Die Marvel-Studios sind am Ende ihrer Träume angekommen. Bereits 1996 gründete Marvel sein hauseigenes Studio, das mit dem ersten Teil von IRON MAN schließlich in der Kinowelt für Furore sorgte. Marvel hatte seinen ersten Erfolg mit einem komplett selbstständig finanzierten Film. Man wollte den Hollywood bestimmenden Studios nicht mehr das Sagen und die finanzielle Ausbeute überlassen, die sich mit SPIDER-MAN und X-MEN eine goldene Nase verdienten. Bisher durfte Marvel immer schön mitproduzieren, die allgemeinen Verwertungsrechte lagen allerdings bei Sony bzw. Cent-Fox. Der Weg war steinig und uneben. Die Neuauflage von HULK folgte und war nur leidlich überzeugend, der zweite IRON MAN überzeugte, bot aber nichts Neues. THOR war okay, CAPTAIN AMERICA hingegen ganz im Sinne der Fans und der Erfinder. Marvel war siegesbewusst auf dem richtigen Kurs, wenngleich es starke Vertriebspartner wie Universal und Paramount dazu benötigte, um die wertvolle Fracht in die Welt hinauszutragen. Der erste IRON MAN war einfach zu gut, um allzu schnell in seiner filmischen und unterhaltenden Qualität übertroffen zu werden. Mittlerweile gehört Marvel zu Disney, und fünf Superhelden-Filme nach IRON MAN macht THE AVENGERS in seiner Größe, seiner Inszenierung und seinem Unterhaltungswert den Eindruck eines abschließenden Feuerwerks.
Es ist schwer, kritische Ansätze bei AVENGERS zu finden, die wirklich als negative Bewertung gerechtfertigt wären. Vielleicht, dass für den Ersteinsteiger gewisse Informationen fehlen, diese letztendlich aber nicht signifikant sind. Was gibt es also zu sagen über einen Film, der für sein Genre perfekt ist, wenn man die optisch vollkommen überflüssige 3-D-Konvertierung außer Acht lässt? „Perfekt“ ist ein sehr vorsichtig zu gebrauchendes Wort, wenn man in einer objektiven Betrachtung nicht die Seriosität gefährden möchte. Aber wie sollte man etwas anders ausdrücken wollen, wenn man endlich einmal einen Film erleben darf, der diese Eigenschaft auch verdient? Dabei hätte so viel danebengehen können. In einem angemessenen Zeitraum sechs Superhelden unter einen Hut zu bringen, dabei noch eine Geschichte zu erzählen, dabei ausgewogen zu inszenieren, den dramatischen Momenten genauso viel Gewichtung zu verleihen wie den heiteren Augenblicken und dabei atemberaubende Action-Szenen zu offerieren, das ist perfekte Kinokunst.
Nerd-Großmeister Joss Whedon ist etwas gelungen, was allein durch die hohe Erwartungshaltung in dieser Form eigentlich nicht denkbar gewesen wäre. Nicht nur, dass es endlich einen Hulk gibt, in dem man auch dessen Darsteller erkennt, sondern mit Mark Ruffalo plötzlich einen Darsteller für Hulks Bruce Banner hat, der stimmig mit seinen beiden Identitäten ist. Genial, wie immer wieder die verschiedenen Egos der Helden aufeinanderprallen und dabei jeder seinen Wesenszügen verhaftet bleibt, wie in den Reibereien zwischen dem konservativen Steve Rogers/Captain America und dem arroganten Lebemann Tony Stark/Iron Man. Whedon lässt in seinem selbst verfassten Drehbuch auch nicht die für Superhelden typischen selbstreflektierenden Zweifel und Sinnfragen aus. Aber zu keinem Zeitpunkt wirken diese stilleren Momente aufgesetzt, und sie drosseln auch nicht einen Augenblick das Tempo des Films. Hinzu gesellt sich ein Humor, der nicht zum Selbstzweck verkommt, sondern tatsächlich immer charakterbezogen funktioniert. Teilweise mit wirklichen Schenkelklopfern und oftmals so unvermittelt, dass einem jederzeit leicht das Popcorn in die falsche Röhre rutschen kann.
Kein Charakter muss zurückstecken, keiner wird bevorzugt. Die Genialität steckt schon im Drehbuch, welches nicht einen der vielen Handlungspunkte nach dem anderen einfach nur abhakt, sondern die verschiedenen Stränge wie bei einem perfekt geschmierten Getriebe immer wieder ineinandergreifen lässt. Im Film wird das schließlich im Showdown am deutlichsten, wo sich längst ein perfekter Drehbuchschreiber zum genialen Regisseur gewandelt hat. Dieser Showdown ist ein Paradebeispiel, wie Actionsequenzen inszeniert sein müssen. Trotz der infernalischen Zerstörungsorgie fließt der Zuschauer gut behütet von einem Helden zum nächsten. Man sieht, was passiert, man sieht, wer etwas tut und was er tut. Whedon gibt jeder Figur genau das zu tun, wofür ihre Kräfte stehen. Er lässt sie einzeln kämpfen, führt die Gruppe wieder zusammen, gruppiert sie anderorts neu, und niemand macht etwas, was für seinen Charakter ungewöhnlich wäre. Vielleicht noch eine kritische Anmerkung, dass dieser Showdown auch kürzer sein könnte. Könnte er, aber so wie dieser inszeniert ist …
Nicht der finanzielle Erfolg des Films ist entscheidend, nicht die Aufregung, das Gerede oder der Tumult. Man sollte den Begriff des Perfektionismus nicht überstrapazieren, aber was Joss Whedons Umsetzung von THE AVENGERS angeht, definiert sich der Film über sein Verständnis für Technik und Dramaturgie, das die Normen nicht nur des Genre-Kinos, sondern des allgemeinen Mainstream-Konzepts sprengt. AVENGERS überzeugt tatsächlich wie der krönende, nicht zu überbietende Abschluss in Marvels filmischer Erfolgsgeschichte. Den Initiatoren und vor allem dem geneigten Publikum muss klar sein, dass es unwahrscheinlich ist, noch einmal einen Heldenfilm dieser Qualität erfahren zu dürfen. Dabei befinden sich bereits fünf weitere Kinoproduktionen mit IRON MAN 3, THOR 2, DEADPOOL, ANT-MAN und CAPTAIN AMERICA 2 in der Vorproduktion. Nicht Marvel und seinen Vertriebspartnern, sondern dem Publikum mag es vergönnt sein, dass sich ein künstlerischer Erfolg von AVENGERS wiederholen mag. Es scheint allerdings unwahrscheinlich, denn MARVELs THE AVENGERS ist, man möge es bitte verzeihen, einfach zu perfekt.
Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Johannson, Jeremy Renner, Tom Hiddleston, Clark Gregg, Stellan Skarsgard, und Samuel L. Jackson und Gwyneth Paltrow u.a.
Regie: Joss Whedon
Drehbuch: Zak Penn, Joss Whedon
Kamera: Seamus McGarvey
Bildschnitt: Jeffrey Ford, Lisa Lassek
Musik: Alan Silvestri
Produktionsdesign: James Chinlund
USA / 2012
zirka 143 Minuten