BYZANTIUM – Bundesstart 23. Januar 2014
100 BLOODY ACRES – ab 1. Oktober 2013 in Amerika auf DVD / Blu-ray, und als US-Import in Großbritannien
Fast dreißig Jahre nach ZEIT DER WÖLFE, mit dem Neil Jordan erstmals wirklich Aufmerksamkeit erregte, offeriert er wieder eine auf den Kopf gestellte Welt des bekannten Phantastischen. So wie Jordan seinerzeit das Märchen vom Rotkäppchen neu interpretierte, nutzt er Moira Buffinis Vorlage A VAMPIRES STORY, um das Genre um eine neue Variante von unsterblichen Blutsaugern zu bereichern. Es gelingt ihm nur teilweise. Manchmal stehen dem Regisseur Kalenderblatt-Phrasen in Dialogform im Weg, manchmal auch der fehlende Subtext. Die Erlebnisse von Eleanor und Clara sind eine ziemlich geradlinig erzählte Geschichte von zwei Frauen, die sich nicht nur gegen eine harte Männerwelt behaupten müssen, sondern auch seit 200 Jahren ständiger Verfolgung ausgesetzt sind. Auch wenn sich die Handlung von der Neuzeit ausgehend, sehr verschachtelt über Rückblenden erklärt, bleibt BYZANTIUM in seiner Erzählung ein sehr linearer Film. Das ist es, was der Geschichte der zwei Vampir-Frauen tatsächlich fehlt, nämlich eine erweiterte Ebene, die einen philosophischen Ansatz aus der Tristesse des Alltags ihres Lebens erkennen lässt.
Eleanor wurde im jugendlichen Alter zum Vampir, und selbst nach 200 Jahren, hängt ihr diese verlorene Jugend durch rituelle Selbstreflexionen nach. Für ihre Mutter Clara, von erzwungener Prostitution geprägt, sind Männer lediglich Werkzeuge für das eigene Überleben. Simon Elliotts Produktionsdesign definiert sich durch trostlose Betonbauten in der Neuzeit, und einer selbstverständlich anmutenden Atmosphäre schmutziger Lokalitäten in der Vergangenheit. Die Faszination des ewigen Lebens verflüchtigt sich in diesem Ambiente schnell zu einem unbequemen Rahmen für zwei ohnehin gequälte, aber unsterbliche Seelen. Beide Frauen werden Männer kennenlernen, die eine, die jemanden braucht um mit ihm ihr Schicksal teilen zu können, die andere, um lediglich dem eigennützigen Erhaltungstrieb zu folgen. Jeden Anflug von romantischen Attitüden entledigt, wird bei Neil Jordan der Vampir wieder zu einer getriebenen Gestalt, einem ungeliebten Scheinwesen, einem bedauernswerten Geschöpf. Gleichzeitig unschuldig und doch unberechenbar, sensibel aber unerbittlich. Über zwei Jahrhunderte werden die zwei weiblichen Vampire von einem Clan männlicher Unsterblicher verfolgt, weil Clara und Eleanor unrechtmäßig das ewige Leben erhielten. Eine weit mehr als lebenslange Zeit der Verfolgung, der jede Spur von modernem Idealismus im Vampirkino vollkommen abgeht.
Neil Jordans Film ist kein heillos pessimistisches Werk. Doch BYZANTIUM ist ehrlicher, aber auch weniger exotisch, als die Anne Rice‘ Verfilmung von INTERVIEW WITH A VAMPIRE, wo Jordan noch dem Lehrbuch des Vampirismus folgen musste. Hier sind die einst lichtscheuen Gestalten von der Angst vor Tageslicht befreit. Anstelle von Fangzähnen haben sie messerscharfe Daumennägel, die sehr bequem Arterien öffnen. Moira Buffinis Annäherung an die Gestalten der Nacht ist weit vom obligatorischen Horrorfilm entfernt, und Neil Jordans Inszenierung hat eher mit seiner verdrehten Rotkäppchen-Version zu tun, als dem exzellenten, allerdings herkömmlich interpretierten INTERVIEW zu tun. Die Bilder von Sean Bobitt, der sich gerne nüchterner und ruhigerer Darstellungen bedient, wie in SHAME oder PLACE BEYOND THE PINES, kommt Jordans Vorstellung von realistischem Touch sehr entgegen. Lediglich auf jener Insel, die Menschen zu unsterblichen Kreaturen macht, und die Clara und später auch Eleanor verbotenerweise aufsuchen, gönnt der Regisseur dem Publikum einen Hauch Mystizismus, wenn sich die Wasserfälle bei jeder Wandlung rot färben. Ein Bild, das Jordan öfters verwendet, wenn einfaches Wasser die Konsistenz und Farbe von Blut anzunehmen scheint. Durch und durch bleibt BYZANTIUM eine sehr eigenständige Erfahrung. Mal sinnlich, oft sehr brutal, aber streckenweise auch verstörend. Aber getragen von zwei derart einnehmenden Darstellerinnen, das alle Schwächen vom Drehbuch, und eventuell auch in der Inszenierung, wie weggeblasen wirken. Gemma Arterton hat sich schon lange als wandelbares Naturtalent bewiesen, aber Saoirse Ronan ist ohne Übertreibung der emotionale Mittelpunkt. Eine sinnlich zerbrechliche Gestalt, die alles darstellen und zu vermittel vermag. Gerade wenn es darum geht, das gewohnte Bild des Vampirs auf den Kopf zu stellen.
