Wenn man im Actionkino von Anspruch reden darf, dann bezieht sich dies auf großartige Darstellungen, einer irgendwie gearteten Aussage, einem emotionalen Tiefgang, einer raffinierten Referenz. Normalerweise. Der auf vielen Festivals gefeierte Actionthriller THE RAID hat eigentlich eine nur bedingt vorhandene Geschichte. Er verzichtet vollständig auf moralische Aussagen. Und verkneift sich jede Art von Überraschungsmoment, oder trickreicher Wendungen. Wenn man von Anspruch im Actionkino reden will, muss man zuerst grundlegend zwischen amerikanischem Popcorn-Kino und in Asien produzierten Unterhaltungsfilmen unterscheiden. THE RAID hat nichts, was über die Action hinaus geht, und ist dabei einer der anspruchsvollsten Filme der letzten Jahre. Der aus Wales stammende Gareth Evans hat sich ganz seiner Leidenschaft für das asiatische Kino verschrieben, und seine Ansprüche bezüglich der Inszenierung ganz nach oben geschraubt. Und wenn man sagt, was man zu sehen bekommt tut dem Zuschauer wirklich weh, dann ist das vollkommen positiv gemeint.Ein zwanzigköpfiges Einsatzkommando soll einen heruntergekommenen Gebäudekomplex stürmen, wo im letzten der fünfzehn Stockwerke ein Drogenbaron dingfest gemacht werden soll. Das eigentliche Problem ist, das fast alle Bewohner ihre Leben für den Gangsterboss geben würden. Bis zum sechsten Stock läuft alles, wie es bei einer Spezialeinheit laufen soll. Dann wird ihnen ein kleiner Junge zum Verhängnis.
Gareth Huw Evans verzichtet weitgehend auf Exposition seiner Figuren, die nur dem Tempo des Filmes im Wege sein würde. Vom ersten Bild an treibt Kamera und Schnitt das Geschehen voran. Es gibt kaum Gelegenheit, die grandiose Action einmal setzen zu lassen, meist wird sie aber von ebenso aufreibenden Spannungsmomenten abgelöst. Atem holen ist dem Zuschauer nicht gegönnt. Dadurch, dass Evans anfangs darauf verzichtet hat Charaktere in den Vordergrund zu bringen, wird alles möglich. Und ist eine Figur einmal mehr in den Fokus gerückt, muss dies nicht zwangsläufig einer der überlebenden Helden sein. Pausenlos wird geschossen, gehackt, geschlagen, und gestorben. Aber immer wieder in den richtigen Momenten schaltet der Regisseur, Autor und Cutter in Personalunion, einen Gang herunter. Nur um dann wieder die Drehzahl zu erhöhen.
Weil sich im Laufe des Films das Geschehen auf verschiedene Orte verteilt, scheut der Regisseur auch vor zeitlichen Stillständen nicht zurück, gleich einer Arie in der Oper. Anstatt von Parallemontagen Gebrauch zu machen, wird jede Situation in ihrer Gänze gezeigt, um erst dann wieder an einem anderen Set einzusteigen, obwohl der zeitliche Ablauf dort vielleicht schon weiter sein müsste. Gerade in den Martial-Arts-Kämpfen intensiviert sich durch die geschlossene Abhandlung nicht nur die Spannung, sondern die Brutalität des Gezeigten. Weder schonte der Regisseur seine Darsteller, noch wird der Zuschauer geschont. Was die Schauspieler unter der Fuchtel scheinbar vollkommen durchgedrehter Choreografen leisten, ist reiner Wahnsinn. Die physische Intensität in den Kampfszenen ist unglaublich, wird aber dennoch von Situation zu Situation gesteigert. Dies ist kein Film in dem ein Schuss tötet, oder ein Fußtritt einfach trifft. Hier wird in jeder Einstellung gelitten. Und Gareth Evans schafft es den Zuschauer bei jedem Messerstich, Machetenhieb, oder Faustschlag mitleiden zu lassen.
Anspruch im Film ist eben auch der Einfluss von Leidenschaft, Verständnis und Kenntnis für eine Materie. Gareth Huw Evans hat den Actionfilm verstanden, ihn auf das Notwendigste komprimiert, um mit seinem Gespür, welches aus der Leidenschaft erwachsen ist, die Essenz bis zur Überspitzung zu verstärken. Dass diese Überspitzungen allerdings nicht ins Lächerliche abgleiten, unterstreicht Gareth Evans Talent, der hohe Ansprüche an sein Projekt gestellt hat. So entstand, wenn nicht der Beste, zumindest einer der besten Actionfilme der vergangenen Jahre.
Und weil dieser Film aus einer finanziellen Not heraus als Tugend produziert wurde, ergab sich die Gelegenheit, THE RAID als ersten Film einer Trilogie voranzustellen. Aber die Messlatte wurde bereits verdammt hoch angelegt.
Serbuan Maut
Darsteller: Iko Uwais, Joe Taslim, Doni Alamsyah, Yayan Ruhian, Pierre Gruno, Tegar Satrya, Ray Sahetapy u.v.a.
Regie: Gareth Huw Evans
Drehbuch: Gareth Huw Evans
Kamera: Matt Flannery, Dimas Imam Subhono
Bildschnitt: Gareth Huw Evans
Musik: Aria Pryogi, Faiar Yuskemal, Joseph Trapanese, Mike Shinoda
Produktionsdesign: Moti D. Setyanto
Indonesien / 2011
zirka 101 Minuten