INTERSTELLAR – Bundesstart 06.11.2014
Vorabkritiken zu INTERSTELLAR versuchten zwanghaft, aber auch nicht sehr gelungen, Stanley Kubriks 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM mit Christopher Nolans Epos INTERSTELLAR zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Und sie verglichen und wogen ab, wo es vollkommen unangebracht war, und keinen Sinn ergab. Übersehen haben sie allerdings den einen Punkt, der beide Filme tatsächlich verbinden könnte. Sie zeichnen sich durch ihren selbst auferlegten Realismus aus, wo sie sich stringent den wissenschaftlichen Fakten unterwerfen. Dann gibt es eine gewisse Wendung, die in ein Terrain fällt welches eben noch nicht wissenschaftlich zu erklären ist. Von hier an werfen die Macher ihre eigenen Spekulationen und Interpretationen in die Handlung, und erzwingen vom Zuschauer eine geistige Grenzerfahrung. Nolan hat das mit MEMENTO getan und mit INCEPTION auf die Spitze getrieben. War MEMENTO noch ein rätselhaftes Puzzle, mit eindeutiger Auflösung, wurde INCEPTION zum geistigen Labyrinth, das gefeiert, aber kontrovers diskutiert wurde. Anscheinend wollten die Nolan Brüder mit dem Drehbuch von INTERSTELLAR noch einen Schritt weiter gehen. Sie fordern nicht nur heraus, sondern provozieren auch, sie erklären alles, und lösen doch nichts auf. Und wenn die einen den Film als Meisterwerk feiern, und die anderen ihn als missratenen Science-Fiction-Wust beschimpfen, dann könnten tatsächlich beide Parteien recht haben.
In nicht allzu ferner Zukunft beginnt die Erde zu kollabieren, der Klimawandel zeigt sich mit all seinen Konsequenzen. Cooper war einer der letzten NASA-Piloten, bis die Weltraumbehörde wegen der wirklichen Probleme auf dem Planeten keine Akzeptanz mehr fand, und geschlossen wurde. Scheinbar. Jetzt sitzt Cooper mit seiner Familie irgendwo im Mittleren Westen, und baut Mais an. Die letzte Agrarpflanze, die unter dem klimatischen Wandel noch wächst. Doch auf mysteriösen Wegen gelangt Cooper mit seiner Tochter Murph auf eine streng geheime Einrichtung. Die letzten Überbleibsel der NASA, die fieberhaft nach einem Planeten sucht, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Ein plötzlich erschienenes Wurmloch neben dem Saturn hat es möglich gemacht, in eine andere Galaxie zu blicken, um dort tatsächlich drei mögliche Welten zu entdecken, auf denen Menschen eventuell siedeln könnten. Und es hat seine sehr guten Gründe, dass Cooper der einzige Pilot ist, der eine Expedition durch das Wurmloch leiten und fliegen könnte. Die junge Murph weigert sich inständig zu akzeptieren, dass ihr Vater die Erde verlassen muss. Noch dazu, wo Wurmlöcher, Gravitationen, Schwarze Löcher, Relativität, und all mögliche physikalische Unabwägbarkeiten, Einfluss auf Coopers zeitliche Existenz haben werden. Murph könnte längst eine alte Frau sein, wenn Cooper nach für ihn gerade einmal fünf Jahren zurückkehren sollte. Die Wahl zwischen der eigenen Familie und dem Wohl der Menschheit, fällt Cooper gewiss nicht leicht. Aber wenn die Expedition ein Erfolg werden sollte, wäre seiner Familie ebenfalls gerettet.
