Besprechung am 27.03.2012 um 14 Uhr überarbeitet.
Wer die TRIBUTE VON PANEM gelesen hat, kommt an dieser werkgetreuen Verfilmung nicht vorbei. Vorausgesetzt, Suzanne Collins finstere Trilogie hat den Nerv des Lesers wie eine Bogensehne auf Spannung gehalten. Nicht nur STATE-OF-PLAY-Umsetzer Billy Ray hat an den etwas über 400 Seiten gearbeitet, sondern Regisseur Gary Ross gleich mit. Und weil Adaptionen von geliebten Büchern immer eine heikle Sache sind, wurde der Name von Autorin Suzanne Collins für dieses Spiel gleich mit aus der Lostrommel gezogen. Drei Namen, die wissen müssten, was sie tun. Drei Namen, die den heiklen Auftrag einer Adaption sehr ernst nahmen. Es ist eine werkgetreue Verfilmung. Aber es ist kein wirklich guter Film geworden. Was im gedruckten Wort funktioniert, kann in einer bildlichen Umsetzung nicht immer dasselbe Ziel treffen. DIE TRIBUTE scheitern nicht, reduzieren sich aber zu einem gewöhnlichen Film für den Massenmarkt.
Am Anfang war das Wort, und das Wort war gut. Suzanne Collins hat ein Buch geschrieben, das fesselt und nicht mehr loslässt. Es ist eine finstere Dystopie, in der 24 Mädchen und Jungs zwischen 12 und 18 Jahren aus 12 Distrikten gegeneinander kämpfen müssen. Diese sogenannten Hunger-Spiele werden als großartige Unterhaltung gefeiert, dienen dem eigentlich herrschenden Kapitol aber hauptsächlich als Machtdemonstration gegenüber den 12 untergebenen Distrikten. Collins fließende Ich-Erzählung birgt viele Überraschungen, ist originell erdacht und im Aufbau sehr effektiv umgesetzt. Sie hat es sogar geschafft, die Absurdität einer Medien-affinen Gesellschaft anklingen zu lassen. Doch was zumindest der erste Roman der Trilogie schwer vermissen lässt – und Dank Collins‘ flüssigem Schreibstil und ihrem Gespür für das jeweils richtige Tempo einer Szenerie kann man sehr schnell darüber hinweglesen – ist eine dringend notwendige Auseinandersetzung mit den moralischen Aspekten Jugendlicher, die zum Töten gezwungen werden.
Stephen King selbst, den der erste Band von PANEM vor Begeisterung mitten ins Herz traf, schrieb selbst zwei Novellen, die sich mit der Brot-und-Spiele-Mentalität einer Gesellschaft auseinandersetzten, die zum Zweck einer medialen Sensationsverwertung Menschen bis zum Tod gegeneinander kämpfen ließ. Doch was seinerseits mit der WDR-Produktion DAS MILLIONENSPIEL einen Anfang machte, kulminierte um die Jahrtausendwende schließlich mit Koushun Takamis BATTLE ROYALE zum Skandal. Und Suzanne Collins muss sich trotz all ihrer Beteuerungen den Vorwurf gefallen lassen, sehr geschickt, aber dennoch unverkennbar, gerade doch von BATTLE ROYALE profitiert zu haben. Das Thema ist also bei weitem nicht besonders revolutionär, und erst recht nicht sonderlich neu. Doch wenn man jeden Funken von belanglosen Plagiatsvorwürfen oder unrechtmäßiger Bereicherung ersticken kann, bevor er ein Feuer entfacht, dann bleiben DIE TRIBUTE VON PANEM immer noch ein sehr eigenständiges und unterhaltsames Buch. Doch muss die Frage gestattet sein, ob es seiner Zeit gerecht wird.
