ANDREAS: Außer Spesen …
Was, bitte schön, war das denn? Habe ich gerade die 83. Oscarverleihung komplett gesehen? Oder bin ich, ohne es zu merken, zwischendurch immer wieder mal eingenickt und habe ich die überraschendsten, die berührendsten, die komischsten Momente zufällig verpasst? Ich befürchte, dass das nicht der Fall war, ich befürchte, dass diese Show arm war an Überraschungen, an Emotionen und sogar an Witzen.
Eine der wenigen Ausnahmen kam relativ zu Beginn der Show, als eine sichtlich geschockte und, ja, berührte Melissa Leo die Auszeichnung aus den Händen von Kirk Douglas entgegennahm, der sich zuvor als einer der witzigsten Präsentatoren erwiesen hatte. Sein „you know“, mit dem er immer noch eine Anekdote erzählte und die Nominierten auf die Folter spannte, hätte man zum Running Gag des Abends entwickeln können. Wenn, ja wenn man spontan gewesen wäre. So wurde dieser Witz nur noch ein einziges Mal danach erwähnt. Melisso Leo fand dann doch noch Worte, von denen eines mit F begann und viele andere voller Gefühl waren. Hätte man es zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, man hätte hiernach ausschalten können und hätte die Show für sich selber beendet, als sie am schönsten war.
Dabei wurden in der Pre-Show die erinnernswertesten Momente vergangener Verleihungen gezeigt. Offensichtlich nichtsahnend, dass man diesen Einspieler ohne Veränderungen und Ergänzungen auch im nächsten Jahr wieder verwenden kann. Für eine durchgehende Struktur konnte man sich dieses Mal erst recht nicht entscheiden. Ein paar Mal wurden auf die Bühne Bilder prämierter vergangener Filme gezeigt, im Gedächtnis geblieben davon sind „Vom Winde verweht“ und „Titanic“. Man wolle den Zuschauer auf eine Reise durch die Filmhistorie mitnehmen, hieß es im Vorfeld. Vielleicht lag es ja an mir, aber weder habe ich mich auf einer Reise gefühlt, noch konnte ich sonst irgendeine sinnvolle Struktur erkennen, wann und zu welchem Zweck man Ausschnitte alter Filme zeigte. Aber nicht nur in diesem Fall ging bei der Präsentation der Show etwas schief. Warum man ausgerechnet Anne Hathaway und James Franco als Moderatoren ausgewählt hatte, darauf machten sie am Anfang selbst eine Anspielung: Um junge Zuschauer zu ködern. Konnte die bezaubernde Anne wenigstens durch ihr sympathisches Wesen noch die Wahl rechtfertigen, hätte es bei Franco gereicht, einen Pappaufsteller hinzustellen. Dass er ein sehr guter Schauspieler ist, hatte er durch sein steifes Auftreten jedenfalls schnell vergessen lassen. Die Rolle des Moderatoren lag ihm nicht.
Als dann Billy Crystal auftrat, hatte man unweigerlich das Gefühl, die Show würde jetzt erst richtig beginnen, als käme jetzt erst der echte Moderator auf die Bühne. Da war plötzlich der Mann, den alle mit den Oscars in Verbindung bringen. Und er macht gleich noch einen guten Gag darüber, dass die Show angeblich überzieht. Dessen nicht genug, erinnert er an Bob Hope, der die Oscars 18. Mal präsentiert hat. Und in kurzen wenigen Ausschnitten reißt Bob Hope Witze, die besser als das meiste sind, was man sonst an diesem Abend hört. So demontiert man live in der Show seine eigenen Moderatoren.
So geht der Abend langsam vorbei. Als Colin Firth seinen Oscar bekommt und eine trockene Rede hält, die zwar witzig ist, aber den Eindruck vermittelt, dass man bereits vor der Show aufgenommen hat, so glatt ist sie, und als schließlich King’s Speech den Oscar für den besten Film erhält, da endet ein Abend ohne Überraschungen, der zwar ein paar unkonventionellere Entscheidungen gesehen hat, aber wenig Herausragendes. King’s Speech darf sich wie erwartet der Gewinner dieses Abends nennen, obwohl Inception genauso viele Oscars gewonnen hat. Die eigentlichen Verlierer sind die Zuschauer, an die nach der Wahl der Moderatoren kaum einer mehr gedacht hat. Schade eigentlich.
UWE: Bis zu diesem, dem entscheidenden Abend, war mir überhaupt nicht bewusst gewesen, wie unspektakulär diese Preisverleihung werden würde. Mir wurde in diesen frühen Morgenstunden erst vollkommen klar, was für ein fantastisches Kinojahr wir 2010 hatten. INCEPTION, TRON: LEGACY, KING’S SPEECH, TRUE GRIT, SOCIAL NETWORK etc. etc. etc. Gut, in Deutschland ist die Hälfte davon erst 2011 gestartet, aber wir reden hier ja auch über den Oscar. Und all diese fantastischen Filme gaben sich schließlich im Kodak-Theatre die Klinke, Verzeihung, die Umschläge in die Hand. Es gab nichts zu fiebern, kein Daumen drücken. Zugegeben, ich wollte Portman nicht auf der Bühne sehen, aber sei es drum. Egal, in welcher Kategorie welcher Film den Goldjungen zugesprochen bekam, es spielte keine Rolle. Außer bei Portman vielleicht.