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Mit 100 BLOODY ACRES betritt wieder ein australisches Brüderpaar den Festivalzirkus, um mit einer pointenreichen Splatter-Komödie das Publikum zu begeistern. Vor exakt zehn Jahren waren es die Spierig-Brothers, die mit UNDEAD die Fantasy- und Horrorfestivals erfreuten. Die Brüder Cameron und Colin Cairnes schicken ebenfalls ein Brüderpaar durch das australische Hinterland, um ihren ordentlichen Geschäften nachzugehen. Man kann nur hoffen, dass die Regisseure und Autoren in Personalunion, ihre Protagonisten nicht nach eigenem Vorbild erschaffen haben. Reg und Lindsay haben eine kleine Firma, die organische Düngemittel herstellt. Wichtig ist im Moment nur, wann endlich das erste Mal ihr selbst produzierter Werbespot im Radio zu hören sein wird. Diesen konnten sie sich endlich leisten, weil dank einer neuen Rezeptur, die Geschäfte immer besser laufen. Und der wesentliche Bestandteil der neuen Rezeptur sind Menschen, mit Haut und Haaren. Reg ist der vertrottelte Bruder, der ganz nach dem Klischee der hinterwäldlerischen Dumpfbacke funktioniert. Und Lindsay ist genau das Abbild des brutal finsteren Pragmatikers ohne Herz. Die Cairnes Brüder spielen gekonnt mit diesen Versatzstücken, gerade wenn sie die drei als Opfer deklarierten Jugendlichen ins Rennen schicken. Sophie könnte die betörende Jungfrau, James der besonnene Held, und Wesley der zum Schlachten freigegebene Hampelmann sein.
100 BLOODY ACRES funktioniert Dank der präzisen Leistung von Cameron und Colin Cairnes hervorragend. Stimmung und Ton sind auf den Punkt, und zeigt, das es nicht immer die Hatz durch dunkle Wälder sein muss, um eine mörderische Atmosphäre zu erzeugen. Jetzt wird der Freund von freigelegten Innereien vielleicht den Mangel an Blutgehalt kritisieren, die Splatter-Momente sind tatsächlich spärlich eingesetzt. Dafür gibt es eine Szene mit Reißwolf, die hängen bleiben wird, nicht nur wegen ihrer Grausamkeit, sondern auch wegen der absurden Situation, in die sie eigebettet wurde. Wer weit mehr explizite Darstellungen erhofft hatte, wird dennoch nicht enttäuscht. Der Humor ist bodenständig und nicht überzogen, das Tempo passt, und die Charaktere erweisen sich als etwas besonderes. Denn die Cairnes haben zwar ihre Figuren nach bekannten Mustern angelegt, doch anstatt als Stereotype ihre Rollen zu erfüllen, gibt es markante Veränderungen im Verlauf der Handlung. Hier versteht 100 BLOODY ACRES über den Tellerrand sonstiger Horror-Komödien hinaus zu überzeugen und bestens zu unterhalten. Denn schließlich ist da noch der Werbespot im Radio, der wie ein roter Faden die Geschichte begleitet. Ein solides, sehr eigenständiges Regie-Debut, das Lust auf mehr macht. Vielleicht dann, auch mit ein bisschen mehr Gekröse.
F / 07 SEPT / 21.15 UHR / METROPOLIS
F / 11 SEPT / 15.00 UHR / METROPOLIS
K / 07 SEPT / 21.30 UHR / CINEDOM
K / 10 SEPT / 23.30 UHR / CINEDOM
N / 08 SEPT / 21.30 UHR / CINECITTA
Darsteller: Saoirse Ronan, Gemma Arterton, Daniel Mays, Johnny Lee Miller, Caleb Landry Jones, Barry Cassin, Sam Riley, David Heap, Warren Brown u.v.a.
Regie: Neil Jordan
Drehbuch: Moira Buffini
Kamera: Sean Bobbitt
Bildschnitt: Tony Lawson
Musik: Javier Navarette
Produktionsdesign: Simon Elliott
Großbritannien – Irland – USA / 2012
zirka 118 Minuten
Bildquelle: IFC Films / StudioCanal
F / 09 SEPT / 21.30 UHR / METROPOLIS
K / 09 SEPT / 23.30 UHR / CINEDOM
K / 10 SEPT / 19.45 UHR / CINEDOM
N / 10 SEPT / 21.30 UHR / CINECITTA
N / 12 SEPT / 15.00 UHR / CINECITTA
Darsteller: Damon Herriman, Angus Sampson, Anna McGahan, Oliver Ackland, Jamie Kristian, John Jarrett u.a.
Regie & Drehbuch: Cameron Cairnes, Colin Cairnes
Kamera: John Brawley
Bildschnitt: Joshua Waddell
Produktionsdesign: Tony Cronin
Australien / 2012
zirka 91 Minuten