3-D – Der Anfang

Dieser Artikel wurde bereits im Mai 2009 verfasst.

Briefe an die dritte Dimension

Lieber Jeffrey,

das Internet ist wie Dumbo, wenn ich diesen Vergleich in Anspielung auf Deine ehemalige Anstellung bei Disney gebrauchen darf. Der Elefant vergisst nie, und die Ohren sind so groß, dass nichts ungehört bleibt.

Was war das letzten Herbst in Singapur, als Du großspurig verkündet hast, dass in spätestens sieben Jahre alle Filme in 3-D auf den Markt kommen sollen.

Du möchtest scheinbar so eine Art Vorreiter für 3-D werden. Nicht schlecht, aber auch wenn Du als Chef von DreamWorks Animation der erste warst, der eine vollständige Umstellung auf 3-D ab 2009 ankündigte, hat Disney da einiges voraus. Die waren die ersten, die mit CHICKEN LITTLE 2005 einen digitalen 3-D-Film in die Kinos brachten. Und trotz des geringen Erfolgs zogen sie mit TRIFF DIE ROBINSONS und BOLT nach.

Gut, Du wolltest natürlich einen Schritt weiter gehen und hast vollmundig behauptet, MONSTERS VS. ALIENS würde ausschließlich in 3-D zu sehen sein. Dein Kumpel Cameron glaubt ja dasselbe über AVATAR sagen zu müssen. Aber, mal Hand aufs Herz, haltet Ihr das durch, Jeffrey?

Vor einem halben Jahr hast Du noch behauptet, dass für den MONSTERS-Start 4.000 Kinos zur Verfügung stehen würden. Sei mir nicht böse, aber dass jetzt Dein Film in Amerika gerade mal in 1.600 Orten 3-D-digital vorgeführt wird, ist wohl knapp am Ziel vorbei, oder? Nicht zu vergessen, dass er an 2.500 Plätzen einfach „flach“ gezeigt wird. Ihr habt nicht durchgehalten, Jeffrey. Ihr habt Euch selbst was vorgemacht, wolltet vielleicht den Betreibern von Kinoketten die Pistole auf die Brust drücken, oder die Brille in die Hand.

Wäre es eine Strategie gewesen, Druck auszuüben, dann war es wohl nicht die richtige, oder ihr nicht standhaft genug. Kann das sein? Den weit größeren Anteil spielt MONSTERS in den 3-D-Kinos ein, obwohl wesentlich weniger Kinos anteilmäßig den Film spielen. Meines Erachtens ein Indiz dafür, dass Deine Strategie aufgegangen wäre.

Von allen guten und vor allem innovativen Vorsätzen siegt immer noch der schnöde Mammon, ist es nicht so, Jeffrey? Persönlich bezweifle ich ja, dass Jim Cameron seine mindestens 4.000 Spielorte für AVATAR in 3-D-digital bekommt. Oder er wird der Auslöser für die lange überfällige Revolution, weil die Erwartungen in diesen Film so enorm sind.

Halt die Ohren steif,
(das ist keine Anspielung auf Disney)
Bis zur nächsten Premiere

Uwe„


Ein kleiner technischer Exkurs:

Es war tatsächlich schon 1890, als die erste erfolgreiche Projektion eines dreidimensionalen Films zum Patent angemeldet wurde. Im Lauf der Jahre tat sich einiges mit weiteren Patentanmeldungen, wie zum Beispiel einem Kamerasystem für 3-D-Aufnahmen. Doch der Aufwand für die Vorführung versprach dem durchaus interessanten Medium nicht gerade eine rosige Zukunft.

Einen Tritt in den Hintern der Stereoskopie gab das Jahr 1922. Der allererste Spielfilm, der kommerziell in 3-D einem Publikum vorgeführt wurde, hieß POWER OF LOVE. Hinzu kamen neue Aufnahmetechniken und Vorführstandards, die die Entwicklung vorantrieben. Aber noch immer schien das Publikum nicht bereit. Alle sogenannten Pioniere des Films experimentierten, filmten, präsentierten. Die Studios mischten kräftig mit und so wurden immer wieder vereinzelt rot-grüne Besonderheiten auf die Zuschauer losgelassen, manchmal auch in rot-cyan. Die Einigung auf Standards war damals schon eine heikle Angelegenheit.

