STILL ALICE – Bundesstart 05.03.2015
Es beginnt mit kleinen Wortfindungsstörungen, unauffällig und unproblematisch. Das sie die neue Freundin des Sohnes zweimal hintereinander begrüßt, fällt kaum auf. Später wird sie perplex einen ihrer Vorträge unterbrechen, bis sie unvermittelt ihr Thema wiederfindet. Als schließlich der routinierte Jogging-Weg zu einem vollkommen fremden Ort wird, weiß Alice Howland dass ein Arztbesuch unausweichlich wird. Fast 15 Millionen Menschen leiden weltweit an Alzheimer, was ungefähr 60 Prozent aller Demenzkrankheiten ausmacht. Bei der Altersgruppe der 65 jährigen sind etwa 2 Prozent von der Krankheit betroffen, um die Siebzig herum, sind es schon drei Prozent an Betroffenen. Alzheimer ist eine Krankheit des Alters, vornehmlich. Deshalb geht Alice mit dem unguten Gefühl zum Arzt, sie könnte einen Tumor oder eine Entzündung haben. Sie ist 50, erfolgreiche Sprachwissenschaftlerin, mit drei erwachsenen Kindern, und einem treusorgenden Gatten. Das Leben hat es gut gemeint mit Alice Howland, und deswegen ist sie auch zuversichtlich einen Tumor ohne weiteres überstehen zu können. Doch es gibt unrühmliche Ausnahmen in welchem Alter die Krankheit ausbricht. Und Alice gehört zu diesen Ausnahmen.
STILL ALICE ist ein packendes Drama, welches wirklich unter die Haut geht. Das liegt vor allem daran, dass die Regisseure und Drehbuchautoren Wash Westmoreland und Richard Glatzer die ganz großen dramaturgischen Effekte vermeiden. STILL ALICE bleibt durchweg realistisch, im Verlauf sogar schmerzlich realistisch. Es gibt nicht die großen Zusammenbrüche, keine aufgeblasenen Streitereien oder Anklagen, und auch keine überfrachteten peinlichen Situationen. Erstaunlich ruhig bleibt die Erzählung. Ihr Mann John steht zu seiner Verantwortung, sich um seine Frau zu kümmern. Und wenn er manchmal an dieser Verantwortung zu scheitern droht, dann merkt man das lediglich in kleinen Gesten, an einem fast unmerklichen Mienenspiel. Alec Baldwin ist fantastisch, wie er sich dem eigentlichen Thema unterzuordnen versteht, ohne zurück stecken zu müssen. Er und Julianne Moore spielen nicht einfach ein verheiratetes Paar, sondern sie sind dieses Paar und müssen den Zuschauer nicht erst davon überzeugen. Sie haben gemeinsam ihre Karrieren erlebt, sie haben diese Kinder groß gezogen, die vergangene Zeit ist tatsächlich ihre gemeinsame Zeit.
Natürlich ist dies Julianne Moores Film, aber deswegen verkommen die anderen Darsteller noch lange nicht zu bloßem Beiwerk. Doch Moore ist selbstredend der dramaturgische Mittelpunkt, und sie ist ebenso selbstredend unglaublich beeindruckend. Die Wandlung von der kompetenten Wissenschaftlerin, zu einem gebrochenen Menschen, der sich des eigenen geistigen Verfalles durchaus bewusst ist, erschreckt bisweilen. Am Anfang der Krankheit hat sich Alice einen raffinierten Plan ausgedacht, wie sie sich selbst daran erinnern kann, sich in einem gewissen Stadium das Leben zu nehmen. Und als es soweit ist, kommt es zu einer der rührendsten Szenen im Film, die gleichermaßen tief bewegt, aber auch komische Elemente hat. Und genau daraus zieht STILL ALICE seine einnehmende Kraft. Er will nicht Angst einjagen, oder beschwichtigen, nicht belehren, oder das herzzerreißende Drama sein. Er gewährt dem Zuschauer Einblick in ein Leben, das man oftmals als nicht mehr lebenswert abtut, und genau dies wird in Frage gestellt. Der Leidensweg ist hart, aber Alice bewahrt stets ihre Würde. Das ist immer wieder ergreifend, und stimmt auch nachdenklich. Und manchmal tut es richtig weh, wenn man sich als Zuschauer bewusst wird, dass kein Arzt überraschend ein Heilmittel aus dem Ärmel schütteln wird.
Darsteller: Julianne Moore, Kirsten Stewart, Alec Baldwin, Kate Bosworth, Shane McRae, Hunter Parrish, Stephen Kunken u.a.
Regie & Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, nach dem Roman von Lisa Genova
Kamera: Denis Lenoir
Bildschnitt: Nicolas Chaudeurge
Musik: Ilan Eshkeri
Produktionsdesign: Tommaso Ortino
USA – Frankreich / 2014
101 Minuten