SELMA – Bundesstart 19.02.2015
1965 führt Menschenrechts-aktivist Martin Luther King einen Protestmarsch von Selma nach Montgomery in Alabama. Am Ende des Marsches, der geschichtlich als Triumpf für die Bürgerrechtsbewegung eingestuft wird, wird Martin Luther King bei der Abschlussrede sagen, dass die Gleichberechtigung für Afro-Amerikaner auf dem Weg sei. Vorausgegangen waren beschwerliche und brutale Tage, bei denen erste Versuche eines Marsches gnadenlos von Polizeitruppen niedergeknüppelt wurden. Kings Ansinnen war es, das gleichberechtigte Wahlrecht in Amerika durchzusetzen. Ein persönliches Vorsprechen bei Präsident Johnson scheitert, weil sich der Präsident schon zu vielen anderen Problemen in der Regierung ausgesetzt sieht, was die Rechte für die schwarze Bevölkerung angeht. King und seine Gefolgsleute wollen mit einem Protestmarsch Druck ausüben, und finden in Selma/Alabama den geeignetsten Ort um Aufmerksamkeit zu erlangen, denn kaum eine Stadt lebt ihren Argwohn und Ablehnung gegenüber Schwarzen offener und offensiver aus. Und Gouverneur Wallace tut alles dafür, dass dieser Zustand erhalten bleibt. Was mit der extrem brutalen Niederschlagung des ersten Marsches endet. Was Wallace allerdings nicht berechnet, ist die Macht der Medien, die an dieser Stelle voll zum tragen kommt. Denn der Polizeieinsatz wird Live und im ganzen Land, aber auch weltweit übertragen. Ein Teil von Martin Luther Kings Rechnung, der aufgeht.
Zweifellos ist Ava DuVernay ein sehr eindringlicher und spannender Film gelungen. Befremdlich ist anfänglich nur, dass die drei Hauptfiguren King, Johnson und Wallace von britischen Schauspielern dargestellt werden. Doch DuVernays Vertrauen in ihre eigene Entscheidung ging vollkommen auf. Das Ensemble ist hervorragend, und lässt gerne immer wieder einmal die klaren Linien von gut und schlecht verschwimmen. Die Regie gönnt dem Film keinerlei Leerlauf, und Ava DuVernay zeigt ein erstaunliches Gespür, wie und wo sie die emotionalen Akzente setzen muss. Doch so einnehmend der Film und seine Geschichte auch sein mögen, SELMA ist ein Geschichtsdrama, dass unentwegt die Luft des Althergebrachten atmet. Die Dramaturgie und ihr Aufbau folgen einer Struktur, die einfach zu gewöhnlich für eine Erzählung dieser Art sind. Knochentrocken und bierernst geht die Handlung der Geschichte nach. Natürlich wäre SELMA für losgelöste Schenkelklopfer mehr als ungeeignet. Aber ein etwas lockerer Ton hätte vielleicht eine tiefere emotionale Vertrautheit zu Personen und den Ereignissen schaffen können, wenn sich die Erzählung schon einer viel zu geradlinige Struktur verschreibt. Denn letztendlich ist es eine Geschichte, die bekannt ist und deren Ausgang keine neue Offenbarung bereit hält.
Und am Ende hängen die Worte in der Luft, dass die Gleichberechtigung für Afro-Amerikaner auf dem Weg sei. Es ist eine wunderbare Botschaft. Eine weise Voraussage eines großen Mannes, die sich immerhin politisch durchgesetzt hat. Auf dem Papier sind alle Amerikaner gleich. Doch in Anbetracht der jüngsten Vergangenheit, muss man auch die Botschaft von SELMA hinterfragen. Worte, die sich fünfzig Jahre später noch immer irgendwie einen schalen Beigeschmack haben. Nach außen hin, ist die westliche Welt politisch korrekt. Doch wenn in bestimmten Gegenden der Vereinigten Staaten Menschen sagen, sie hätten keinen Präsidenten, dann ist das keine Aussage darüber, dass sie ihn nicht gewählt hätten. Polizisten kommen ohne Konsequenzen davon, wenn sie ganz offensichtlich mit verbotener Härte einen unschuldigen Schwarzen töten. Wie weit kann da noch ein Film wie SELMA Einfluss nehmen? Für wen wird ein Film wie SELMA überhaupt gemacht? Ganz sicher kann er keine ideologischen Einstellungen ändern. Er kann ermahnen, und er kann erinnern. Doch sein Zielpublikum ist keines, das ermahnt oder erinnert werden muss. Wenn ein weißer Polizist ohne ersichtlichen Grund einen unbewaffneten Schwarzen erschießt, dann muss dieser Polizist kein Rassist sein, keiner der arischen Bruderschaft. Es ist ein Zeichen dafür, dass mit einer ganzen Gesellschaft noch ganz viel im Argen liegt.
SELMA ist ein sehr guter Film, der seinem Publikum sehr anspruchsvolle Unterhaltung bietet. Er zeigt auch, dass in diesem speziellen Jahrzehnt sehr viel passiert ist. Sehr viele gute Sachen. Menschen haben ihr Leben gegeben und ihr Leben riskiert, um kommenden Generationen ein besseres Leben zu sichern. Grundsätzlich ging die Saat auf, und man sollte von den Medien besonders hervorgehobene Ereignisse als eindringliche Mahnung verstehen, dass man keinen Status Quo akzeptieren darf. Man muss immer wieder daran arbeiten, vielleicht einmal sich selbst reflektieren. Amerika hat eine ganz spezielle Geschichte, die es noch immer aufzuarbeiten gilt. Doch als Europäer braucht man auch nicht so weit zu blicken. Empörung über andere ist leicht, das Eingeständnis über zu überdenkende Mangel in der eigenen Ideologie wäre allerdings ehrlicher.
Darsteller: David Oyelowo, Tom Wilkinson, Carmen Ejogo, Oprah Winfrey, Tim Roth u.a.
Regie: Ava DuVernay
Drehbuch: Paul Webb, mit Ava DuVernay
Kamera: Bradford Young
Bildschnitt: Spencer Averick
Musik: Jason Moran
USA / 2014
128 Minuten