Als Wendepunkt in der Akzeptanz des Publikums und im allgemeinen Fortschritt für den 3-D-Film gelten zwei Namen: Bwana Devil und Natural Vision. Das eine war der Film, das andere sein Aufnahmeverfahren. Zuvor wurden nur Farbaufnahmen gemacht, um die zwei notwendigen Farben Grün und Rot zu erhalten, oder auch Cyan und Rot (streiten wir nicht darüber). Natural Vision machte es erstmals möglich, einen 3-D-Film in Farbe zu zeigen. Notwendig dabei war die Vorführung mit zwei synchron laufenden Projektoren. Wer eine ausführlichere Abhandlung über Natural Visions Verfahren wünscht, schickt bitte einen frankierten Rückumschlag nach Nimmerland.

1952 kam BWANA DEVIL in die Kinos. Zuschauer nickten heftig zustimmend, Kritiker schüttelten kräftig ablehnend den Kopf. Kopfschmerzen bekamen beide Gruppen. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Kino und Zuschauer. Das Ziel war kurzzeitig erreicht, die Menschen ließen den Fernseher einfach aus und frönten dem Gemeinschaftserlebnis 3-D. Ein halbes Jahr später folgte HOUSE OF WAX, was dem Trend Vorschub leistete. Ein Film, dessen Regisseur Andre De Toth im Übrigen auf einem Auge blind war. Unaufhaltsam sprang nun allerlei Sinniges und Unsinniges in den Schoß des Publikums, die Freude war groß, das Gekreische war größer. Und immer wieder Hände im Zuschauerraum, die nach Objekten griffen, die es nur auf der Leinwand gab.

Der Spaß war kostspielig, aufwendig und ermüdend. Cinemascope hielt gegen den 3-D-Trend, war billiger und erzielte fast schon ein plastisches Bild, allerdings ohne brummenden Schädel. Die hohe Zeit von spaßigen 3-D-Abenteuern währte nicht lange. DIE RACHE DES UNGEHEUERS, der zweite Teil aus der SCHWARZEN LAGUNE, markierte offiziell das Ende des eigentlich immer noch lukrativen Geschäfts. Weiterhin versuchten natürlich die einen oder anderen Filmemacher über die Jahre, den Effekten Neues zu entlocken, aber der Boom ließ sich einfach nicht noch einmal entfachen.

Als VHS die Menschheit überrannte, glaubten einige Studios, besonders findig zu sein, und griffen in die alte Spielzeugkiste. Die Technik hatte sich wesentlich gebessert, aber eine mechanische Vorführung bedeutete nach wie vor einen nicht stabilen Bildstand. 1981 flog DIR ALLES UM DIE OHREN und zog ein armseliges Häufchen von uninspirierten Lustlosigkeiten hinter sich her. Als Exempel soll hier nur die Frechheit AMITYVILLE III-D genannt sein. Mit solchen Dingen konnte man keinen erneuten Trend heraufbeschwören. Ob das anspruchsvollere Publikum für einen neuen Boom bereit gewesen wäre, lässt sich deshalb nicht sagen.

Während in den Fünfzigerjahren für den dreidimensionalen Effekt zwei synchronlaufende Projektoren den Film projizierten, griff die zweite Welle in den Achtzigerjahren auf das schon bereits in den Sechzigern erfolgreich genutzte SINGLE-STRIP-Verfahren zurück. Beide Filmbilder, das für das linke Auge und das fürs rechte Auge, wurden auf zusammen auf ein normales Filmbild kopiert. Mit Hilfe eines speziellen Objektivs wurden diese zwei separaten Bilder deckungsgleich auf die Leinwand geworfen. Für den Effekt sorgten Polarisationsbrillen, welche die wunderbaren Rot-Grün-Brillen ablösten. Okay, nur einmal, um das schöne Wort unterzubringen: Anaglyph. Anaglyph bezeichnet man die Rot-Grün-Technik. Dagegen lässt sich Polarisation besonders im betrunkenen Zustand besser aussprechen. Doch im Prinzip passiert ja bei jedem benutzten System sowieso das Gleiche. Der Filter vor dem linken Auge lässt das Bild, das für das rechte Auge bestimmt ist, verschwinden. Und natürlich umgekehrt. Ersteres hatte mit Farbtrennung zu tun, letzteres benutzt die Brechung der Lichtwellen.

Die erhoffte zweite kommerzielle Welle ging in die Hose. VHS blieb auf dem Vormarsch und die Kinos erlebten keinen erwünschten Aufschwung. 3-D war diesmal eine Totgeburt – und entwickelte sich prächtig weiter.

