A COMPLETE UNKNOWN
– Bundesstart 27.02.2025
– Release 25.12.2024 (US)
„Was immer sie nicht wollen, dass ich sein soll“, entgegnet Dylan auf verdrehte Art seiner Freundin Sylvie Russo, wenn sie ihn fragt, wer er denn in der Musik eigentlich sein will. Diese kurzen Sekunden bringen eigentlich auf den Punkt, was James Mangolds Film in 141 Minuten immer und immer wieder deutlich macht. Er will also nicht der sein, den die dort draußen erwarten. Aus Robert Zimmermann wird der ‚Rolling Stone‘ Bob Dylan, ein Getriebener in seiner eigenen Welt. Ein Unnahbarer, den auch James Mangold nicht wirklich zu fassen bekommt. Das Drehbuch hat Mangold zusammen mit Jay Cocks geschrieben, dem GANGS OF NEW YORK und SILENCE Autoren, nach dem Sachbuch ‚Dylan Goes Electric‘ des Musikwissenschaftlers Elijah Walds. Das ist insofern wichtig, dass es auch untermauert, wie akkurat die im Film gezeigten vier Jahre des anfangs ‚komplett Unbekannten‘ umgesetzt sind. Mit dramaturgischen Abweichungen, die fast schon irrelevant sind. Aber Dylan als Mensch wird trotz allem nicht greifbar.
Eine Inhaltsbeschreibung kann an dieser Stelle stark gerafft werden, weil sie sich ohnehin ausnimmt wie Dutzendware an Musikbiografien. Der legendäre Folk-Musiker Pete Seeger holt Robert Zimmermann nach New York, wird ab hier nur noch Bob Dylan heißen, und lernt sein Vorbild Woody Guthrie kennen, der im Sterben liegt. Er kommt nit Freundin Sylvie Russo zusammen, die in Wirklichkeit anders heißt, aber keine Person des öffentlichen Lebens war, weswegen aus Respekt der Name geändert wurde. Bob macht sich schnell einen Namen in der Folk-Szene, nimmt gegen den Wunsch der Plattenfirma nur eigene Songs auf, lernt Joan Baez kennen, betrügt mit ihr Sylvie, wird zur neuen Kultfigur in der Folk-Musik, und beginnt mit Konventionen zu brechen.
Und überall dazwischen liegen unglaublich viele Details, und kleine Geschichten der Folk-Szene und ihren Musikern, mit ihren ganz eigenen Ansprüchen, aber auch der Bindung an ihr Publikum. Überragend ist das Produktionsdesign in seiner Detailverliebtheit, die schon an Versessenheit grenzt. Jedes Bild und jedes Set ist erfüllt von Ästhetik und Ausstattung der anfänglichen Sechziger. Das Kostüm-Design von Arianne Phillips tut ihr Übriges. Der Regisseur hat auf ein vertrautes Kreativteam gesetzt, und hoch gewonnen. Im Stil knüpft COMPLETE UNKNOWN an Mangolds WALK THE LINE an, und wäre nicht überrascht, würde Joaquin Phoenix seine Rolle als Johnny Cash noch einmal aufnehmen.
Hier spielt Hoyd Holbrock den ‚Man in Black‘ Cash, was ebenfalls eine fabelhafte Besetzung ist. Bei WALK THE LINE erfuhr man einen Johnny Cash von Innen heraus. Hier sieht man Holbrock, der einen Mann verkörpert, wie ihn die Öffentlichkeit wahrhaben wollte. Also der Typ an Kerl, der Bob Dylan letztendlich auch beeindruckte, und ihm vielleicht sogar zu einer gewissen Irrationalität beeinflusste. Aber die unauffällig zentrale Figur ist Pete Seeger, ein noch nie so zurückhaltender, und stets beruhigender Edward Norton. Seeger ist immer die Stimme der Vernunft, und Vermittler wenn es um die Person oder den Musiker Dylan gegen die Institutionalisierung des dogmatischen Folk-Kollektivs geht. Der Hauch von messianischer Würde gelingt Norton mit einer faszinierenden Subtilität, aus der seine wahre Stärke wächst.
Bildgestalter Phedon Papamichael ist kein Mann der mit der Kamera seinen eigenen Stil pflegt. Papamichael wird optisch und gestalterisch immer der Atmosphäre der Geschichten gerecht, und ein wenig darüber hinaus. Es ist die Kraft der Bilder, des perfekten Zeitkolorits, und Papamichaels erzählende Sequenzierung, die James Mangolds Inszenierung wirklich funktionieren lassen. Daraus machen Andrew Buckland und Scott Morris in der Montage ein makellos fließendes Stück, das einen permanenten Sog entwickelt. Eine zeitliche Einordnung des Handlungsverlaufs ist nur durch geschichtliche Ereignisse möglich, wie der Kuba-Krise und der Ermordung Kennedys. Oder für Dylan-Freunde, nach der Reihenfolge, wann bestimmte Songs vorgetragen werden.
James Mangold hat einen faszinierenden und spannend zu beobachtenden Film inszeniert, der auch unabhängig von der Größe seines Protagonisten und der musikhistorischen Relevanz perfekt einzunehmen weiß. Ein Film der Spaß macht, den man gerne sieht und hört, und der einen leichten Anflug von ‚perfekt‘ mit sich trägt, wenn es um Unterhaltung im Mainstream geht. Wäre seine Hauptfigur nicht so distanziert. Ein Mensch der nicht einmal zur Verleihung geht, wenn ihm als Musiker der Literatur-Nobelpreis verliehen wird. Aber genau diesem Menschen weiß Timothée Chalamet eine perfekte Verkörperung zu geben. In seiner Sprache, mit seinem realen Gesang, seiner identischen Körperlichkeit, und den unerfindlich sprunghaften Attitüden.
„Wie oft denn noch? JA!“, antwortet Dylan genervt und mit gewisser Überzeugung, wenn Sylvie ihn fragt, ob er sich denn für Gott hält. Als Bobbys Freundin hat Elle Fanning hat den undankbaren Job, in einer viel zu kleinen Rolle, die ganze Emotionalität der Beziehung zu tragen. Sie ist dabei zweifelsfrei umwerfend gut, macht aber ihre geringe Leinwandzeit umso mehr bewusst. Monica Barbaro ist dahingehend als perfekt besetzte Joan Baez in der starken Position auch gesangstechnisch zu überzeugen. Barbaro schafft darstellerisch einen beachtenswerten Gegenentwurf zu Chalamet, gerade weil sich beide Figuren im Grunde sehr ähnlich sind. Es gibt bereits viele Versuche, sich künstlerisch der Person Bob Dylan anzunähern. Barbaro sagt als Baez nur, „du bist ein ziemliches Arschloch, Bob“. Auch James Mangold scheitert an der Person Dylan, aber sein unglaublich kurzweiliger, sehr bemerkenswert inszenierter Film scheitert an keinem Punkt an Dylans Musik. Er gewinnt aber umso mehr mit seinem Zeitkolorit, mit starken Nebendarstellern, und seiner eigentlichen Musikgeschichte.
Darsteller: Timothée Chalamet. Edward Norton, Elle Fanning, Monica Babaro, Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz u.a.
Regie: James Mangold
Drehbuch: James Mangold, Jay Cocks
Kamera: Phedon Papamichael
Bildschnitt: Andrew Buckland, Scott Morris
Musik: Robert Dylan
Produktionsdesign: François Audouy
USA / 2024
141 Minuten