In unregelmäßigen Abständen werden hier Filme für das Wochenende vorgestellt, die vielleicht die ein oder andere Erinnerung wecken, oder als Inspiration für einen gemütlichen Abend dienen können. Wie der Titel der Reihe schon andeutet, werden hier selten kulturhistorische Filme besprochen, sondern Werke, die ihre Berechtigung dort fanden, wo das Autokino seiner Bestimmung nachging.
SOLDIER BLUE – nur gekürzt auf DVD und BluRay
Angekündigt als ‚brutalster Film aller Zeiten’, versprach DAS WIEGENLIED VOM TODSCHLAG dem Zuschauer eine wahrhaft neue Art von Film, und gab ihm eine neue Kinoerfahrung. Drei Jahre zuvor wurde das Mainstream-Publikum mit bisher unbekannter Brutalität bei BONNIE & CLYDE überrascht. Doch hier gingen die massigen Einschusslöcher noch durch die Kleidung, wenngleich mit massivem Blutgehalt. Damit wollte sich Regisseur Ralph Nelson aber nicht zufrieden geben. Der Film beginnt wie ein gewöhnlicher Western, kein sehr aufregender Western. Die Einstellungen sind lang, es gibt humorige und skurrile Szenen. Die Darsteller sind allesamt noch unbekannte Gesichter. Die getragene Szenerie hält acht Minuten, da hört man einen Schuss, und dem Partner des Hauptdarstellers wird die Wange zerfetzt. Konnte man an der Stimmung schon festmachen, dass Unheil drohen würde, ist man wahrlich nicht auf dieses Bild gefasst. Der Soldatentreck wird von Cheyenne überfallen, und niedergemetzelt. Alles in expliziten Darstellungen. Es werden nur eine Frau, die zuvor aus der Gefangenschaft dieser Cheyenne befreit wurde, und ein junger Soldat überleben.
Cresta Lee und Honus Gent müssen sich zum nächsten Lager der Kavallerie durchschlagen. Durch ihre Zeit bei den Cheyenne, hat Cresta einiges an Erfahrung über Indianer mitgebracht, und kann sich mit Honus ziemlich sicher durch das gefährliche Gebiet bewegen. Hier schlägt die Stimmung schlagartig wieder um, die Dialoge sind oft witzig, manchmal blanke Satire, und meist sehr böse. Der ständige Schlagabtausch zwischen den beiden ist pures Vergnügen. Das Drehbuch legt Cresta Lee sogar Sätze in den Mund, die sich ganz nach den 1970ern anhören, und keineswegs dem noch wilden Westen zuzuordnen sind. Nach einigen Strapazen, kommen die beiden unversehrt bei der Kavallerie an, welche sich gerade darauf vorbereitet, ein Dorf der Cheyenne anzugreifen. Diese sind bereit, sich zu ergeben, und reiten den Soldaten mit weißer Fahne entgegen.
Orientiert sich der Film an tatsächlichen Ereignissen, erzählt WIEGENLIED VOM TODSCHLAG keine wahre Geschichte. Es ist eine fiktive Erzählung, und die erste in einem amerikanischen Film, die aufzeigt, was möglich war und auch wurde. Wie zum Beispiel das Sand Creek Massaker, dass schlimmste Beispiel amerikanischer Repressalien, welches der Film auch als Quelle für das Drehbuch nennt. Was Ralph Nelson am Ende als Überfall inszeniert, ist lange Zeit das brutalste an Gewaltdarstellung, was man sich vorstellen kann. Könnte man Nelson ohne weiteres den reinen Selbstzweck und Verherrlichung vorwerfen, löst das Massaker beim Zuschauer allerdings etwas anderes aus. Es ist nicht der Ekel vor den Effekten, sondern eine Abscheu vor der eigenen Geschichte. Das DAS WIEGENLIED VOM TODSCHLAG dennoch kontrovers diskutiert und besprochen wird, kann nicht ausbleiben. Kurz vor Filmstart wurde das Massaker von My Lai bekannt, eines der unrühmlichsten der bekannten Gräueltaten während des Vietnamkrieg. Somit hat Ralph Nelson unbewusst einen Bogen von der Vergangenheit in die aktuelle Zeit geschlagen, und dadurch erst recht seine Rechtfertigung gefunden. Von den Darstellern, über die Kameraführung, dem Erzählstil, bis zur Musikuntermalung, gibt sich der Film wie ein herkömmlicher Western, und wiegt den Zuschauer somit immer wieder in Sicherheit, damit der betonte Realismus bei den Massakern ihn mit voller Wucht trifft.
DAS WIEGENLIED VOM TODSCHLAG wird in den Kinos rund um den Globus in ungeschnittener Fassung gezeigt. Später wird die Original-Fassung im deutschen Fernsehen zu sehen sein, und einen Sturm der Entrüstung auslösen. Auf Video und DVD erscheint der Film nur in stark gekürzter Form. Selbst bei der BluRay-Veröffentlichung, die sich ungeschnitten nennt, ist der Film noch immer nicht in der vollständigen Kinofassung zu sehen.
Darsteller: Candice Bergen, Peter Strauss, Donald Pleasance, John Anderson, Jorge Rivero, Dana Elcar, Bob Carraway, Martin West u.a.
Regie: Ralph Nelson
Drehbuch: John Gay, nach dem Buch von Theodore V. Olsen
Kamera: Robert B. Hauser
Bildschnitt: Alex Beaton
Musik: Roy Budd
USA / 1970
Laufzeit variierend