Das Attribut des Anspruchs muss für das Mainstream-Kino nicht zwingend sein. Doch genau wie das Buch versucht die Verfilmung, weit mehr zu sein und zu zeigen, als die jeweiligen Macher in der Lage waren umzusetzen. Schließlich zeigt sie eine Gesellschaft, die 24 Jugendliche dazu zwingt, sich gegenseitig zu töten, bis der letzte Überlebende zum umjubelten Sieger gekrönt werden kann. Einen Film mit dieser Thematik muss man einfach an unserer aktuellen Medienlandschaft festmachen können, die eben bestimmt ist durch ungehemmte You-Tube-Publikationen und Casting-Shows, die ihrem nach außen getragenen Anspruch bewusst widersprechen. Und da der Film den zwanghaften Anspruch an sich selbst stellt, der Romanvorlage in allen Belangen gerecht zu werden, heftet er sich auch die Unzulänglichkeiten der Vorlage ans Zelluloid.
Am Anfang war das Wort, und das Wort war gut. Aber gleich danach kam die Verfilmung, und die hat durch falsch gesetzten Ehrgeiz einen nicht unerheblichen Mangel mit sich gebracht. Auch der Film wird dem Anliegen nicht gerecht, dass er seiner Thematik viel mehr Aktualität angedeihen lassen müsste, als sie letztendlich dem Zuschauer zugestanden wird. Dafür ist das Buch spannend, originell und von der Handlung clever durchdacht, und was dem Buch zur Ehre gereicht, wird dem Film als endgültiges Verhängnis zuteil. Der fehlende Aspekt eines moralischen Dilemmas hätte durch eine dem Medium Film angepasste Umstrukturierung durchaus wettgemacht werden können. Aber nicht wegen des Mangels an Reflektion steht sich der Film selbst im Wege, sondern durch den unbeirrbaren Glauben an die im Buch dargestellte Funktionalität der Spiele selbst.
Da die Spiele in der Arena unverändert, aber im zeitlichen Ablauf stark gekürzt wurden, machen viele und einige entscheidende Handlungsteile einfach keinen Sinn mehr. Selbst auf zweieinhalb Stunden aufgeblasen kann der Film nicht das umsetzen, was im Buch die Zeit während der eigentlichen Spiele behandelt. Genau hier hätten sich Autoren Freiheiten herausnehmen müssen. Einer der wichtigsten Punkte in der Vorlage ist das Hindernis für die Spieler, sich mit Nahrung versorgen zu müssen. Es ist einer der genialen Vorteile für die Hauptfigur Katniss Everdeen, um überhaupt gewinnen zu können. Aber die gesamten Abläufe während der Spiele sind derart stark verkürzt, dass es für die filmische Adaption andere Lösungen hätte geben müssen. Noch dazu, wenn die Buch-Autorin selbst am Drehbuch mitarbeitete. Ein Film unterliegt eben ganz anderen Gesetzen als ein Roman, und leider macht das die Verfilmung von TRIBUTE VON PANEM sehr deutlich.
So freut sich vielleicht ein vernarrter Fan, ein unaufmerksamer Popcorn-Esser oder jemand, der sich einfach nur berieseln lassen wollte. Aber die Chancen auf intelligenteres Mainstream-Kino wurden vertan, obwohl sie in vielen Szenen spürbar sind. Winzige Änderungen sind ja vorhanden. Ein zum Scheitern verurteilter Aufstand oder der Einfluss des Präsidenten auf die Spiele sind zum Vorteil des Filmes hinzugefügt. Kleinere Einzelheiten wurden aus erzähltechnischer Sicht vereinfacht. Doch der zweiten Hälfte nutzen diese zaghaften Abweichungen letztendlich nicht. Tadellose Darsteller, exzellentes Produktionsdesign und sehr kurzweilige Unterhaltung. Adaptionen von geliebten Büchern sind immer eine heikle Sache, und wer PANEM gelesen hat, kommt an der werkgetreuen Verfilmung nicht vorbei. Leider heißt hier werkgetreu, dass der Ehrgeiz der Filmemacher in der zweiten Hälfte des Filmes einer falschen Fährte gefolgt ist.
Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson, Elizabeth Banks, Lenny Kravitz, Stanley Tucci, Donald Sutherland, Toby Jones u.v.a.
Regie: Gary Ross
Drehbuch: Gary Ross, Suzanne Collins, Billy Ray, nach der Romantrilogie von Suzanne Collins
Kamera: Tom Stern
Bildschnitt: Stephen Mirrione, Juliette Welfling
Musik: T-Bone Burnett, James Newton-Howard
Produktionsdesign: Philip Messina
USA / 2012
zirka 142 Minuten