Von hier an wechselt der Film beständig von einem Ansatz zu nächsten. Da führen die Charakter philosophische Gespräche, dann gibt es dramatische Action-Sequenzen, oder der Film schwelgt in visuell atemberaubenden Visionen. Diese Wechsel sind nicht immer stimmig, manchmal etwas holprig, dafür wird der Zuschauer nicht mit Längen gequält. Und diese Längen hätten bei fast 170 Minuten eintreten können. Aber Christopher Nolan treibt immer in den richtigen Momenten an, oder nimmt wieder das Tempo heraus. Nicht nur wegen seiner tiefen philosophischen Ansätze, sondern auch seinem ungemilderten Umgang mit Quantenmechanik und Zeitdilatationen, Raketenwissenschaften und Ereignishorizonten, braucht der Zuschauer auch die Möglichkeit zur Besinnung. Jonathan und Christopher haben ein wirklich verzwicktes Drehbuch verfasst, dass unweigerlich die Diskussionen anheizen wird. Doch wie bei eigentlich all seinen Filmen zuvor, weiß erst Christopher dieses Material genau in die Form zu bringen, um stets Spannung und Erwartung halten zu können, was in seiner Inszenierung dann selbst Genre-Grenzen verschwimmen lässt. Auch wenn sich INTERSTELLAR in erster Linie klar der Science-Fiction zuordnen lassen muss.
Wally Pfister war bei sieben von Nolans bisher zehn Regiearbeiten der Kameramann, der auch die Leidenschaft Nolans für Großbildformate und 2D teilt, und sein Regiedebut TRANSCENDENCE von Jess Hall in 35mm drehen ließ. Wegen dieses Debuts musste Pfister für INTERSTELLAR sein Fach an Hoyte Van Hoytema abgeben, wobei sich beide in Art von Bild- und Farbgestaltung nahezu identisch zeigen. Allerdings fällt bei vielen Szenen der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Fertigungsstandards ins Gewicht. Reine auf Film aufgenommene Realszenen, welche noch die Körnung des Materials spüren lassen, beißen sich in den Gegenschnitten immer wieder mit Sequenzen, die nur am Computer gefertigt wurden, und damit glasklar in ihren Linien und Kontrasten bleiben. Dieser kleine technische Makel hat allerdings nicht das Geringste mit dem gegenwärtigen Kameramann zu tun, sondern ist lediglich dem Aufnahmematerial geschuldet.
Der Mensch ist auf der Erde geboren, aber nicht unbedingt dazu bestimmt, auf ihr zu sterben. Das Motto des Films dürfte wohl der der entscheidendste seiner philosophischen Ansätze sein. Nicht umsonst schallt es aus dem Publikum empört, dass wenn wir die eine vernichtet haben, zur nächsten gehen, und auch die zerstören. Das ist ein Gedankenspiel, welches der Film konsequent unkommentiert lässt. Es mag sich wie ein schändliches Versäumnis ausnehmen, wenn sich niemand dieser Thematik annimmt. Aber gerade hier zeigt sich auch die Logik und eine gewisse Genialität von den Nolans ausgehend. Der Mensch ist sich einfach selbst der Nächste, und wenn er sich in der im Film dargestellten Realität in Gefahr sieht, dann ist die logische Konsequenz die Besiedelung eines neuen Planeten. Und dann werden alle moralischen Bedenken keine Rolle mehr spielen. Es kann also durchaus unkommentiert bleiben, denn die Diskussion aus seinem Publikum heraus ist schon unumgänglich. Christopher Nolan hat keinen Film gemacht, um moralische oder ethische Vorschläge, oder Meinungen zu präsentieren, sondern den Zuschauer als eine Art erweitertes Gewissen dem Film hinzu zu fügen.
Und bei INTERSTELLAR kann Nolan nicht früh genug anfangen, das Publikum zu fordern, und damit intensiv einzubinden. Schließlich bietet er noch eine Auflösung, die so manchem hartgesottenen Science-Fiction-Nerd die Schweißperlen auf die Stirn treiben dürfte, und einem weniger affinen Zuschauer ein kapitulierendes „na, dann …“ entlocken wird. Nicht das sich INTERSTELLAR dann als Zeitreise-Film entpuppen würde, die immer, eigentlich grundsätzlich ein Problem mit der Logik haben. Geht es um Zeitreisen, zeigen sich die verschiedenen Annäherungsformen eher als persönliche Philosophie, anstatt wissenschaftlich haltbare Konzepte. Obwohl die Nolans die Zeit in ihr Drehbuch eingearbeitet haben, weichen sie geschickt auf etwas aus, das noch weniger wissenschaftlich greifbar ist. Und das sind die Dimensionen. Am Ende kann nur der Zuschauer für sich, oder in hitzigen Diskussionen entscheiden, ob es sich INTERSTELLAR auf sehr plumpe Art einfach gemacht hat, oder eine noch zu ergründende Genialität in der Handlung liegt. Und das, auf der anderen Seite, bereitet dann schon wieder zügellose Freude. Denn letzten Endes lässt der Film seinen Zuschauer nicht wirklich alleine, keineswegs, Nolan hat immer seine Hand und führt ihn bis zum Schluss. Die unendlichen Eindrücke muss man allerdings für sich alleine aufarbeiten.
