THE BOOK THIEF – Bundesstart 13.03.2014
Den Vorwurf, dass die BÜCHERDIEBIN eine viel zu milde Darstellung der Nazi-Herrschaft abbildet, kann man durchaus geltend machen. In der Tat ist es ein Film, der Brutalität und Willkür meidet. Doch das sieht nur der Erwachsene so. Wie erleben aber Kinder ein derartiges Schreckensregime, die offenen Gräueltaten, oder einfach nur den unterschwelligen Rassismus? DIE BÜCHERDIEBIN verdeutlicht sehr anschaulich und nachvollziehbar, wie sich ein Kind durch so eine fürchterliche Zeit manövrieren muss. Unschuldige Kinder, die weder Rassenfragen kennen, noch den Tod als solches verstehen. Liesel Meminger kommt zu ihren Adoptionseltern Hans und Rosa Hubermann, in die Kleinstadt Molching. Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür, doch davon weiß Liesel nichts, genauso wenig wie sie immer wieder auftauchenden Faschisten versteht. Obwohl, oder gerade weil sie nicht lesen kann, ist sie von Büchern fasziniert. Das geht soweit, dass Liesl sogar nach der Bücherverbrennung ein unversehrtes Buch aus dem Aschehaufen fischt. Der treusorgende und gutmütige Hans bringt ihr das Lesen bei, während die robuste und hartherzig wirkende Rosa das Leben der Familie meistert. Dann steht eines Tages Max vor der Tür, der Sohn eines alten Freundes, der im Keller Unterschlupf findet. Liesel ist von Max fasziniert, denn was einen Juden von anderen Menschen unterscheiden soll, irritiert das Mädchen genau so, wie die Frage, warum man nicht einfach etwas dagegen unternehmen kann.
Brian Percivals Regie ist sehr feinfühlig, die Atmosphäre stets auf einem ehrlichen Niveau. Dabei würde der Stoff reichlich Gelegenheit bieten, die unverhohlene Tränendrüse zu beanspruchen. Doch Liesel geht weniger mit Emotionen durch diese bittere Zeit, sondern viel mehr mit Verwirrung. Und das kann DIE BÜCHERDIEBIN eindrucksvoll vermitteln. Tote Menschen sind keine zerfetzten Leiber, sondern friedvolle Hüllen ohne Leben. Und warum nicht jubelnd durch die Straßen laufen, weil der Deutschland England den Krieg erklärt hat. Ist Krieg nicht ein großes Abenteuer? Der Tod selbst ist der Erzähler, der zugibt von Menschen besessen zu sein, so ist das, wenn man nichts anderes zu tun hat, als sich um sie zu kümmern. Lakonisch meint der Tod, dass er unzählige junge Menschen erlebt hätte, die glaubten gegen den Feind zu Felde zu ziehen, dabei waren sie alle auf dem Weg zu ihm.
Das ausgerechnet der Tod die Geschichte kommentiert, ist keine Verniedlichung des Schreckens. Sondern er macht den Schrecken da greifbar, wo Liesel noch zu unerfahren ist, um zu verstehen. Bisweilen klingt der Tod etwas zynisch, was aber auch damit zu tun hat, der er vom Menschen gerne ignoriert wird. Der Tod, das ist die eigentliche Gänsehaut in Liesels Geschichte. Das Unausweichliche, egal was der Mensch glaubt, dagegen tun zu können. Aus der Romanvorlage den Tod als Erzähler zu übernehmen, war die glücklichste Entscheidung für die BÜCHERDIEBIN. Weniger glücklich, sind die vielen Handlungsstränge, die Michael Petroni unbedingt adaptieren musste, ohne diese befriedigend auflösen zu können. Stellvertretend wäre da das Bürgermeister-Ehepaar Hermann, und deren Einfluss auf Liesels Affinität zum Buch. Die Beziehung innerhalb dieser Ehe, wäre selbst einer näherer Betrachtung wert gewesen. Er als offensichtlicher Regime-Sympathisant, sie als frustrierte Hausfrau ohne Aufgabe. Dazwischen ein junges Mädchen, welches seinen eigenen Weg auch noch nicht gefunden hat, aber auch in den Hermanns keinen Vorbildcharakter finden kann. Auch die Figur des Vaters von Liesels bestem Freund Rudi, macht immer den Eindruck, als wäre ihm in der Handlung und der Entwicklung der Geschichte weit mehr zugedacht gewesen, als er letztendlich zu tun bekommt.
