THE WOLF OF WALL STREET

THE WOLF OF WALL STREET – Bundesstart 16.01.2014

Wolf-of-Wall-Street-2, Copyright Paramunt Pictures / Universal Pictures InternationalDies ist die wahre Geschichte des Jordan Belfort, dessen größtes Glück es war, dass der Börsenmarkt an der Wall Street zusammenbrach, als dort gerade seine Karriere als Makler beginnen sollte. Nun, das war es eben mit dem großen Geld, dafür würde er alles mögliche an Jobs annehmen, um seine junge Familie zu ernähren. Das größte Pech für Jordans Frau Teresa war es, dass sie ihren Mann dazu nötigte, es weiterhin im Börsengeschäft zu versuchen. Dies ist die erste Viertelstunde des WOLF OF WALL STREET. Eine gemäßigte Viertelstunde, denn dann gibt Martin Scorsese Gas, und bleibt mit Bleifuß die verbleibenden 155 Minuten drauf. Die letzten zehn Minuten des Abspanns bleiben wieder zum Luft holen. Es ist leicht, Martin Scorsese als Genie zu betiteln. Jeder tut es, und so würde man selber damit leicht durch kommen. Aber das THE WOLF OF WALL STREET der Geniestreich sein soll, mit dem der Film etikettiert wird, das muss man auf alle Fälle hinterfragen.

Was man Scorsese lassen muss, ist sein Verzicht, erfolgreiche Formeln zu wiederholen. Er ist ein Filmemacher, der sich zwar nicht neu erfindet, aber ausprobiert, experimentiert, und an der Anzahl seiner Werke wächst. Mit WOLF arbeitet er das erste Mal mit Kamermann Rodrigo Prieto zusammen. Eine Fügung, die sich künstlerisch bezahlt macht. Ob Beschleunigung, extreme Entschleunigung, lange Einstellungen, und sehr viel Atmosphäre. Zum richtigen Zeitpunkt, gibt es die richtige Auflösung des Bildes. Doch Pietro leistet sich noch einen kleinen, feinen Trick mehr. Der Prunk des Jordan Belfort, Häuser, Yacht und all der restliche Popanz, wird nicht übersichtlich zur Schau gestellt, sondern wird aus bodenständiger Sicht gezeigt, wie es ein Besucher aus seiner Perspektive wahrnehmen würde. Und wie Thelma Schoonmaker dieses Material zusammengeführt hat, lässt keine Cutterin ahnen, bei der man annehmen müsste, dass sie durch ihre langjährige Erfahrung längst ihren festgefahrenen Weg gefunden hätte. Schoonmaker kreierte mit ihrem Schnitt eine Ode, nicht nur an das moderne Kino, sondern präsentiert sich als Rock ’n‘ Roll in Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll.

Aber was zu viel ist, ist zu viel. Und das ist der ständige Zirkel, in dem sich die Geschichte bewegt. Erfolg, Exzesse, Absturz, neuer Erfolg, Exzesse, Absturz, wiederholt. Das Martin Scorsese aus der wahren Geschichte des Jordan Belfort kein Drama, oder einen Thriller machte, ist klar. Dazu hätte Belfort ein weit clevereres Bürschchen sein müssen, und zeigen wie er vielleicht dem FBI immer wieder ein Naselänge voraus ist. Aber Belfort, der begnadet im Börsenhandel sein mochte, stellt sich eigentlich ziemlich dumm an, zum Beispiel, wie er Geld in die Schweiz schmuggeln lässt. Das ist vielleicht gut gegangen, hätte aber auch umgehend auffliegen können. So blieb Scorsese, und dem Drehbuch von Terence Winter, die Satire. Und Satire ist es, so unglaublich viele absurde Situationen bringt die Handlung hervor, dass man das Bestreben von Scorsese verstehen kann, alles unter zu bringen und damit eine dreistündige Laufzeit zu erreichen. Aber es ist definitiv zu viel, weil sich der Film im ständigen Wechsel von fieberhafter Unruhe, absurder Komik, übersteigerter Obszönität und exzessiver Lautstärke in Jordan Belforts Ansprachen befindet. Ruhige Momente bereiten nur den nächsten Zirkel in diesem Kreislauf vor.

Kontroversen hat es natürlich gegeben, weil Scorsese sehr unreflektiert inszeniert hat. Warum auch nicht, schließlich ist es die wahre Geschichte des Jordan Belforts, der nach einem Gefängisaufenthalt auch nicht geläutert in die Freiheit entlassen wird. Geld fand Belfort schon immer erregend, Frauen und Drogen nicht minder, warum sollte sich das ändern. Noch dazu, wenn er auf Grund seiner vielen übrigen Millionen, die Haftstrafe sehr bequem überstehen konnte. Bei einer Academy internen Vorführung soll ein weibliches Mitglied Scorsese lauthals beschimpft haben, das er sich schämen solle. Nur weil er keinen moralischen Zeigefinger in das Werk einfließen ließ? Das ist dem modernen Kino eben geschuldet, dass nicht alle Geschichten eine politisch korrekte Auflösung finden. Hier fing die Debatte an, ob es überhaupt legitim wäre, einen Helden ohne Läuterung alles durchgehen zu lassen. Der Name des weiblichen Academy-Mitglieds hat nie den Weg an die Öffentlichkeit gefunden. So ein Weg findet sich aber bei so einem Zwischenfall immer. Es könnte durchaus ein Publicity-Stunt gewesen sein, der nach dessen abebben plötzlich eine kontroverse Diskussion in den Medien nach sich zog, ob man einen unmoralischen Verbrecher eine Plattform in dieser Größenordnung zugestehen darf. Der Verdacht liegt natürlich auch hier sehr nahe, dass die Steine des Anstoßes bewusst ins Rollen gebracht wurden.

Die Aufregung ist letztendlich ungerechtfertigt. Übrig bleibt ein Film, der weit von dem entfernt ist, was Martin Scorsese zu seinem anerkannten Status verhalf. Das schmälert keinesfalls die technische Brillanz in THE WOLF OF WALL STREET. Nur hat sich der Regisseur selbst so sehr in diese Dekadenz des Themas verbissen, das er nicht rund läuft, obwohl und weil er sich stets im Kreis dreht. Dafür gibt es herausragende Darsteller, mit den kuriosesten Charakteren die in letzter Zeit im Mainstream-Kino zu bewundern waren. Und das im Dauerfeuer von 155 Minuten. Da kommt der Abspann wirklich gelegen, um endlich wieder Luft zu bekommen.

Wolf-of-Wall-Street-1, Copyright Paramunt Pictures / Universal Pictures International

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Jon Bernthal, Jon Favreau, Rob Reiner, Jean Dujardin u.a.
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Terence Winter
Kamera: Rodrigo Prieto
Bildschnitt: Thelma Schoonmaker
Produktionsdesign: Bob Shaw
USA / 2013
zirka 178 Minuten

Bildrechte: Paramount Pictures / Universal Pictures International
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