THE CLOUDS OF SILS MARIA – 18.12.2014
Maria Enders hat es als Schauspielerin an die internationale Spitze geschafft. Ein Weg, der mit dem phänomenalen Erfolg des Theaterstücks ‚Majolaschlange‘ begann. Maria Enders hat sich seither über ihre Rolle der Sigrid definiert. Nun sind 25 Jahre vergangen, und der ambitionierte Regisseur Klaus Diesterweg möchte das Stück neu inszenieren. Erneut und unabdingbar mit Maria Enders, allerdings soll sie jetzt die Rolle der zwanzig Jahre älteren Gegenspielerin Helena interpretieren. Eine für Maria emotional kaum zu bewältigende Herausforderung. Sie war immer die Sigrid, und mit Helena konnte sie sich nie richtig identifizieren. Zudem reflektiert die Rolle der Helena auch Marias persönliches Alter. Selbst international gefeierte Schauspielerinnen haben mit 45 Jahren im Filmgeschäft kaum mehr einen Stand. Ihre persönliche, sehr junge Assistentin Valentine wird ein emotionaler Spiegel, über den Maria versucht ihre Ängste und Ressentiments zu reflektieren. Im Örtchen Sils Maria in der Schweiz bereitet sich Maria mit Valentine im Haus einer alten Freundin auf ihre neue Rolle vor, immer wieder darüber verzweifelnd, dass sie eigentlich Sigrid spielen müsse. Es wird ein psychologisches Duell zwischen der Schauspielerin und ihrer Assistentin, worin sich beide immer wieder emotional herausfordern. Und das ist durchaus sehr spannendes Charakter-Kino. Filmautor Olivier Assayas, der lediglich im Arthouse-Kino einen festen Namen hat, hat seinen Film als Juliette-Binoche-Film bezeichnet, über Juliette Binoche, und mit Juliette Binoche. Und so betrachtet, ist SILS MARIA eine fast schon metaphysische Abhandlung über das Kino und seine Sterne.
Sils Maria ist ein kleiner Ort im Schweizer Engadin, nicht weit von Majola entfernt. Majola ist entsprechenden Personen bekannt für ein äußerst seltenes Wetterphänomen, wo durch die thermischen Gegebenheiten an eine Schlange erinnernde Wolkenformationen durch das Tal ziehen. Ein Phänomen, von dem sich Maria Enders besessen zeigt. Lange Wandertouren durch die schroffe Felslandschaft entlang des Tales, bringen sie näher an die Botschaften des Stückes, welches sich mit seinem Titel an jenem Wetterphänomen orientiert. Doch den eigentlichen Inhalt des Stückes ‚Majolaschlange‘ selbst, und den draus resultierenden Zusammenhang zur Geschichte des Films, hält uns Autor und Regisseur vor. Für Maria Enders hingegen, ist es das Synonym für eine strahlende Jugend, und einen anhaltenden Erfolg. Die Majolaschlange zieht sich durch das Tal, und wirft dunkle Schatten auf die Landschaft darunter, während auf den Gipfeln weiterhin die Sonne herrscht. Der Blick nach unten bleibt durch die Wolken verwehrt. Unten, wo Maria Enders sich in ihrer Karriere nie aufhalten musste, weil sie Dank der ‚Majolaschlange‘ sofort nach oben schoss. Jetzt zurückzutreten, eine für sie fremde, unvertraute Rolle anzunehmen, könnte bedeuten, im Tal zu verbleiben, während die Majolaschlange das Tal in graue Schatten hüllt. Als Schauspielerin hat Maria Enders diesen perversen Zenit des Jugendwahns der Filmwelt längst überschritten. Jetzt Platz zu machen, für die neue, aufstrebende Generation, hat für Maria weniger mit Egoismus zu tun, als mit Existenzangst.
