ENOUGH SAID – Bundesstart 19.12.2013
Als GENUG GESAGT beim Toronto Filmfestival Prämiere feierte, war James Gandolfini gerade einmal drei Monate tot. Das schockierte nicht nur seine unzählige Kollegen, auch die Industrie und Filmfreunde gleichermaßen. Es ist nicht Gandolfinis letzter Film, aber so kurz nach seinem unvermittelten Ableben, trägt der Film damit eine besondere Leidenschaft. James Gandolfini war keiner dieser extrovertierten Method-Actor, und weit davor entfernt, sich bei jeder neuen Rolle neu zu definieren. Aber er war ein Mann, der stets er selbst blieb, immer dieser liebenswerte Bär als Kumpel-Typ, der sich nicht seinen Charakter ausspielte, sondern die Figurenzeichnung in sich aufnahm. Das machte ihn in seinen Filmen brutal, neurotisch, unberechenbar, aber auch liebenswert, dafür einfach immer ehrlich. Und es macht ihn real und verletzlich in GENUG GESAGT. Einer der bis jetzt beeindrucktesten Charakterstücke, die Filmemacherin Nicole Holofcener bisher auf Bildschirm und Leinwand gebracht hat.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist die geschiedene Eva. Sie ist Masseuse, mit Fünfzig immer noch allein, und ihre Tochter steckt in den Vorbereitungen aufs College zu gehen. Julia Louis-Dreyfus verkörpert diesen ungebrochene, aber auch nicht unbedingt glückliche Frau mit einer ungeheuren Lebensenergie, die den Zuschauer umgehend für sich einnimmt. Louis-Dreyfus ist im Kino nur noch sehr sporadisch zu finden, seit sie das für Filmhauptrollen kritische Alter überschritten hat. Und genau darum geht es auch in Holofceners Film. Um ein gewisses Alter, in dem man schon alles gesehen hat, aber noch immer gnadenlos belehrt wird. Mit einer Situation, in der sie mit Selbstsicherheit und altersweisen Rat der besten Freundin der Tochter Hilfestellung gibt, mit der sie später für ihre eigenen Situation selbst schwer zurecht. Und dabei dreht es sich um Albert, einem Mann ebenfalls über Fünfzig, geschieden und mit Tochter. Albert ist alles außer ein Traummann, zumindest äußerlich. Als sie sich auf einer Gartenparty kennenlernen, tauschen sie weniger Komplimente aus als Aufrichtigkeiten. Ein witziger, direkter Mann, der noch dazu rücksichtsvoll ist, aber auch ehrlich. Das mit dem Erscheinen von Albert auch für Eva Äußerlichkeiten keine Rolle mehr spielen, ist keine Zugeständnis an ihr Alter und den damit einhergehenden Chancen, sondern ein Reifeprozess, in dem Werte und Ansprüche neu formiert sind.
Es gibt eine handlungsbedingte Wendung im zweiten Akt, die zuerst wie ein billiger Trick aus einer beliebigen DESPERATE HOUSEWIVES Episode nach Humor zu schielen scheint. Das stößt zuerst etwas auf, findet aber dann aber eine ebenso überraschende Auflösung, und wird mit einem Mal zu einer der wichtigsten Aussagen in Holofcener Geschichte und Inszenierung. Und das ist, wie weit man sich ins Älterwerden hinein immer wieder beeinflussen lässt, und anstatt die eigenen Gefühle zu respektieren, diese lieber immer wieder hinterfragt. Ein sehr klug beobachtender Film, der in seinen Dialogen so geradeheraus ehrlich ist, dass man diesen Figuren unablässig zuhören möchte. Der Humor ergibt sich nicht aus der Geschichte, oder dem Tun der Charaktere, sondern weil die Darsteller ihre Zeilen nicht als Dialog spielen, sondern als reale Gespräche vermitteln. Ihre Interaktionen sind einfach nur glaubhaft, ohne Überspitzung, ohne künstlerische Überbeanspruchung. Nicole Holofcener lässt ihre brillanten Darsteller einfach nur Mensch sein, gibt ihnen notwendigen Freiraum, und inszeniert sie dabei ohne Voyeurismus, oder Zurschaustellung zugunsten dramatischer Aufwertung.
Das sich Xavier Pérez Grobets Bilder und Robert Frazens Bildschnitt dem klassischen Kino unterwerfen, ohne den fürs Independent-Kino möglichen Eskapaden zu verfallen, ist ein zusätzliches Plus für GENUG GESAGT, weil es nicht von seinen hervorragenden Schauspielern und ihren intelligenten, weil real nachvollziehbaren Einzelszenen ablenkt. ENOUGH SAID ist bestes, weil durchweg gelungenes Ensemble-Kino mit einer herausragenden Julia Louis-Dreyfus und einem durch diesen Film noch schmerzlicher vermissten James Gandolfini. Genug gesagt.
Darsteller: Julia Louis-Dreyfus, James Gandolfini, Toni Collette, Ben Falcone, Catherine Keener, Tavi Gevinson u.a.
Regie & Drehbuch: Nicole Holofcener
Kamera: Xavier Pérez Grobet
Bildschnitt: Robert Frazen
Musik: Marcelo Zarvos
Produktionsdesign: Keith P. Cunningham
USA / 2013
zirka 93 Minuten