LIBERACE – zuviel von allem ist wundervoll

BEHIND THE CANDELABRA – Bundesstart 03.10.2013

Behind-the-Candelabra-1, Copyright HBO Films / DCM Film DistributionFilme von Steven Soderbergh sind eigentlich kein Kassengift. Sie sind allerdings schwer kalkulierbare Projekte. Da gibt es den sperrigen CHE Zweiteiler, den besten Pandemie-Thriller mit CONTAGION, oder den luftig losgelösten MAGIC MIKE. Filme die nicht im Geringsten zusammen passen, dann aber doch zusammengehören, weil sie alle mit einer stringenten Motivation inszeniert sind. Mit der Liberace-Biografie verhält es sich nicht anders, und wird deswegen von allen großen Studios abgelehnt. Trotz Michael Douglas, trotz Matt Damon, und, man kommt nicht daran vorbei, trotz Steven Soderbergh. Alles viel zu schwul, lautete die offene, aber wenigstens ehrlich Absage. Viel zu schwul, hieß es an allen Türen. Die Bigotterie und der Puritanismus im Gottes eigenem Land wird wieder einmal bestätigt. Ein Umdenken in der Fernsehlandschaft lässt sich in Amerika am leichtesten beobachten. Das Bezahlfernsehen schafft, was Hollywood noch immer nicht begriffen hat. Schon seit Jahren findet ein Wandel statt, der das Kino als Leitmedium in der Unterhaltungsindustrie ablösen kann, weil Fernsehsender ihr Publikum ernst nehmen. Und in diesem Zug hat das Bezahlvorbild HBO, Steven Soderbergh mit offenen Armen, und Sinn fürs Geschäftliche empfangen. BEHIND THE CANDELABRA heißt die teilweise erschreckend offene Biografie, über den Virtuosen am Klavier, aber auch den selbstverliebten Soziopathen hinter den Kulissen.

Eigentlich ist es die Geschichte aus der Sicht des jungen Scott Thorson, der dem exaltierten Entertainer nach einer Show in Las Vegas begegnet. Mehrere Jahre verbringen Liberace und Scott in einer grellen Beziehung, bei der sich Scott in Reichtum und Maßlosigkeit wohl fühlt, Liberace auf der anderen Seite Scott als persönlichen Popanz benutzt. Die Beziehung verläuft für beide perfekt, bis bei Auftritten, hinter der Bühne immer wieder ein neues, ein jüngeres Gesicht auftaucht, das Scott seinen Platz streitig macht. Mit Erfolg. Scott wird vor die prunkvollen Türen gesetzt. Allerdings hat er sich so an das ausschweifende Leben gewöhnt, dass er beschließt, seinen ehemaligen Liebhaber auf Schadenersatz zu verklagen. Doch der Film ist keine harte Abrechnung, auch kein Vorführen dieser schillernden Figur. Hier wird kein Schuldiger gesucht, niemand zum Bösen gemacht. Die Handlung hält stets die Waage zwischen Liberace und Scott, die gleichermaßen die Schuld an ihren Miseren tragen. Ein ausgewogener Blick auf beide Figuren, der sehr gut tut, und keine künstliche Kontroverse sucht.

Soderbergh erzählt nicht nur in berauschenden Bildern, wo er die Welt des Liberace spürbar werden lässt. Immer wieder wechseln die Stimmungen in den Aufnahmen, um die emotionale Ebene zu erweitern. So inszeniert er zum Beispiel Matt Damon als Scott stark in den Vordergrund und Douglas als Liberace in Entfernung als Hintergrund, wenn die Beziehung beginnt, erste Risse zu zeigen. Oder er setzt beide Darsteller auf eine optische Ebene, wenn sie intimer werden. Bei den Auftritten selbst wird der Entertainer stets aus der Distanz seines Publikums gezeigt. Eine Distanz, die verdeutlicht, wie fern die wahre Persönlichkeit des Klavier-Künstlers seinen begeisterten Anhängern ist, wo der private Liberace nur den Schein vermittelt, vom einschmeichelnden Entertainer nicht getrennt werden zu können. Bei seinen 36 Regiearbeiten hat Soderbergh unter dem Pseudonym Peter Andrews 21 Mal selbst die Kamera geführt. Und es ist immer wieder eine Vergnügen, diese Bilder auf sich wirken zu lassen, und mit ihnen den jeweiligen Film tiefer zu erkunden.

BEHIND THE CANDELABRA besticht aber auch in den Details, wie Liberaces Bühnenkostüme, oder sein protziger Palast. In einer kurzen Szene sieht man in einer Totalen sogar einen kleinen Hundehaufen auf dem Marmor, die die Schoßhündchen gerne einmal hinterlassen. Nicht wesentlich, aber eindringlicher auf seiner realen Ebene. Doch tatsächlich gewinnt der Film erst mit seinen beiden Darstellern, die nicht nur optisch eine überwältigende Ähnlichkeit zu ihren Figuren aufweisen, obwohl Douglas wesentlich jünger ist, als Liberace zu dieser Zeit, und Damon hingegen viel älter als der reale Scott. Ihre Darstellung hat etwas verspieltes, sehr unbekümmert agieren sie selbst in den überraschend freizügigen Szenen. Lediglich Michael Douglas’ Imitation von Stimme und Diktion Liberaces, dieses leicht tuntige und stets anbiedernde, schlägt manchmal etwas aufs Gemüt, auch wenn sie dem Original perfekt nachempfunden sind.

Sind einzelne Bereiche wie Kamera, Darsteller und Produktionsdesign erstklassig, ist BEHIND THE CANDELABRA im Ganzen kein Film der durchweg überzeugt. Es hakt immer ein bisschen am Tempo, aber auch an der Handlung selbst, die ab und an auf der Stelle tritt. Zudem war es auch nicht unbedingt notwendig, den Film für die außeramerikanischen Märkte ins Kino zu bringen. Denn es fällt auf, dass er als TV-Film konzipiert wurde. Aber es ist eine sehr interessante Perspektive, die Soderbergh gefunden hat, nicht das Leben, aber den Charakter dieser schillernden Persönlichkeit zu beleuchten. Ein sehenswerter, unterhaltsamer und fantastisch gespielter Film, der allerdings ohne das Substantiv „Muss“ läuft.

Behind-the-Candelabra-2, Copyright HBO Films / DCM Film Distribution

Darsteller: Matt Damon, Michael Douglas, Scott Bakula, Dan Aykroyd, Debbie Reynolds, Rob Lowe u.v.a.
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Richard LaGravenese, nach dem Buch von Scott Thorson und Alex Thorleifson
Kamera: Peter Andrews (Soderbergh)
Bildschnitt: Mary Ann Bernard (Soderbergh)
Musik: Marvin Hamlisch
Produktionsdesign: Howard Cummings
USA / 2013
zirka 118 Minuten

Bildquelle: HBO Films / DCM Film Distribution

 

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