Endlich können die unverbesserlichen Puristen und unbelehrbaren Besserwisser schweigen. James Bond ist im Dienste ihrer Majestät angekommen, wo ihn die modernen Kinoverbesserer und festgefahrenen Fanhorden gleichermaßen haben wollten. Der alte Bond ist zurück, und zeigt sich dabei in vollkommen modernem Gewand. Damit sind keineswegs die maßgeschneiderten Anzüge gemeint, sondern eine menschliche Entwicklung, welche bei CASINO ROYALE Erstaunen hervorrief und bei QUANTUM OF SOLACE mit trotziger Ablehnung aufgenommen wurde. SKYFALL ist der Film, der alle vergangenen Ressentiments und angeblichen Schwächen zu rechtfertigen versteht. Dies ist genau der Weg, den die Ikone des Agentenfilms gehen musste, um erstarkt seinen Platz in einer hart umkämpften Finanzwelt des Kinos zu behaupten. Dabei geht es nicht um das Geld als solches, sondern auch um die Chance für EON und die beteiligten Studios, dem begierigen Zuschauer mit Mut und Innovation handfeste und grundehrliche Unterhaltung zu bieten.
Es hat mit der Parkour-Sequenz in CASINO begonnen, die einen schwitzenden, keuchenden James Bond zeigte, der dank seiner Auffassungsgabe überlegen bleibt. Er ist ein Getriebener, für den die Niederlage keine Option ist, auch wenn er unterlegen ist. Viel intensiver als in den vorangegangenen von EON produzierten 22 Filmen ist die Physis der Hauptfigur ein zentraler Bestandteil der Schauwerte um den Geheimagenten geworden. Vom kaltblütigen Kalkül eines ohne Vorwarnung schießenden Connery-Bond bis hin zu den übertriebenen Technik-Kapriolen der Moore-Ära vereint SKYFALL all die liebgewordenen, aber auch festgefahrenen Klischees, um diese schließlich aufzubrechen und etwas daraus zu generieren, das in der Reihe neu ist, dennoch aber die Wirkung jener Klischees erfüllt.
Daniel Craig, jene ehemals gescholtene Fehlbesetzung, ist ein verwundbarer, ein schwitzender und zittriger James Bond, einer außer Atem. Dieser Umstand ist allerdings nicht seinem Alter geschuldet, wie man fälschlicherweise gerne annehmen möchte, weil das moderne Action-Kino eigentlich nicht mit Darstellern besetzt ist, welche das vierzigste Lebensjahr bereits überschritten haben. Was Daniel Craigs James Bond zu einem körperlichen Wrack macht, ist eben jener körperliche Einsatz, den er unerlässlich und über allen Maßen erbringt. Das ausgezeichnete Drehbuch von SKYFALL verrät dabei nicht die Interpretation vorangegangener Bond-Darsteller, sondern lässt diese in Daniel Craigs Auslegungen des Charakters mit einfließen.
Unter der Regie von Sam Mendes entwirft Kamera-Genie Roger Deakins immer wieder Situationen, in welchen man Daniel Craig auch als tatsächlich Agierenden innerhalb der Action-Sequenzen erkennt. Versicherungstechnisch ist das vielleicht bei der grandiosen Verfolgung auf den Dächern des Grand Bazaar nicht so häufig möglich gewesen. Es ist ein atemberaubender Ritt auf Motorrädern, der an die älteren Zeiten erinnert, wo ein Bond-Film immer mit spektakulären Stunts aufwartete, wie die Ski-Verfolgung in einem Eiskanal bei IN TÖDLICHER MISSION – FOR YOUR EYES ONLY. Das hat sich mit der Eingangssequenz in CASINO so gehalten, in QUANTUM unter anderem im brennenden Hotel fortgesetzt, und wird bei SKYFALL in jedem Action-Setting zelebriert. Sei es ein entgleisender U-Bahn-Zug, der Bagger auf einem fahrenden Zug, oder rasende Motorräder über dem Grand Bazaar. Man bekommt gezeigt, das hier soweit es ging ohne Tricks gearbeitet wurde.
