflächlich aus endlosen Showeffekten besteht.
Das Baron von Strucker in dieser Ausgabe auftreten würde, war durch den Teaser natürlich bekannt. Aber damit tut sich AGE OF ULTRON gar nicht lange ab. Der Film beginnt mit dem Sturm der Avengers auf die Festung des Barons. Eine logistische Achterbahnfahrt, die Ihresgleichen sucht. In einer durchgehenden Plansequenz wandert die Aktion von einem Avenger zum nächsten, ruft seine besonderen Fähigkeiten noch einmal in Erinnerung, und endet mit einem Gruppenbild in Slow-Motion. So abgedroschen wie man diese Sequenz einstufen möchte, berührt sie doch emotional genau den richtigen Punkt. Als Fan des Marvel Cinematic Universe‘ weiß man Hände klatschend, dass man angekommen ist.
In Struckers Festung finden die ‚Rächer‘ den Stab von Thor Bruder Loki, mit einem Kristall besetzt, der ein Eigenleben zu haben scheint. Der vierte von sechs bisher gefundenen Infinity-SteinenDamit sieht Tony Stark die Chance gekommen, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, welche die Welt wirklich vor außerirdischen Bedrohungen schützen könnte. Nach wie vor durch seine Nahtoderfahrung während der Vorfälle in New York traumatisiert, sieht Tony Stark den Sieg am Ende von Teil Eins lediglich als Zufall. Heimlich und nur mit dem Hulk Bruce Banner zusammen, arbeitet Stark daran, sein vor Außerirdischen schützendes Ultron-Projekt auf eine künstliche Intelligenz zu übertragen. Mit fatalen Folgen, denn Ultron erkennt, das die größte Gefahr für den Menschen, von der Menschheit selbst ausgeht. Völlige Vernichtung, und ein Neustart für die menschliche Rasse sind für ihn unumgänglich.
Jetzt musste man sich für AVENGERS 2 natürlich einiges einfallen lassen, um in den Verlauf der Phasen eine Steigerung zu erreichen. Etwas, das der geneigte Fan und Zuschauer wie selbstverständlich einfordert. Das ist Joss Whedon in Drehbuch und Regie teilweise gut gelungen, hat aber oftmals auch daneben gegriffen. Da wäre zum Beispiel Tony Starks Beziehung zu Iron Man. In IRON MAN 3 war der Grundtenor noch, dass Tony nach den Ereignissen in New York, diesen Teil seines Lebens hinter sich lassen wollte. Ohne weitere Erklärung, ist er wie selbstverständlich wieder bei den Avengers dabei. Auch wenn New York ausführlich besprochen wird, kommt Tonys Motivation zum weitermachen nicht zur Sprache. Eine verpasste Chance für so gern gesehene Charaktertiefen.
Und dann ist da die unsäglich lange Liste von bekannten Figuren, die einem nur das Gefühl vermitteln, dabei zu sein, um einen größtmöglichen Anzahl von Aha-Effekten zu erreichen. Stellan Skarsgård als Selvig, Haley Atwell als Peggy Carter, Idris Elba als Heimdall, Anthony Mackie als Falcon, usw. Wenngleich sie geschickt in die Handlung integriert wurden, erwecken ihre kurzen Auftritte lediglich den Eindruck einer Parade von Who-Is-Who. Es wirkt immer etwas aufdringlich, und kaum homogen. Das hingegen Gwyneth Paltrow und Natalie Portman wegen Terminprobleme nicht zur Verfügung standen, ist tatsächlich ein Verlust. Gerade als Lebensabschnittsbegleiterinnen von Stark und Thor wären sie eine wirkliche Bereicherung gewesen. Aber nichts davon lässt AGE OF ULTRON zu einem wirklich schlechten Film werden. Hat IRON MAN im Jahr 2008 gezeigt, wie Popcorn-Kino in Reinkultur funktioniert, das einen hohen Anspruch an Charakterzeichnung und philosophischer Qualität stellt, hat sich dieses Ansinnen in seiner Umsetzung in den letzten sieben Jahren nur noch gesteigert.
