Er hat einen Bürgerkrieg in Kauf genommen, um das Land am Ende doch zu einen. Der Aufbruch des Landes während seiner Präsidentschaft führte ein Amerika ohne Identität zu der heutigen Weltmacht. Für die Geschichte und Entwicklung der Nation war er zweifellos der bislang wichtigste Präsident. Und zu der Befreiung der Sklaven gesellt sich jetzt noch die Befreiung des Landes von Vampiren. Es hört sich nicht nur bizarr an, sondern scheint grundsätzlich eine absurde Idee zu sein. Der einflussreichste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika als Vampirjäger. Was für ein Gedanke.
Rund um die politische Karriere des „ehrlichen Abe“ spinnt der Autor des Buches und des Scripts Seth Grahame-Smith die bisher unbekannte Mär, was Abraham Lincoln tatsächlich widerfahren ist und ihn angetrieben hat. Vampire haben seine Mutter getötet, und deshalb schwört er sich bereits in ganz jungen Jahren, dass diese Biester auszurotten sind. Unterweisende Hilfe und Ausbildung erhält der angehende Rechtsanwalt Lincoln von Henry Sturgess, selbst ein Vampir, aber mit einem sehr persönlichen Anliegen. Und wie soll das alles zusammenpassen? Nun, es passt zusammen. Erstaunlich gut sogar.
Natürlich musste sich Grahame-Smith die Historie an der einen und anderen Stelle etwas zurechtbiegen. Aber für einen Unterhaltungsfilm, der die großen Schauwerte sucht, bleibt er erstaunlich nah an den wirklichen Ereignissen. Mit der Einflechtung des Vampirplots gelingen dem Autor sogar überraschende, erfundene Erklärungen für reale, politische Entscheidungen. Lincolns gesamten Werdegang wälzt Grahame-Smith auf die Vampirmythologie um. Es hätte tatsächlich sehr schnell sehr lächerlich werden können. Am Ende ist aber gerade die Verschmelzung dieser zwei Handlungsstränge zu einer einzigen, kompakten Geschichte das wirklich spannende an ABRAHAM LINCOLN: VAMPIRJÄGER.
Regisseur Timur Bekmambetov hatte sich bereits vor vier Jahren mit WANTED in amerikanischen Action-Gefilden austoben dürfen, was weniger erfolgreich ausfiel. Aber zuvor war er mit den russischen Produktionen WÄCHTER DER NACHT und WÄCHTER DES TAGES dem actionverwöhnten Westen aufgefallen. Filme, die so gar nicht den Sehgewohnheiten entsprachen, die man aus dem amerikanischen Kino gewohnt war. Mit einer freieren Hand, als Universal ihm bei WANTED zugestanden hatte, konnte sich Cent-Fox mit Bekmambetov bei ABRAHAM LINCOLN: VAMPIRJÄGER fast schon auf der sicheren Seite fühlen. Und der Russe enttäuscht nicht. Anfangs nimmt der Film nur zögerlich Fahrt auf, doch plötzlich hat er eine stete Geschwindigkeit erreicht, die nicht den Hauch von Leerlauf zulässt. Das große Plus ist auch Bekmambetovs zügige Inszenierung der einzelnen Action-Sequenzen. Diese kommen zwar ohne die mittlerweile schon üblichen extremen Entschleunigungen und akrobatischen Choreografien nicht mehr aus, sind aber auf den Punkt und niemals künstlich gestreckt. An manchen Stellen steigt der Schnitt sogar unmittelbar in die Action ein und verzichtet dabei komplett auf einen zeitschindenden Spannungsaufbau. Timur Bekmambetov weiß, was notwendig ist und was stört. Und er weiß, dass vieles auch funktioniert, ohne dass man sich an die Fibel des Mainstream-Kinos halten muss.
Benjamin Walker ist für den 16ten Präsidenten der Vereinigten Staaten sehr gut ausgesucht. Obwohl oder vielleicht gerade weil man ständig glaubt, den jungen Liam Neeson auf der Leinwand zu sehen. Tatsächlich haben Walker und Neeson in KINSEY beide das jüngere beziehungsweise ältere Alter Ego des Sexual-Forschers verkörpert. Aber Walkers Physiognomie ist dem historischen Vorbild Lincolns schon sehr nahe. Action-Filme fordern ihre Hauptdarsteller eher selten, und so kann man über Benjamin Walkers Schauspielkunst nur wenig aussagen. Zumindest trägt er diesen Film, und das mit graziösem Charme und überzeugendem körperlichen Einsatz. Schade nur, dass sein Gegenspieler Rufus Sewell so wenig zu tun bekommen hat. Sewell wieder einmal in einer größeren Rolle erleben zu dürfen, hätte viel Freude bereitet.
Henry Jackmans Musik ist zwar stimmig und unaufdringlich, aber man könnte meinen, immer wieder Daft Punks TRON-Soundtrack herauszuhören. Caleb Deschanels Bilder sind stimmungsvoll, heben sich allerdings nicht besonders hervor, auch was die Kameraführung anbelangt. Was vielleicht dem Umstand zu schulden ist, dass Bekmambetov wohl normal auf Film drehen wollte, eine 3-D-Konvertierung aber immer im Hinterkopf hatte. So bleibt ein Kameramann im kreativen Prozess zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Herangehensweisen hängen. Wiederum gibt es einige Einstellungen vor allem auf den Bürgerkrieg-Schlachtfeldern, die stark an Original-Fotografien aus dieser Zeit angelehnt sind. Ob das Regieanweisungen waren oder eigenständige Bildgestaltung ist, kann man nicht nachvollziehen. Vielleicht war es sogar eine gesunde Mischung aller kreativen Abteilungen. Auf alle Fälle wertet es die optische Ebene ungemein auf. Wobei auch die am Computer generierten Bilder des im Bau befindlichen Kapitols durchaus einen wunderbaren, weil opulenten Eindruck hinterlassen.
Leider hat man auch bei ABRAHAM LINCOLN: VAMIRJÄGER nicht darauf verzichtet, angreifende Vampire mit unoriginellen Fratzen auszustatten. Diese verzerrten Fratzen wirken nicht bedrohlicher, dafür einfallslos und althergebracht. Doch man muss auch Abstriche hinnehmen bei einem Film über den bedeutendsten amerikanischen Präsidenten, der Vampire jagt. Denn wann immer man sich diese Prämisse durch den Kopf gehen lässt, dann hört sich das nach einer sehr absurden Idee an. Hätte auch schlimm enden können. Aber es ging auf, erstaunlich gut sogar. Das Ganze macht dann doch so viel Spaß, dass man die Überspitzungen im Showdown ohne Weiteres hinnehmen kann. Es gab in den letzten Jahren weit schlimmere Verfehlungen im Action-Kino, wozu eben auch Bekmambetovs WANTED zählt. Der VAMPIRJÄGER ist kein Grenzen sprengender Wurf, aber wenigstens verlässt er immer wieder einmal die üblichen Sehgewohnheiten, ist erfrischend kurzweilig und für das Mainstream-Kino die perfekte Unterhaltung.
Darsteller: Benjamin Walker, Dominic Cooper, Anthony Mackie, Mary Elizabeth Winstead, Rufus Sewell, Marton Csokas, Jimmi Simpson, Joseph Mawle, Robin McLeavy u.a.
Regie: Timur Bekmambetov
Drehbuch: Seth Grahame-Smith, nach seinem Roman
Kamera: Caleb Deschanel
Bildschnitt: William Hoy
Musik: Henry Jackman
Produktionsdesign: Francois Audouy
USA / 2012
zirka 105 Minuten