Der Unbeugsame
Als ich Paul Newman das erste Mal begegnete, konnte man dies als durchaus schockierendes Erlebnis bezeichnen. Obwohl er an der Seite von Robert Redford den schlimmen Finger gab, war er doch einer der zwei sympathischen Helden, Dreh- und Angelpunkt der ZWEI BANDITEN. Und der Film endet im Kugelhagel, dem sich die Helden aussichtslos entgegen stellten. So durfte kein Western enden. Die Zwei waren witzig, der Film war spannend und die Geschichte mit vielen Überraschungen erzählt.
Auch wenn das Endbild gefroren war, in dem Moment als der Kugelhagel begann, war für mich klar, das die Chancen auf Überleben doch gering sein mussten. Paul Newman hat es mir da nicht leicht gemacht. Umso schlimmer, als ich meine zweite, mir in Erinnerung gebliebene Begegnung mit ihm hatte.
Als noch Nicht-Teenager, aber fleißigem Kinogänger waren Elizabeth Taylor und Paul Newman Begriffe die auch für mich schon unauslöschlich mit dem dunklen Saal verbunden waren. Und da steht diesen Idol und herrscht Maggie an, stark angetrunken und auf die Krücke gestützt, sie solle endlich von diesem heißen Blechdach springen. Mir war unbegreiflich, das der Star, der ‚Held‘, eine bekannte Persönlichkeit als erstes auf dem Plakat stehen konnte und doch ein Alkoholiker sein durfte. Von da an lass ich alle Stücke von Tennessee Williams und lernte die Rolle von Brick auswendig, weil es Paul Newman so faszinierend gespielt hatte.
Hollywood ist immer ein Kommen und Gehen gewesen. Mit fortschreitendem Alter kann man zurück blicken und sagen, „ach, schon seinen ersten Film hab‘ ich gesehen, was ist wohl aus ihm geworden?“ Aber am liebsten betrauert man Menschen, die einem so viel Freude bereitet haben, zum nachdenken anregten, oder wenn auch auf Distanz, einen ein Leben lang begleiteten. Bei Paul Newman hatte ich immer Angst. Keine wirklich rational erklärbare Angst. Aber es war immer dieses unheimliche Gefühl, welches mich überfiel, wenn eine andere Persönlichkeit aus Hollywood ging. Mich übermannte dann diese Angst einmal im Radio hören, oder im Fernseher zu sehen, das Newman nicht mehr war. Und sollte der Lauf der Dinge normal von statten gehen, so begründete sich diese Angst, dann müsste ich dieses Erlebnis zwangsläufig irgendwann haben.
Es gab nicht einen Film, in dem ich bemerkte, dass Paul Newman schauspielerte. Ich könnte aber auch nie wirklich behaupten, dass sein Spiel sehr fassettenreich war. Schließlich war er mein Idol, da fällt sehr viel Rationalität und Objektivität hinten herunter. Wann immer ich ihn sah, machte er mir einfach schlichte, kaum zu erklärende Freude. Und er war ein derart fester Bestandteil Hollywoods, das mir einfach nichts anderes übrig blieb, als stets in Demut und tiefster Verbundenheit zu ihm aufzuwachsen. Diese klein wenig weltfremde Ergebenheit zog sich einfach mit ins Alter. Und so erkläre ich mir selbst diese unglaubliche Angst die immer im Hinterkopf hatte.
Sicher, da gab es viele grandiose, filmische Meisterwerke, aber auch wundersame Peinlichkeiten. Tops und Flops. Letztlich lernte ich mich aber mit einem Mann anzufreunden, der mehr und bessere Geschichten jenseits der Kamera zu erzählen hatte. Halt, das ist nicht richtig, weil er selbst nie gerne erzählte. Doch als sein Kinodebut ‚Der silberne Kelch – Silver Calice‘ im Fernsehen Erstausstrahlung hatte, ließ er in einem Branchenblatt eine ganzseitige, aber doch augenzwinkernde Annonce schalten, das er sich für diesen Film entschuldigen wollte.
‚Der zerrissene Vorhang – Torn Curtain‘ hat er mit Alfred Hitchcock gedreht. Eine sehr ungünstige Konstellation von zwei sehr unterschiedlichen Individuen. Dennoch blieb es nicht aus, das man bei einer Gala zu Ehren Hitchcocks auch Paul Newman lud, der auf Bier bestand, anstelle des dargebotenen, allgemein getrunkenen Weines. Zudem entledigte sich der Schauspieler seine Jacketts und hängte es auch noch nicht sehr standesgemäß über die Stuhllehne, noch bevor der erste Redner begonnen hatte.
Sieben mal war er für den Academy Award nominiert gewesen ohne zu gewinnen, bis die Academy das Drama nicht mehr mit ansehen konnte und ihm einen Ehrenoscar verlieh. Genau ein Jahr später gewann Paul Newman als bester Darsteller für ‚Farbe des Geldes – Color of Money‘. Sieben mal war er zu den Verleihungen erschienen, um gegen andere den Kürzeren zu ziehen. Da machte er sich für seine ‚Color of Money‘-Nominierung gar nicht mehr die Mühe. Robert Wise nahm in Newmans Namen den Preis entgegen.