An dieser Stelle gibt es einen Standard-Spruch, der besagt, dass gute Science-Fiction-Filme sehr selten geworden sind. INTERSTELLAR ist einer von der selten gewordenen Gattungen. Mit einem perfekten Schauspiel-Ensemble, atemberaubenden Effekten, einer nicht ganz runden, aber einnehmenden Inszenierung, und einer nachvollziehbaren Geschichte, kann der Film durchweg überzeugen. Allein wie er mit minimalistischsten Aufwand den lebensfeindlichen Klimawandel zu demonstrieren versteht, beweist schon das einzigartige Gespür des Regisseurs für Effizienz und Einfühlungsvermögen. Dann kann INTERSTELLAR mit zwei Planeten-Entwürfen aufwarten, die wirklich einzigartig und auch überwältigend sind, noch dazu weil sie sehr innovativ, aber zudem auch überzeugend sind. Nicht zu vergessen Hans Zimmers unglaublich eindringlicher Soundtrack. Nolan hatte seinen Langzeit-Komponisten nicht nach dem Drehbuch komponieren lassen, sondern einem Leitfaden der sich sehr persönlich auf Zimmer selbst bezog, ohne das es etwas mit dem eigentlichen Film zu tun hatte. Inhalt des Stückes Papier ist leider unbekannt, die Neugierde schmerzt aber umso heftiger, je weiter sich der Film entwickelt. Von Bombast zu reden, ist fast schon untertrieben. Allerdings dominieren die Musikstücke nicht, auch wenn sie einprägsamer sind, wie so manche Filmpassage. Zimmer hat einen Soundtrack geschrieben, der wie eine empathische Verbindung zwischen den Charakteren und dem Zuschauer fungiert, aber nicht nur den emotionalen Zustand der Figuren, sondern auch den Verlauf des Films bestimmt.
Sollten die einen den Film immer noch als Meisterwerk feiern, und die anderen ihn dennoch als missratenen Science-Fiction-Wust beschimpfen, dann können durchaus beide Parteien recht haben. Aber auch das könnte man wieder der Genialität von Christopher Nolan und seinem Bruder Jonathan zuschreiben, dass sie bewusst diesen steinigen Weg beschrieben, wo eine gefälligere Geschichte durchaus auch Anklang gefunden hätte. Wie man es auch dreht und wendet, könnte auch diese Besprechung von INTERSTELLAR wie die Prämisse des Films zu interpretieren sein, wo sich Ursache und Wirkung vollkommen aufheben. Oder ist es doch so, dass sich die Wirkung auf die Ursache auswirkt? Was für ein spannendes Gedankenexperiment, und wo es nur hinführen möge. Liest jemand diese Besprechung bevor diese Person sich den Film ansehen wird, oder umgekehrt? Oder hat sich jemand in fernen Zukunft diese Besprechung selbst geschrieben, um sich dazu zu animieren, den Film viel früher anzusehen. Das ist natürlich alles viel zu verwirrend, weil es einfach paradox ist. Den Begriff Mindfuck gibt es schon viel länger, aber Nolans INCEPTION hat ihn für das Kinopublikum erst richtig etabliert. Warum? Weil Christopher Nolan es kann. Wissenschaftlich ist die Menschheit noch nicht so weit, aber vielleicht wird Christopher mit seinem Bruder diesen Film machen, weil er viel später diese hinreißende Besprechung dazu lesen wird. Mindfuck!
Darsteller: Matthew McConaughey, Wes Bentley, Jessica Chastain, Anne Hathaway, Elyes Gabel, Michael Caine, John Lithgow, Topher Grace, Casey Affleck u.v.a.
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Bildschnitt: Lee Smith
Musik: Hans Zimmer
Produktionsdesign: Nathan Crowley
Großbritannien – USA / 2014
169 Minuten