Die narrative Struktur der BÜCHERDIEBIN hat nicht wenige Schwächen. Doch diesen Schwächen stehen ganz große Kino-Momente gegenüber. Florian Ballhaus‘ Bildgestaltung ist einer von diesen großen Momenten. In klar komponierten Einstellungen und Bewegungen, unterstützt er den emotionalen Reigen, der auf die Protagonisten einwirkt. In vielen Sequenzen wird die Handlung allein durch Bilder erzählt, wenn Max zum Beispiel für Liesel ein Tagebuch fertigt. Und das aus einem ganz speziellen Werk. Ballhaus und Regisseur Percival haben weitgehend ohne Spezial- oder Visuelle-Effekte gearbeitet. Und doch erschaffen sie eine glaubhafte Größe und Realität in Kulissen und echten Drehorten. Die Kamera wird zu einem Instrument, das selbst Kunstwerke erschafft, die je nach Anforderungen unterstützen, alleine arbeiten, und dem Zuschauer Abstand, oder Nähe verschaffen. Aber Florian Ballhaus kreiert mit seinem Werkzeug keine selbstgerechten, dem eigenen Ego unterstellten Bilder. Da wird Kino zum sprichwörtlich ganz großen Kino, selbst wenn die Linse nur auf den verstehen wollenden Augen von Liesel ruhen.
Der Fehler von der BÜCHERDIEBIN ist tatsächlich der eher bescheidene Blick eines Kindes auf den Umsturz der Welt. Er will weder das überzogene Melodram sein, noch die Kuschelversion einer brutalen Realität. Das brachte dem Film weit weniger Aufmerksamkeit, als er eigentlich verdient hätte. Denn im Endeffekt ist BÜCHERDIEBIN ein sehr ansprechender Film, der mit genialen Darstellern und harmonierend mit einer formidablen Kamerarbeit, durchaus den Schrecken verständlich macht. Wenn Liesel aus ihrer Sicht heraus Max fragt, ob die Juden sich nicht einfach bei Hitler entschuldigen könnten, da begreifen auch Erwachsene, um wie viel schwerer es für die Kleinen gewesen sein muss, insbesondere diese Welt zu begreifen. Es bedarf also keiner drastischen Bilder, um Wirkung zu erzielen. Als Liesel das Buch aus dem Aschehaufen zieht, und dabei von jemanden zufällig gesehen wird, dann ist die daraus einhergehende Bedrohung nur für den Zuschauer wirklich verständlich. So funktionieren auch bindende Emotionen, ohne Spannungsmomente um der Spannung willen aufbauen zu müssen.
Nur hätte das Drehbuch mehr Mut zeigen dürfen, die verschiedenen angedachten Handlungsstränge entweder zu kappen, oder konkreter auszuarbeiten. Denn hier werden sich nicht wenige Zuschauer fragen, wie die ein oder andere Figur den Ereignissen tatsächlich zuzuordnen ist. So auch am Ende, wenn das Publikum nach einem gewaltigen Zeitsprung aus Liesels weiterem Leben verbannt war, und der Tod seine letzten Worte spricht: Ich wollte der Bücherdiebin sagen, dass sie eine der ganz wenigen Seelen war, die mich rätseln ließen, wie es wäre zu leben. Doch am Ende gab es keine Worte. Nur Frieden.
Darsteller: Der Tod – Roger Allam / Ben Becker, Sophie Nélisse, Geoffrey Rush, Emily Watson, Nico Liersch, Ben Schnetzer, Rainer Bock, Barbara Auer u.v.a.
Regie: Brian Percival
Drehbuch: Michael Petroni, nach dem Buch von Markus Zusak
Kamera: Florian Ballhaus
Bildschnitt: John Wison
Musik: John Williams
Produktionsdesign: Simon Elliot
USA – Deutschland / 2013
zirka 131 Minuten