Mit der digitalen Projektion und dem Real-D-Verfahren hat der 3-D-Film schließlich ein Stadium erreicht, das trotz notwendiger Brille als perfekt zu bezeichnen ist. Schon IMAX hatte mit seinem riesigen Bildformat und der Geschwindigkeit von 48 Bildern pro Sekunde dem Sehvergnügen in der dritten Dimension deutlichen Vorschub geleistet. Doch digital projiziert scheinen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Keine Schwankungen im Bildstand mehr, dank der LCD-Projektoren von Texas Instruments und Sony. Zudem eine vielfach höhere Bildfrequenz von 144 Bildern pro Sekunde, oder besser gesagt 72 Bildern pro Sekunde pro Auge. Um natürliches Sehempfinden zu imitieren, wird in jeder Sekunde das Filmbild abwechselnd links und rechts jeweils dreimal hintereinander wiederholt. Brille muss aber weiterhin sein.


Braucht es das wirklich?

Wie alle Neuerungen, die dem Kino gegenüber dem heimischen Vergnügen zum Vorteil gereichen sollen, wird sich 3-D zwangsläufig auch des eigenen Heims bemächtigen. Kostengünstige Videobeamer und 5.1-Anlagen kann man ja schon fast als Standard bezeichnen. Nun will sich die Filmindustrie dieser uralten Vorstellung vom perfekten Bild bedienen, um eine Bindung zwischen Zuschauer und Erstverwertung zu schaffen. Kino ist ja längst nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal, sondern nur noch das erste Glied in der Kette wirtschaftlicher Abfolgen.

Selbstverständlich überzeugt die Technik, der Film als solcher aber noch nicht. CHICKEN LITTLE und MONSTER HOUSE waren seinerzeit als normale Flachware entwickelt und produziert worden. Erst im Nachhinein erschuf der Computer die dritte Dimension in diesen Animationsfilmen. Im Übrigen wird den zwei TOY STORY-Filmen dieselbe Ehre zuteil, bevor Nummer drei 2010 in die Kinos kommt. Doch 3-D ist weit mehr als nur der Effekt, dem Zuschauer allerlei Dinge um die Ohren fliegen zu lassen.

Zum einen gibt es da die Schnittrate, die wesentlich niedriger ausfallen muss. JOURNEY 3-D haftet der Makel an, nach den heutigen Standards der Kinounterhaltung geschnitten zu sein. Das Hirn hat kaum Zeit, nach jedem Schnitt das neue Bild in seiner Dreidimensionalität zu erfassen. Die BOURNE-Serie wäre schon mal komplett aus dem Geschäft. Es wird immer behauptet, dass sich die Schnittrate im Lauf der Jahre dem Empfinden des Publikums angepasst hätte, was stimmen kann. Für 3-D ist dies allerdings nicht umsetzbar. Zumindest nicht in dem Sinne, wie es eingesetzt werden müsste. Kann das Auge in einem realen Umfeld extrem schnell Bewegungen erfassen, bleibt eine 3-D-Projektion immer noch eine künstliche Situation, die Bild für Bild erfasst und verarbeitet werden muss. Man darf nie vergessen, dass die filmische dritte Dimension eine optische Illusion ist, die räumliches Sehen nur simuliert.

Ob künstlich oder nicht, so etwas wie die dritte Dimension ist da. Plötzlich werden Hintergründe wichtig. Was auf einem flachen Bild nebensächlich wirkt, bekommt mit einem Mal eine optische Relevanz. Ganze Sets und Ausstattungen gewinnen an handlungsorientierter Bedeutung, die in den Entwicklungsstadien der Vorproduktion bisher vernachlässigt werden konnte. Natürlich kann man das auch ignorieren, was dem Endprodukt allerdings abträglich sein wird. Ein von bloßen Effekten befreiter, funktionierender 3-D-Film lässt sich nicht auf höhere Equipment-Kosten reduzieren, sondern gestaltet sich durch eine wesentlich intensivere Ausarbeitung von Drehbuch, Vorproduktion und Handlungselementen.