Jetzt, im Nachhinein, bin ich absolut zufrieden. Die Academy hat meinen dringend notwendigen Segen, für jeden der erkorenen Sieger. Na ja, man kennt meinen einen Einwand. Das stimmt zum einen wohlgelaunt, zum anderen aber auch ein bisschen traurig, fehlt einem doch das herausgebrüllte ‚Nicht doch‘, das die wenig Verständnis zeigende Nachbarschaft mitten in der Nacht bei Laune hält.
Aber es ist ja nicht so, dass es nicht genug Aufreger geben würde. Wo war der Witz? Als Gagschreiber seit der Erfindung des Rades stöhnt Bruce Vilanch jedes Jahr aufs Neue, wie schwer es ist, Zuschauer wie Insider gleichermaßen bei Laune zu halten. Mister Vilanch, dieses Jahr haben Sie nicht einen einzigen bei Laune gehalten. Nicht eine Zeile bei den Moderatoren oder bei den Präsentatoren, die einen Lacher erzeugt hätte. Sandra Bullock sprach ihre vorgestellten Anwärter auf den Besten Hauptdarsteller alle persönlich an, da war plötzlich Witz und Ironie im Saal. Man muss aber davon ausgehen, dass Bullock ihren Text selber verfasste. Vorjahressiegerin Kathryn Bigelow weigerte sich bereits im Vorfeld, den für sie geschriebenen Text abzulesen, weswegen Hilary Swank als Präsentatorin für die Präsentatorin herhalten musste.
Das Moderatoren-Paar Anne Hathaway und James Franco war alles andere als ein guter Gastgeber. Lag es an den Texten, lag es an deren Ausstrahlung, sie funktionierten einfach nicht. Ständig lag dieses Gefühl im Raum, sie würden gerne ganz wo anders sein. Bei einer Anmoderation stand Franco auf einmal in Frauenklamotten auf der Bühne. Warum, wird wohl ein Rätsel bleiben, wie so vieles an dieser Veranstaltung ein Rätsel blieb. Nichts passte zusammen, nichts griff ineinander, kein Text bezog sich auf vorausgegangene Ereignisse. Als Billy Crystal seinen allseits bekannten Überraschungsauftritt hatte, erfüllte er die Bühne sofort mit diesem Flair eines richtigen Entertainers. Auch Crystal war schon weit lustiger, trotzdem rief er allen Anwesenden sofort ins Bewusstsein, dass weder Hathaway noch Franco der Aufgabe dieses Abends gewachsen waren. Mit der Absicht engagiert, mehr und vor allem jüngeres Publikum vor die Glotze zu bekommen, dürfte dieses Paar mit diesen Auftritten eher der Abschalter gewesen sein.
Oh, Moment, da gab es diesen Moment, der sogar zwei- oder dreimal aufgegriffen wurde. Es war Melissa Leos in den Saal gerufenes Fuck. In Deutschland unzensiert, hatte ABC in Amerika dank eines siebensekündigen Versatzes reichlich Zeit, ein Piep drüber zu legen. Der Aufreger ist und bleibt es dennoch, wie konnte diese Frau nur… Leo war auch noch so dumm, sich hinterher vor der Presse dafür zu entschuldigen. Da wird einem seit 83 Jahren eingeredet, dass ein Oscar-Gewinn der wichtigste Moment im Leben eines Menschen ist, an Wichtigkeit noch vor der eigenen Geburt kommt, und dann wird so was zum Thema in der Presse?
Hat wenigstens die Ton-Technik ordentlich eins auf die Finger bekommen, ständig die Sprach-Mikros leiser zu pegeln als die Musik. Peinlich, peinlich.
Ich überlege hingegen noch, was so überaus witzig daran sein sollte, Hugh Jackmans Namen mit Huge Jackass zu veralbern? Ein ‚riesiger Blödmann‘ war höchstens das Genie, das als Christoph-Waltz-Ersatz ausgerechnet Kirk Douglas auf die Bühne holte. Dieser leider schwerst von Schlaganfall und Alter geprägte Mann wollte bestimmt seine Aufgabe mit Freude erfüllen, aber keiner hatte die Weisheit, ihm davon abzuraten. Der Auftritt dieser Ikone kam einer diffamierenden Zurschaustellung gleich. Natürlich wäre so mancher froh, mit solchen Einschränkungen so einen Auftritt noch meistern zu können, aber bei diesem Helden der Leinwand war es absolut unangemessen und tat einfach nur weh.
Der zwanzigfach nominierte und, seit dieser Nacht, zweifach prämierte Randy Newman brachte eine der zwei einzig erwähnenswerten Dankesreden. Das muss auch einmal gesagt werden, um besser gelaunt aus diesem Kommentar zu kommen. Zwanzig Mal auf das Szenario eines Gewinnes eingestimmt, wollte er seine Dankesrede nicht vom Zettel ablesen, wie er dem amüsierten Publikum mitteilte, weil die Fernsehleute ihm immer wieder eingebläut hätten, dass ein Zettel in der Hand nicht nach ‚gutem Fernsehen‘ aussähe. Und einen für mich versöhnlichen Abschluss, nach all den Ärgernissen, erzielte dann Colin Firth mit seiner Dankesrede. Worte, die, kaum ausgesprochen, schon zum Klassiker mutiert waren. Ich wage es nicht, dies zu übersetzen. So etwas kann man nicht übersetzen. Und wer es nicht versteht, hat einfach Pech gehabt. Dabei stelle man sich diesen zurückhaltenden, kultivierten Briten vor, wie er sichtlich gerührt seine Statue betrachtet: „I’m afraid I have to warn you that I’m experiencing stirrings somewhere in the upper abdominals which are threatening to form themselves into dance moves.“