Steven Soderbergh? Im Ernst? Der Mann, der ERIN BROKOVICH und SOLARIS gemacht hat, OCEANS ELEVEN und CONTAGION? Wollen wir von LIMEY und TRAFFIC gar nicht erst reden. Steven Soderbergh macht einen Film über männliche Stripper. Kein Drama, keine Ballade, sondern eine flachgründige Erfolgsgeschichte aus einem Milieu, dem man gerne etwas Anrüchiges anlasten möchte. Aber Steven Soderbergh ist vielleicht auch der Grund, dass MAGIC MIKE trotz seines geradezu peinlich anmutenden Plots ein unterhaltsamer Film geworden ist. Große Scheine tanzt sich der Film nicht in den Tanga, aber das Zielpublikum wird eine ausgelassene Freude daran finden. Und das Zielpublikum heißt Frauen. Alex Pettyfer für die jugendlichen Mädels, Channing Tatum für die demografische Mittelschicht und Matthew McConaughey für die Damen über dreißig. Olivia Munn darf als sexuell freizügige Joanna mittun, damit sich das begleitende männliche Publikum auch auf einen sporadisch auftauchenden Charakter freuen kann.
Eigentlich ist Mike (Tatum) Zimmerer und Dachdecker am Bau. Tief im Herzen würde er allerdings gerne einen eigenen Laden mit selbst entworfenen Möbeln eröffnen. Aber richtig gut ist Mike im Ausziehen auf der Bühne. Adam (Pettyfer) ist ein Verlierer, der nichts kann und auch kein Ziel im Leben hat. Beide lernen sich am Bau kennen, und nur aus Mitleid schleppt Mike den ahnungslosen Adam abends mit in Dallas‘ (McConaughey) Schuppen, wo Mike sich sein Zubrot verdient für die Verwirklichung seines Traums. Wie sollte es anders kommen: Einer der Stripper fällt wider Erwarten aus. Könnte das eine plötzliche und wirklich unerwartete Chance für Adam sein? Hat Adam vielleicht doch eine Begabung? Kann aus dem Verlierer ein Gewinner werden?
Was einem bei MAGIC MIKE erwartet, ist eine unverhohlene Mischung aus SHOWGIRLS und einem gehörigen Anteil von FLASHDANCE. Letzterer ist ein echtes Kind der 8oer, und sein Erfolg und Kultstatus sind aus seiner Zeit heraus begründet und auch gerechtfertigt. Aber geht das heute noch? Nein, das geht überhaupt nicht. Und doch ist MAGIC MIKE erfrischend leichte Unterhaltung, die sich ausgerechnet ihre eigentlich widrigen Umstände zunutze macht. Steven Soderbergh ist ein Mann, der die Mechanismen des Kinos versteht und auch zu brechen weiß. Nur das seichte Drehbuch ist nicht von Soderbergh, der Rest eine stimmige Verschmelzung von Soderberghs Talenten in Regie, Kamera und Bildschnitt. Das macht MAGIC MIKE keineswegs zu einer tiefgründigen Abhandlung männlicher Stripper-Seelen. Aber er ist zweifelsfrei eine aktualisierte Version von FLASHDANCE, dieses Mal auf Frauen zugeschnitten.
Bekanntlich schaden Vergleiche einem Film mehr als dass sie tatsächlich von Nutzen wären. Aber mit seiner ausgeklügelten Bildsprache, dem Verständnis fürs aktuelle Kino und dem Gespür fürs Publikum gelingt ein überraschender Spagat zwischen anspruchsloser Handlung und qualitativ hoher Unterhaltung. Nur die Herren dürften im Kino weniger Begeisterung empfinden. So viele Sixpacks, so viel Testosteron, so viele bewegliche Männer. Minderwertigkeitskomplexe sind da schon absehbar. Was unweigerlich ein tief empfundenes Gefühl der Bewunderung hervorruft, wenn man Channing Tatum auf der Bühne sehen darf. Ob Tatum selbst getanzt hat oder sich von einem Double vertreten ließ, kann man als Zuschauer schwer abschätzen. Aber dem Choreographen gebührt höchster Respekt. Dieser Film zeichnet Channing Tatum nicht als guten Schauspieler aus, sondern als charismatischen, einnehmenden Tänzer. Egal, ob er selbst getanzt hat oder gedoubelt wurde, es ist mitreißend. Nur nicht für komplex beladene, männliche Begleiter einer kreischenden Frauen- oder Mädchen-Meute.
Auch Jennifer Beals war in ihren Tanzsequenzen bei FLASHDANCE gedoubelt worden. Das tat dem Film, der Darstellerin und dem guten Gefühl des Films keinen Abbruch. Man kann niemandem verübeln, wenn er vom Besuch von MAGIC MIKE absieht, alles was der Film verkörpert spricht eigentlich gegen ihn. Und doch ist er …, tja, was ist er? Vielleicht magisch? Ein zweiter Teil ist schon in Vorproduktion. Es gab einmal Gerüchte über einen zweiten Teil von FLASHDANCE, der nie verwirklicht wurde. Der Rest ist Spekulation. Der zweite Teil von MAGIC MIKE wird also kommen. Könnte in die Hose gehen, muss aber nicht. Lassen wir uns überraschen, denn wer die Mechanismen des Kinos von heute versteht, kann im bedeutungslosen Ganzen das ganz spezielle Etwas strahlen lassen. MAGIC MIKE ist kein wirklich gut strukturierter Film, aber ein sich den Gegebenheiten unterordnender Publikumsfänger, der immer im richtigen Moment das ganz spezielle Etwas zum Strahlen bringt. Kino lebt durch Gefühle, und MAGIC MIKE ist beseelt mit Gefühl.
Darsteller: Channing Tatum, Alex Pettyfer, Matthew McConaughey, Olivia Munn, Cody Horn u.v.a.
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Reid Carolin
Kamera: Peter Andrews (Steven Soderbergh)
Bildschnitt: Mary Ann Bernard (Steven Soderbergh)
USA / 2012
zirka 110 Minuten
Bildquelle: Warner Bros. / Concorde Filmverleih