CAKE – Bundesstart 09.04.2015
Als 2005 der Thriller DERAILED – ENTGLEIST in die Kinos kam, wurde dieser eher mit gemischten Gefühlen angenommen. Clive Owen hatte sich bis dahin bereits international einen Namen gemacht, aber seine Partnerin Jennifer Aniston eben schon längst. Der Dauerbrenner FRIENDS war gerade einmal ein Jahr vorher eingestellt worden, und ihre bisherigen Filmrollen bauten genau auf dem Image auf. Lustig, immer sympathisch, und vor allem gut aussehend. Und in DERAILED sollte sie auch gut aussehen, aber alles andere als lustig, oder sympathisch. Nicht einmal 60 Millionen Dollar spielte der exzellente Thriller weltweit ein, die Erwartungen lagen weit höher. Kein Flop, aber das geringe Einspielergebnis konnte man ohne weiteres auf Anistons Fahne schreiben. Keineswegs der Leistung wegen, aber ihrem Ruf und dem Image. Erst neun Jahre später nimmt sie erneut eine ernsthafte Rolle in einem Drama an. Sie musste zugeben, nicht die erste Wahl gewesen zu sein. Aber Regisseur Daniel Barnz dürfte über die Zweitbesetzung mehr als erfreut gewesen sein.
Claire Bennett leidet seit einem Unfall an chronischen Schmerzen. Dadurch ist sie eine Expertin für Betäubungsmittel, so durchsucht sie bei Besuchen in fremden Häusern erst einmal das Spiegelkabinett, und wird immer fündig. Aber nicht nur der körperliche Schmerz, sondern auch ihre mentale Unsicherheit, machen sie zu einer sehr unangenehmen Frau. So fliegt sie zuerst aus der Selbsthilfegruppe, und später auch aus dem therapeutischen Wassertraining. Ihre Haushälterin Silvana steht ständig am Rande eines Nervenzusammenbruchs, ist allerdings auch ihre beste, weil einzige Freundin. Der Selbstmord von Nina aus der Selbsthilfegruppe, beginnt Claire zu beschäftigen. So sehr, dass Nina in Visionen sogar Zwiesprache mit Claire hält. Zusammen gehen sie der Frage nach, ob der Freitod nicht auch eine Alternative für Claire wäre.
Im Grunde ist CAKE eine sehr einfach erzählte Geschichte, die in vielen Teilen sehr offensichtlich bleibt. Und doch überrascht die Handlung immer und immer wieder, und versteht die dramatischen Klischees perfekt zu kaschieren. Das ist aber in erster Linie nicht der Regie, sondern der Zeichnung der Charaktere zu verdanken. Sei es die depressive Claire selbst, oder die aufopferungsvolle Silvana, sie könnten im Geschehen alles, und zu jederzeit möglich machen. Claire ist ein selbstzerstörerischer Charakter, der auf seine Umwelt keine Rücksicht nimmt, auch nicht nehmen kann, weil ihre persönliche Tragödie einfach zu schwerwiegend ist. Hier greift die Figur auch den Zuschauer, weil man in erster Linie Claire um ihr rücksichtsloses Verhalten in gewisser Hinsicht auch beneidet. Silvana hingegen, wird von ihrer Tochter aufgefordert, endlich diesen miserablen, unterwürfigen Job hinzuschmeißen. Doch Silvana ist ein Mensch, der zu seiner Verantwortung steht, aber auch über sehr viel Einfühlungsvermögen verfügt. In einer sehr anrührenden, aber nicht kitschigen Szene, wenn Silvana droht von ehemaligen Freundinnen gedemütigt zu werden, wird die besondere Beziehung zwischen Claire und Silvana am deutlichsten. So gemein und niederträchtig Claire auch sein kann, oder man glaubt, dass Silvana nur durch Unterwürfigkeit besteht, ihre Beziehung ist so speziell, dass es keine Worte braucht, und sich beide auch nichts beweisen müssen. Patrick Tobin hat in seinem Drehbuch so starke Charaktere entwickelt, dass sie durch das bestechende Spiel von Jennifer Aniston und Adriana Barraza noch mehr an einnehmender Bedeutung gewinnen. CAKE ist kein Drama, welches sich durch seine dramatischen Ereignisse behauptet, sondern durch die überwältigenden Leistungen seiner Hauptdarsteller.
CAKE als Drama entwickelt in seinem Handlungsablauf schon fast Thriller ähnliche Züge. Selbst eine Vision von Nina in Form von Anna Kendrick, könnte alle möglichen Folgen in die Geschichte einfließen lassen. Und der Zuschauer ist gefordert, sich einmal mit einer neuen Form von gequältem Körper und Geist auseinander zu setzen. Von den Folgen dieser Behinderung einmal ganz abgesehen. Denn die Auswirkungen von chronischen Schmerzen sind unwillkürlich eine Art von Behinderung, die sich nicht nur auf das körperliche Befinden der Betroffenen auswirkt, sondern deren Umwelt genauso in Aufruhr versetzt. Zudem erzählt CAKE aber eine sehr intensive Geschichte über Menschlichkeit ins Besondere. Wenn Claire Verbindung zum Ehemann der verstorbenen Nina aufnimmt, dann hat man als Zuschauer niemals das Gefühl, dass es um die erotische Komponente in der Beziehung geht. Regisseur Barnz arrangiert Roys und Claires Verbindung stets als Eckpfeiler einer gemeinsamen Erfahrung, nicht als emotionale Verbindung. Was am Ende dabei heraus kommt, ist dann doch eine ganz andere Geschichte. Obwohl auch hier der Film überhaupt nicht konkret wird.
Das Ende von CAKE, ist ein Ende voller Hoffnung. Der Film selbst hat uns allerdings in seinen vorangegangenen Minuten gelehrt, dass Hoffnung niemals zwangsläufig mit Erlösung impliziert werden sollte. Man sollte also immer gewahr sein, dass CAKE auf der einen Seite eine durchaus überschaubare Geschichte ist, welche allerdings auf der anderen Seite durch ihre nicht fest zu legenden Charakter, auch dramaturgische Überraschungen bereit halten wird. Bravo, Jennifer Aniston. Sie sind endlich angekommen, wo man ihnen kurz nach FRIENDS diesen Zielort niemals zugetraut hätte.
Darsteller: Jennifer Aniston, Adriana Barraza, Anna Kendrick, Sam Worthington, Mamie Gummer, Felicity Huffman, William H. Macy u.a.
Regie: Daniel Barnz
Drehbuch: Patrick Tobin
Kamera: Rachel Morrison
Bildschnitt: Kristina Boden, Michelle Harrison
Musik: Christophe Beck
Produktionsdesign: Joseph T. Garrity
USA / 2014
109 Minuten