Die 66. Filmfestspiele von Cannes sind am 26.05. beendet worden. Wie zu erwarten war, gibt es unter den Gewinnern Namen, die einem Mainstream-Publikum kaum etwas sagen dürften, also auch für mich zum ersten Mal in Erscheinung traten. Allen voran die Goldene Palme für Abdellatif Kechiche, wie gut das ich den Namen nur schreiben brauche, und nicht aussprechen muss. Gut, eigentlich hat nicht Kechiche, sondern sein Film BLUE IS THE WARMEST COLOR die Goldene Palme gewonnen. Der Regiepreis ging an Amat Escalante. Ja, ich gestehe auch bei diesem Namen. Dafür kenne ich Bérénice Bejo, die den Darstellerpreis für THE PAST bekommen hat, und die Coen-Brüder, Ethan und Joel, die für ihren Film INSIDE LLEWYN DAVIES mit dem Großen Preis ausgezeichnet wurden. Eine gute Wahl, oder hat es schon einmal einen schlechten Film der Coens gegeben? Aber die Beispiele verdeutlichen, dass Cannes zum schwierigen Pflaster wird, wenn man es in seiner ganzen Bandbreite journalistisch ausgewogen aufarbeiten möchte. So war für mich auch dieses Jahr das Filmfestival an Interesse eher vernachlässigt. Bis ich feststellte, dass Paul Newman dabei sein würde.
Bisher kannte ich alle, mit einer einzigen Ausnahme. Jeder verfügbare Film von Paul Newman, sei es über TV, VHS, DVD oder natürlich im Kino, war mir untergekommen. Warum ich die DVD von OUR TOWN solange liegen ließ, die mir seinerzeit in der Woche von Newmans Abschied zugesandt worden war, ist wohl einer naiven Empfindung zu schulden, das unsere Beziehung noch nicht zum Abschluss gebracht werden sollte. Aber wie könnte diese Beziehung tatsächlich enden? Newman hatte als Mensch und Schauspieler einen zu großen Einfluss auf mein Leben, als das sich irgendetwas an meinen Empfindungen ändern könnte, nur weil ich diesen einen Schatz in Form eines nicht gesehenen Filmes bewahrte. Es war ein abstrakter Fehlgedanke, der mit dem Postermotiv der Filmfestspiele von Caness 2013 aufgehoben wurde. Paul Newman war immer, und wird es immer sein. Nicht nur in meinem kleinen persönlichen Leben, sondern erst recht in der Welt des Films.
Während also in Cannes die Wettbewerbe tobten, genoss ich, ohne Chips und Salzletten dafür aber mit drei Bier, die TV-Aufzeichnung von OUR TOWN. Ein Bier für jeden Akt ist absolut vertretbar. Der Bezahlsender ShowTime hat sich dieses Stück 2003 gegönnt, das keine Geringere als Newmans Ehefrau Joanne Woodward produzierte. Es ist ein sogenanntes episches Theaterstück, weil es ohne Pause oder Vorhang gespielt wird, und eventuelle Umbauten von den Darstellern selbst durchgeführt werden. OUR TOWN ist dabei so spartanisch ausgestattet, das es lediglich Tische und Stühle auf den Bühne gibt. Für die Darstellung eines zweiten Stockwerkes in den Häusern, stellen sich die Akteure auf Leitern. Alles andere müssen die Schauspieler pantomimisch zeigen. Es gibt keine Bücher, kein Geschirr, keine Milchflaschen, und selbst der Esel des Milchmannes ist nur als Toneffekt zu hören. Eine sehr ungewöhnliche, aber durchaus spannende Erfahrung, die zuerst verwirrt, dann aber selbstverständlich wird, und schließlich richtig Freude macht.
Die jeweiligen Akte spielen 1901, 1904 und 1913. Eine Handlung ist eigentlich kaum vorhanden. Im Mittelpunkt stehen George und Emily, wie sie sich kennenlernen, ihre Vermählung, und schließlich Emilys Wanderung durch das Totenreich, nachdem sie bei der Geburt eines Kindes verstarb. Es ist die Geschichte einer typisch amerikanischen Kleinstadt, und wie Veränderungen Einzug halten. In dem Stück ist Paul Newman der sogenannte Stage Manager, der Spielleiter, der außerhalb des Stückes spielt. Er wendet sich direkt ans Publikum, er erklärt, er hinterfragt die Figuren, er weist sogar die Schauspieler ein, und manchmal übernimmt er kleine Rolle. OUR TOWN ist als Stück ein wirklich sehenswertes Erlebnis. Dieses Stück dann zum ersten Mal noch mit Paul Newman zu erleben, das ist schon wieder eine ganz andere Klasse.
Das war es, jetzt habe ich alle gesehen, ohne Ausnahme. Und dann? Dann geht es weiter wie bisher. Wieder einmal NOBODYS FOOL schauen, wäre garantiert nicht erst das zweite mal. Oder HUDSUCKER PROXY – DER GROSSE SPRUNG, schließlich hat Newman auch mit den Coen-Brüdern gearbeitet. Und einen schlechten Film von Ethan und Joel gibt es nicht wirklich. Außerdem haben sie dieses Jahr den Großen Preis in Cannes gewonnen. Wenn das kein Zeichen ist, auch wenn man Zeichen selbst deuten kann wie man möchte. Es gibt einen doch ein gutes Gefühl. Und bei Paul Newman ist man immer gut aufgehoben. Es muss ja nicht unbedingt WUSA – MACHENSCHAFTEN sein, oder QUINTET. Warum zum Beispiel nicht A NEW KIND OF LOVE – EINE NEUE ART VON LIEBE. Vielleicht kann man den Film ja neu entdecken. Erinnerungen kommen und gehen. Und das betrifft oft auch die Einschätzung von Filmen. Es wird also noch viele interessante Stunden geben, mit meinem Freund Paul Newman und mir.