Bis man allerdings hinter die wahren Absichten von Olivier Assayas Drehbuch und Film sehen darf, ist es ein langer, sehr steiniger Weg. Es ist ganz explizites Schauspiel-Kino was Assayas mit SILS MARIA inszenierte, dementsprechend gibt er ihnen sehr viel Zeit und Raum. Der Film hat zwei Akte und einen Epilog, wobei der zentrale zweite Akt mit fast 80 Minuten den größten Teil einnimmt, und sich vollends auf Maria und Valentine fokussiert. Ihre Beziehung, ihre Gedanken, wo ihre Meinungen auseinander gehen, oder sie sich einig sind. Ihre Ängste, aber auch Fürsorge. All das handeln sie in dieser Zeit ab, und kehren dabei ihr Innerstes nach außen. Jetzt kann man SILS MARIA leicht als das Kammerspiel abtun, welches sich durch den Charakter der Inszenierung auch anbietet. Doch dann überrascht diese Inszenierung, und gibt der Handlung im weiteren Verlauf einen ganz anderen Dreh. SILS MARIA wird hier zu einer weit vielschichtigeren Abhandlung, nicht nur über die Angst des älter werden, sondern auch über den Zustand des von Blockbustern gesteuerten Kinobetriebs, die Überlegenheit mit Lebenserfahrung, aber auch über die Differenzen von Film und Theater. Dabei tritt der Film einen Schritt zurück, hinaus aus dem geschlossenen Kreis der fixierten Inszenierung, und zeigt sich als Variation auf eine neue Art der Erzählung von Geschichten, die im Kino immer populärer werden. Mag sich Olivier Assayas Film zuerst als zähes Charakterstück präsentieren, entfaltet er sich zu seinem Ende hin, als fast magische Betrachtung über alles, was in der modernen Unterhaltung den Personen bezogenen Kult ausmacht.
Man müsste zu weit aushohlen, um die wirkliche Faszination von SILS MARIA zu erklären, was unweigerlich verräterische Aussagen mit sich bringen würde. Doch wenn man den Film allein an seinen Darstellern propagiert, dann ist ein Besuch fast schon zwangsläufig. Zuerst einmal zeigt sich ausgerechnet Chloë Grace Moretz als schwächster Moment im Gefüge, was allerdings nicht mit dem Glied in der Kette verwechselt werden darf, denn der Film als solcher verliert dadurch nicht. Aber Moretz hat als aufsteigendes Sternchen Jo-Ann, einfach nicht die Ausstrahlung, um bei Stewart oder Binoche mithalten zu können. Die wegen der Twilight-Saga viel gescholtene Kristen Stewart hingegen kann erneut beweisen, dass sie im Arthouse-Kino am besten aufgehoben ist. Hier kommen ihr ehrliche und kompetente Rezensionen selbstredend entgegen, ohne dass man sie mit Troll generierte Unmutsäußerungen zu verunglimpfen versucht. Kristen Stewart ist eine großartige Darstellerin, die unzweifelhafte Glaubwürdigkeit in ihre Rolle einbringt. Aber wie formulierte es Filmautor Olivier Assayas selbst, dies ist ein Juliette-Binoche-Film, über Juliette Binoche, mit Juliette Binoche. Mehr gibt es nicht zu sagen.
Wer vom Mainstream-Kino gerne einmal den Schritt über die Grenzen hin zum Arthouse wagt, der wird sein blaues Wunder erleben, wie angetan er von SILS MARIA sein wird. Es ist durchaus ein sehr europäischer Film, der Inhalt vor den Allgemeingeschmack stellt. Aber es ist auch ein Film mit Ambitionen, welches auch Typen wie Christopher Nolan oder Terrence Malick immer wieder veranlasst, zu versuchen das Hollywood-System der einfachen Erzählstruktur zu durchbrechen. SILS MARIA ist nicht das einlullende, brave Kino, welches einem eine Geschichte fertig zubereitet serviert. Es ist der anspruchsvolle Ansatz, der sein Publikum mitzieht, und vollkommen einbindet. Nicht leicht, aber genial.
Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger, Hanns Zischler, Angela Winkler u.a.
Regie & Drehbuch: Olivier Assayas
Kamera: Yorick Le Saux
Bildschnitt: Marion Monnier
Produktionsdesign: Francois-Renaud Labarthe
Frankreich-Schweiz-Deutschland / 2014
124 Minuten