Als seinen Mitstreiter in ‚Color of Money‘ bestand Newman übrigens auf diesen Jungen, ‚der in Unterhose auf dem Sofa getanzt hatte‘. Die Szene aus ‚Risky Business‘ war ihm im Gedächtnis geblieben und sicherte so Tom Cruise die Rolle in der Fortsetzung von ‚Haie der Großstadt – The Hustler‘. ‚Color‘ und der gleichzeitig angelaufene ‚Top Gun‘ zeichneten sich für die beispiellose Karriere von Cruise verantwortlich. Für ‚Hustler‘ war Newman auch als bester Darsteller für den Academy Award nominiert gewesen.
Durch seine Leidenschaft zum Kochen, brachte er Salatsaucen unter dem Label ‚Newmans Own‘ nach wirklich eigenem Rezept auf den Markt, um diese für Wohltätige Zwecke zu verkaufen. Zu den Salatsaucen gesellte sich bald Nudelsaucen, Wein, bis hin zum Tierfutter. ‚Newmans Own‘ unterstützt dabei nicht nur mit dem Gewinn Bedürftige, sondern bezieht seine Zutaten ausschließlich aus heimischen, mittelständigen Betrieben und aus ökologischem Anbau. Der Star bezeichnete diese vor 25 Jahren gegründete Firma als ‚Witz der außer Kontrolle geraten ist‘.
Ende der Sechziger gründete Paul mit streitbaren Freigeistern die Produktionsfirma First Artists. Barbra Streisand und Sidney Poitier gehörten ebenso dazu, wie Steve McQueen. Im Privaten so etwas wie Freunde, gestaltete McQueen die Dreharbeiten für ‚Flammendes Inferno – Towering Inferno‘ umso schwieriger. McQueen war unsicherer was seine Person anging, als er nach außen hin den Eindruck machte. Zuerst wollte er nicht neben Newman spielen, weil der unbestritten der Star sein würde. Die Zusage erfolgte nur, wenn im Drehbuch für McQueen exakt die selbe Anzahl von Dialogzeilen stehen würde wie für Newman. Während der Dreharbeiten konnte das Drehbuch natürlich noch umgeschrieben werden, Steve McQueen zog sich dann aber erst mal in seinen Trailer zurück und verglich die nun neu geschriebenen Dialogzeilen.
Wie ich noch viel jünger war, da kam mir Paul Newman als Privatmann sehr als typischer Hollywoodvertreter vor. Er war einmal geschieden und ebenso Joanne Woodward, die er sofort nach der Scheidung ehelichte. Aber das war fünfzig Jahre her. Das wollte ich gar nicht so richtig wahrhaben. Wie kann man fünfzig Jahre glücklich miteinander verheiratet sein? Die Ehe Woodward – Newman war eine gesunde, ausgeglichene Ehe. Beide gaben sogar einmal enorm viel Geld für eine ganzseitige Anzeige in der Los Angeles Times aus, um Gerüchte um eine Trennung zu dementieren. Aus dem Regiestuhl heraus dirigierte er Joanne in ‚Rachel, Rachel‘ sogar zu einer Oscar Nominierung. Legendär wurde sein Spruch „warum sollte ich mit einem Hamburger herumalbern, wenn ich das Steak zuhause habe“.
Ins Guiness Book of Records schaffte es Newman als ältester Fahrer, der jemals das Daytona Beach 24 Stunden Rennen gewonnen hat. Das war 1995. Bereits 1979 setzte er Maßstäbe als ältester Teilnehmer bei den 24 Stunden von Les Mans. Die Leidenschaft für den Rennsport war die einzige Motivation den sehr mäßigen ‚Indianapolis – Winning‘ zu drehen.
Newman und Redford gaben stets vor ‚aller guten Dinge sind Drei‘ wahr werden zu lassen. Nach ‚Zwei Banditen – Butch Cassidy and the Sundance Kid‘ und ‚Der Clou – The Sting‘ bekräftigten sie immer ihre Absicht, mindestens noch einen Film miteinander zu drehen. Der zweite Teil von ‚Ein unmoralisches Angebot – Indecent Proposal‘ wäre eine Gelegenheit gewesen, bei dem Paul Newman schon nur um des Spaßes Willen zugesagt hatte. Zum Glück lehnte Redford das Angebot für diesen Film ab. Doch bei jedem Sundance Filmfest stellte sich das Traumgespann der Presse mit ihrer Absichtserklärung noch immer nach dem richtigen Drehbuch zu suchen.
Und nun kamen die Nachrichten und dabei ginge es nur um den einen der Zwei Banditen. Den Ton habe ich nicht gehört, aber was bedeutet das schon wenn gegen Ende der Sendung das Bild einer bekannten Persönlichkeit eingeblendet wird. Sein Leben war witzig, spannend und voller Überraschungen. So durfte es eigentlich nicht enden. Für mich fror erneut das Bild ein. Diese irrationale Angst verflog zu einer Ohnmacht. Das war eben der Augenblick, wo man kein Bild mehr sah, aber die Geräuschkulisse den fortlauf der Geschichte erzählte. Denn um mich herum ging das Leben unbekümmert weiter. Der natürliche Lauf der Dinge schob sich über diesen Moment vor dem ich immer Angst hatte und mit dem ich gar nicht so richtig weis, wie ich damit umgehen soll. Jedenfalls bin ich sehr traurig.
Bildquellen: Rolling Stones, Time Magazine, Bettman, Wikipedia, Newmans Own, Barbratimeless, SimonSays, ABC-News