Aber SKYFALL ist kein Film der allein durch seine Action besticht. Tatsächlich nimmt die Action einen weit geringeren Anteil der Laufzeit in Anspruch, als bei den Vorgängern. Doch trotz einer Laufzeit von 142 Minuten entsteht kein Leergerede. Die Dialoge sind geschliffen und auf den Punkt. Können Dialogszenen im ersten Moment als Zeitschinder missverstanden werden, entpuppen sie sich stets als Charakterentwicklung und Handlungsfortlauf. Bonds Aufenthalt in einem Museum und dem damit verbundenen Treffen mit einem zukünftigen Stammcharakter ist zweifelloser Höhepunkt dessen, was die drei Autoren Purvis Wade und Logan in tadelloser Weise verfasst haben. Die Figur Bond ist immer an den Stellen leicht zurückgenommen, wo es um die begleitenden Charaktere geht. Keiner muss gegen den anderen anspielen, sondern darf sich selbst entfalten. Das gilt nicht nur für die wie immer exzellente Judi Dench, den überraschend guten Ben Whishaw, den sehr zurückhaltenden Ralph Fiennes, oder die bezaubernde Naomie Harris. In erster Linie ist es Javier Bardem der von dem ausgefeilten Drehbuch und dem eigentlichen Charakter-Regisseur Mendes profitiert. Schließlich war der Bösewicht bei Bond schon immer der wesentliche Bestandteil, der zum Gelingen der Filme beitrug. Das hat in der Reihe stets mit unterschiedlichen Resultaten funktioniert. Aber Bardem lässt sich wirklich nicht halten. Sein Genie und Wahnsinn können gar nicht dichter beieinanderliegen, er ist mit Abstand einer der undurchsichtigsten und unberechenbarsten Wiedersacher James Bonds. Und sein Spiel ist einfach überragend.
Der Film stellt sich selbst einer durchaus interessanten Herausforderung, wenn er das „sexistische, überholte Relikt des Kalten Krieges“ der modernen Form des Terrors gegenübersetzt. Wenn er in Frage stellt, ob die Methoden eines Doppel-Null-Agenten noch angebracht oder sinnvoll sind. Führte man früher geheimdienstliche Kriege noch aus den Schatten heraus, gäbe es in Zeiten der weltweiten Vernetzung und des Cyber-Terrorismus diese Schatten nicht mehr. James Bond ist antiquiert, weil das Böse nicht mehr die Schatten suchen muss. Damit konfrontiert sich der Film mit seiner eigenen Geschichte, wobei er genau mit dieser Geschichte auch eine Rechtfertigung für das angebliche Relikt findet. Die Schatten gibt es noch immer, und sie sind sogar noch tiefer und unergründlicher geworden. Die Formen des Bösen mögen sich geändert haben, nicht aber unbedingt die Methoden, dieses Übel auszumerzen. Es ist ein Prozess des Umdenkens, der den Figuren während des Films auferlegt wird, und gleichzeitig orientiert sich der Film selbst daran, indem er die Figur Bond diesen Veränderungen in Gestalt von Handlungselementen anpasst.
Bei CASINO ROYALE hat es noch geregnet. Bis dahin hatte es noch nie in einem James-Bond-Film geregnet. Aber es war schließlich der Beginn einer Entwicklung, der wir bisher noch nie beiwohnen durften. In SKYFALL regnet es nicht mehr, das stets trübe Wetter Schottlands zählt dabei nicht. Man ist also auch in den Locations angekommen, in die ein Geheimagent seiner Majestät hingehört. Atemberaubende Kulissen Shanghais, ungewöhnliche Ansichten eines sonst bekannten Londons, und in Macau eines der markantesten Hauptquartiere eines Widersachers überhaupt. SKYFALL setzt viele kleine Höhepunkte innerhalb der Serie, aber nicht nur bei den Stunts, Darstellern, Dialogen oder den exotischen Schauplätzen, sondern auch beim Setdesign, das nicht von ungefähr an die legendären Bauten von Ken Adam erinnert. In erster Linie betrifft dies das Ausweichquartier des englischen Geheimdienstes in den Bunkerkatakomben im Londoner Untergrund. Das Ganze wirkt nicht einfach nur altmodisch oder am Ende vielleicht sogar billig. Das MI6 nun in den ehemaligen Tunnelgängen von Churchill hat etwas wirklich Modernes, sogar eine gewisse hippe Art von Setting. Auch das ist ein wesentlicher Bestandteil der vorangegangenen 22 EON-Bonds gewesen, dass die Kulissen immer etwas Besonderes aber auch Eigenwilliges in diesem Universum darstellten.