Hitchcock weigerte sich anfangs BEI ANRUF MORD – DIAL M FOR MURDER in 3-D zu drehen, allerdings setzte sich Warner als produzierendes Studio einfach mal so durch. So entstand der bis dato erste 3-D-Film, der das Medium richtig zu nutzen verstand. Der gesamte Film stellt die wenigen Drehorte in ihrer dreidimensionalen Natürlichkeit vor und verzichtet auf die üblichen Effekte, bis zum Showdown. Der Zuschauer sollte in den ersten 90 Minuten so an das räumliche Sehen gewöhnt werden, dass Grace Kellys Griff nach der Schere als einziger Effekt die Grenzen zum Zuschauerraum explosionsartig sprengte. Aber nur ein einziges Kino in Tennessee spielte DIAL M FOR MURDER für gerade mal drei Tage in 3-D. 3-D als Synonym für 3-days sozusagen. Tatsächlich wurde 1954 in allen Tagespressen der Film noch drei Tage vor Start  in 3-D angekündigt. Warners Entscheidung für die Flach-Kopien fiel am darauffolgenden Tag. Bis auf das besagte Kino, das falsch beliefert wurde, kam es seinerzeit zu keiner Aufführung in 3-D. Das muss eine logistische Meisterleistung gewesen sein.

Aber genau in die Richtung, in der Hitchcock seinen einzigen 3-D-Film konzipierte, müssen die Filmemacher nun denken, sonst wird aus dieser dritten Welle wieder nur ein flaches Vergnügen. Natürlich kann es auch weiterhin die Axt schwingenden Massenmörder geben, die sinnfrei Mordinstrumente und Gedärm ins Publikum werfen, aber darin liegt keine Zukunft. Mit großen Sprüchen kündigt James Cameron seinen AVATAR an, der, so der Großmeister, das Sehen und Erleben mit 3-D revolutionieren soll. Der Mann nimmt ja gerne den Mund recht voll. Doch wenn irgendjemandem, dann ist es James Cameron zuzutrauen, diese Revolution anzuführen.

Im Augenblick sind allein aus Amerika über 30 Spielfilme in Digital-3-D angekündigt. Beweisen muss sich jeder einzelne. Eine Notwendigkeit für den Einsatz dieser Technik wird bei den wenigsten Produktionen gegeben sein.


Lieber George,

ich habe Einiges über die Firma ‚In-Three‘ gelesen, von der Du vor ein paar Jahren noch so geschwärmt hast. Leider fand ich keine Informationen, inwieweit die Arbeiten an der 3-D-Digitalisierung von STAR WARS fortgeschritten sind.

Hast Du einen Rückzieher gemacht, George? 2005 kündigtest Du nach der Demonstration von In-Threes revolutionärer Technik an, STAR WARS damit in 3-D zu wandeln und wieder herauszubringen. 2007 hieß es von offizieller Seite aus, dass es für die 3-D-Neuauflage keine Pläne gäbe. Dann hat Dein Kumpel Jeffrey vor einem Jahr behauptet, dass Du es durchziehen wolltest. Was denn nun?

Wäre das nicht wieder mal eine kleine Gelegenheit, etwas vom Rahm abzuschöpfen? 3 bis 4 Dollar Preisaufschlag für jedes Ticket, wenn digital-3-D vorgeführt wird. Bis zu 7 Dollar mehr für einen Eintritt bei den IMAX-Versionen. George, Du könntest beim Geldscheffeln wieder mit ganz vorne sein.

Aber mal ehrlich, Ihr steht euch doch bloß selbst alle im Weg, wenn Ihr auf Teufel komm raus ein Format puschen wollt, nur weil es zum einen mehr Geld in die Kasse bringt und zum anderen nicht als von der Leinwand abgefilmte Datei im Internet verbreitet werden kann. Das kann es doch nicht sein. Ihr müsst euch mal überlegen, wie überraschend erfolgreich CORALINE für einen Trickfilm gelaufen ist, und der wird dann von den JONAS BROTHERS von der Leinwand gefegt, bloß weil nicht genügend 3-D-Plätze vorhanden sind. Und es wird schlimmer und schlimmer, sozusagen enger und enger, je mehr Filme nun in diesem Format anlaufen werden.

Jetzt habt Ihr die Donuts verkauft, bevor sie gebacken sind. Noch keiner der bisher in Real-D gezeigten Filme hat das Medium als innovative Erzählform präsentieren können. Und wenn sich ein Sternenzerstörer in den leeren Raum von oben rechts ins Bild schiebt, dann sieht das in 3-D bestimmt klasse aus, aber wenn Han Solo durch die leeren, kahlen Gänge des Todessterns rennt, könnte das verwirren.

Ihr solltet Euch alle noch einmal zusammensetzen und über neue Rezepturen beratschlagen, bevor Ihr anbietet, was die Köche bereits vor 30 Jahren an Geschmacksrichtungen anboten.

Denk darüber nach,
bis zur nächsten DVD Special Edition,
und Grüße an Jeffrey

Uwe“

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