Die Effekte sind außerordentlich überzeugend und schwindelerregend umgesetzt. Whedon hat so dynamisch inszeniert, und Jeffrey Ford mit Lisa Lassek so intensiv montiert, dass dem Zuschauer immer wieder der Atem stockt, aber dieser nie die Übersicht verliert. Ein echtes Novum im aktuelle Action-Kino. Doch AGE OF ULTRON ist am besten, wenn die Superhelden ihre Kostüme an der Garderobe abgeben. Hier beweist sich, warum Joss Whedon nicht zu Unrecht als Pate des Genre-Film gefeiert wird. Konnte man anhand eines winziges Hinweises in CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER die Beziehung einer bestimmten zwischenmenschlichen Konstellation noch erahnen, verflüchtigt sich dieser Verdacht in AOU sehr schnell. Und diese dann wirklich entstehende Beziehung, ist nicht frei von dem Gefühl, dass man hier zu angestrengt in einen für die Handlung notwendigen Verlauf presst. Doch was sonst das Umfeld der Privatsphäre für die Superhelden ausmacht, ist erstklassiges Unterhaltungskino mit absoluten Tiefgang. Whedon schafft es mit leichter Hand, die Figuren aus ihrem Superhelden-Image heraus zu nehmen, und sie zu greifbaren Menschen zu machen. Das Bier im Wohnzimmer, oder das gemeinsame Holzhacken, die natürlichen Gespräche über eigentlich unnatürliche Ereignisse. Nicht nur dass Whedon seine Figuren auf eine normale Ebene erdet, sondern er ummantelt seine Zuschauer mit dem Gefühl, gerade im richtigen Moment auch realistischen Konversationen beizuwohnen.
Dem Zuschauer glauben zu machen, er könne Dialogen über Außerirdischen oder künstlichen Intelligenzen wahrhaft folgen, oder diese nachvollziehen, bedarf natürlich nicht irgendwelcher Schauspieler. Es bedarf eines Ensembles von einnehmenden Persönlichkeiten, die sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben, sondern sich bestäuben (ging nicht anders). Wenn sie miteinander reden, dann klingt das nicht nach abgedroschenen Ritual, auch wenn die Dialoge stets zweckführend sind. Besonders beeindruckend sind die immer wieder merklichen aber unterschwelligen Abneigungen und gegensätzliche Meinungen. Weder das Drehbuch, noch die Darsteller müssen hier von Thors Hammer Gebrauch machen. Und das macht bei AGE OF ULTRON das vertraut wohlfüllige Ambiente aus. Man glaubt und vertraut den Figuren, weil sie auch vermitteln können, was man ihnen als Charakter aufbürdete. Selbst 120 Minuten, wo sich die Avengers nur am Sandstrand im Urlaub aufhalten würden, könnte dieses Ensemble extrem spannend gestalten. Lediglich Aaron Taylor-Johnson und Elizabeth Olsen als Quicksilver und Scarlett Witch würden da außen vor bleiben. Aber nur weil sie gestraft wurden, mit einem so unsäglich künstlichen osteuropäischen Akzent reden zu müssen, dass dem Zuschauer nur ein unverständliches Kopfschütteln übrig bleibt.
AVENGERS: AGE OF ULTRON ist lupenreines Popcornkino, welches dafür steht, nicht mehr als das sein zu wollen. Und sich dann doch mit viele Extras weit über ähnlich motivierte Filme erhebt. Da gibt es dann doch die intelligenten Ausführungen über künstliche Intelligenzen, oder die Abhandlung über die Verwundbarkeit von unbesiegbaren Superhelden. AGE OF ULTRON ist ein Film, der an vielen Stellen einfach zu offensiv das eigene Image an Bekanntheit und Kultcharakter pflegt. Aber gleichzeitig ist AGE OF ULTRON der Film, der den Zuschauer daran erinnert, warum wir diese Serie im mittlerweile elften Teil so verinnerlicht haben. Und bisher angekündigt, werden Elf weitere folgen. Mit AGE OF ULTRON macht dies eigentlich mehr Hoffnung, als das es zu sorgenvoller Skepsis führen würde. Für vieles, was man bei diesem Film an Abstrichen hinnehmen muss, gibt er einem geneigten Zuschauer so viel mehr an Erlebnis zurück. Auch eine Erfahrung, die man im nach Finanzen orientierten Mainstream-Kino selten erlebt.
Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Hemsworth, Chris Evans, Mark Ruffalo, Jeremy Renner, Scarlett Johannson, Samuel L. Jackson, Stellan Skarsgard, Elizabeth Olson, Aaron Taylor-Johnson, Idris Elba, Paul Bettany, Thomas Kretschmann u.a.
Drehbuch & Regie: Joss Whedon
Kamera: Ben Davis
Bildschnitt: Jeffrey Ford, Lisa Lassek
Musik: Danny Elfman, Brian Tyler
Produktionsdesign: Charles Wood
USA / 2015
142 Minuten