Was überhaupt macht einen Bond-Film aus, wenn man rückblickend auf die Serie blickt? Da sind zum Beispiel die Frauen, die oftmals gewissenlos benutzt werden. Das ist in SKYFALL gegeben, und bei CASINO ROYALE durfte man auch erfahren, was den Frischling mit der Doppel-0 zu diesem gewissenlosen Charakter werden ließ. Aber da gibt es noch die exotischen Schauplätze. Zweifellos abgehakt. Oder der größenwahnsinnige Bösewicht. Ohne Frage geklärt. Der trockene Humor, der sich in treffenden Einzeilern wiederspiegelt. Oha, da mag man etwas wiederfinden, was die letzten zwei Teile vermissen ließen. Nein, es ist alles da, wo es hingehört, und wo es das zielorientierte Publikum auch zu erwarten hoffte. Der Humor, der bei Connery ziemlich bissig war und bei Moore etwas überheblich klang, ist mit Daniel Craig genau am Puls der Zeit. Humor, der auf den Punkt kommt, aber als Element nicht dominieren muss. Und vor allem ist er an keiner Stelle unangebracht.
Thomas Newman, der auf Wunsch von Sam Mendes David Arnold als Komponisten ablöste, hat einen sehr effizienten Soundtrack geschrieben. Während die Musik für sich allein stehend keinen tieferen Eindruck hinterlässt, ist sie im Film wirkungsvoll unterstützend. Dominant wird die musikalische Untermalung nur an den Stellen, wenn Newman das von Monty Norman komponierte James-Bond-Thema einbindet. Leider verwendet Newman das Thema des Titelliedes Skyfall nur in einem einzigen Stück, und dies an einem Punkt, der ziemlich wahllos erscheint.
SKYFALL scheint keinen Fehler zu machen. Er wird seinem Zielpublikum gerecht und hat auch keine Mühe, neue Fans zu finden. Ist es dann auch der beste Bond-Film in der EON-Reihe? Das liegt wie immer im Auge des Betrachters und am Geschmack des Zuschauers. Ohne Übertreibung kann man aber sagen, dass es der nachfolgende Film sehr schwer haben wird, diese Qualität zu halten. Es gibt eine Szene, in welcher der Böse versucht, den Geheimagenten zu demütigen, Craig aber mit einem Lächeln und einem süffisanten Spruch kontert und somit Bardem aus der Fassung bringt. Erst als Bardem Craig den Rücken zuwendet, wandelt sich für einen Bruchteil einer Sekunde dieses überhebliche Lächeln in ein angeekeltes Zucken ob dieser versuchten Demütigung. Diese kleinen Momente sind es, die wie die Limonenschale den Wodka-Martini perfekt abrunden. Oder diese kurze aber kindliche Begeisterung in Craigs Gesicht, wenn eine Bardame einen Mixbecher schüttelt, ohne dass man die eigentliche Bestellung gehört hätte. James Bond darf jetzt auch Mensch sein, was ihn am Ende nur noch gefährlicher macht. Er ist endgültig im 21. Jahrhundert angekommen, gestärkt und seinen Platz ganz oben bei den Kino-Ikonen behauptend.
Editorial zu Adele und dem aktuelle Bond-Song
Darsteller: Daniel Craig, Judi Dench, Javier Bardem, Ralph Fiennes, Naomie Harris, Berenice Marlohe, Ben Whishaw, Albert Finney, Rory Kinnear, Ole Rapace u.v.a.
Regie: Sam Mendes
Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade, John Logan
Kamera: Roger Deakins
Bildschnitt: Stuart Baird
Musik: Thomas Newman
Produktionsdesign: Dennis Gassner
Großbritannien / 2012
zirka 143 Minuten