WICKED – Part I
– Bundesstart 12.12.2024
– Release 20.11.2024 (world)
Preview 04.12.2024, Cineplex, Fürth
Eigentlich sollte doch Gregory Maguires Roman ‚Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West‘ ein Affront gegenüber einer heiß geliebten, uramerikanischen Ikone sein. Denn Maguire stellt mit seiner Interpretation, die Geschichte von DAS ZAUBERHAFTE LAND – THE WIZARD OF OZ vollkommen auf den Kopf. Und jene Filmfassung von 1939, ist ungebrochen „popu-LAHR“ [sic]. Wenngleich der Film, Hand aufs Herz, wirklich nicht gut gealtert ist. Als 2003 die Musical-Adaption am Broadway startete, wurde der Zauberer von Oz nicht abgelöst, bekam aber eine Art Schwester. Erst hinter ‚König der Löwen‘ das erfolgreichste, aber im Herzen der Zuschauer das beliebteste Musical. Das eine Adaption so lang brauchte, ist Fluch und Segen zugleich. Der Segen für die Macher, sind mit der fiebrig gestiegenen Erwartungshaltung, die erhöhten Finanzmittel. Ironischerweise ist das der Fluch für das Publikum, aber dazu später.
Was dem begierigen Publikum erwartet, ist erneut eine Hollywood-typische Mogelpackung. Regisseur Jon M. Chu propagiert mit hohlen Phrasen, es wäre unmöglich gewesen die Geschichte in nur einen Film unterzubringen, ohne diese zu beschädigen. Man wollte die Story so erzählen, wie sie auch erzählt werden sollte. Was eigentlich bedeutet, dass die Bühnenfassung scheinbar einiges falsch gemacht haben muss. Denn im Theater hat ‚Wicked‘ eine Gesamtspielzeit von rund 150 Minuten. Und wo am Broadway, oder in Stuttgart, oder in Melbourne eigentlich nur Pause gemacht wwird, endet WICKED im Kino, aber erst nach 160 Minuten. Und so fühlt sich der Zauber auch an.
Glinda, die gute Hexe, verkündet im zauberhaften Land, dass Elphaba, die böse Hexe aus dem Westen, tot sei. Aber neugierig nachgefragt, muss Glinda ihre Geschichte erzählen, und die beginnt lange bevor eine gewisse Dorothy aus Kansas nach Oz kommen wird. Glinda und Elphaba begegnen sich auf der Hexen-Universität Shiz. Nach sozialem Stand und äußerlichen Ungewöhnlichkeiten, können sie sich zuerst nicht ausstehen. Elphabas Hautfarbe ist grün, was sie zur geächteten Außenseiterin macht, die aber mit sehr klugen und kritischen Gedanken die elitär überhebliche Glinda zum Umdenken veranlasst. Denn der große Zauberer beginnt das Land Oz zu reformieren. Und dazu gehört auch ein Sprechverbot für Tiere (!), und ihre Verbannung aus dem öffentlichen Leben.
Ist WICKED in seiner ausufernden Länge ein schlechter Film? Nicht im Geringsten. Aber er wird mit Sicherheit auch kein Publikum für sich gewinnen, dass bisher ohne Musicals sehr gut zurecht kam. Alles an diesem Film ist viel. Das fängt beim Set-Design an, und hört bei bei der Bildgestaltung lange nicht auf. Der Film ist knallig bunt, und selbst wenn er in der zweiten Hälfte thematisch finsterer wird, und damit auch die Szenen in der Lichtgestaltung düsterer werden, behalten die Bilder ihre starken Kontraste und kräftigen Farben. Die Bauten sind ausladend und überdimensioniert, innen wie außen, ob Shiz oder Emerald City. Die Macher werden es sicherlich nicht gerne hören, aber Erinnerungen an eine andere Zauberschule sind nicht zu vermeiden, und drängen sich sogar auf.
Es gibt fliegende Affen, Bären als Babysitter, und eine Ziege als lehrenden Professor. Es gibt Fische die aussehen wie eine aufgelöste Piñata, und ein schnuckeliges Löwenbaby, dessen Schicksal bekannt sein wird, wer den Originalfilm in Erinnerung hat. Kenner von Maguires Buch und dem resultierten Bühnenstück wissen bereits, dass auch die anderen Gefährten von Dorothy aus ZAUBERER VON OZ ihren Einstand in WICKED feiern. Diese Auflösung wird aber erst TEIL ZWEI offenbaren. So ist das eben bei Produktionen, die sich derart aufblasen, dass ein Film allein nicht genug ist. Hier hat Opulenz absoluten Vorrang, was ein erhöhtes Aufkommen an Visuellen Effekten nach sich zieht. Diese sind allerdings nicht gerade bahnbrechend, was eben gerade bei den Tieren auffällt. Und auch die Landschaften können nur schlecht ihre Künstlichkeit verbergen. Das stört in erster Linie verwöhntes Kinopublikum, relativiert sich aber durch die Inszenierung.
Regisseur ist Jon M. Chu, der zuletzt mit INTO THE HEIGHTS Erfolg hatte, damit aber trotzdem im Musical-Mittelmaß blieb. Er dirigiert diese kunterbunte Welt unglaublich dynamisch. Was aber weitgehend auch auf Alice Brooks ständig fliegende, fließende, bewegende Kamera zurückführt, die in den letzten Jahren zur Musical-Spezialistin avancierte. Statische Bilder sind bei Brooks ganz bewusste Ausnahmen. Myron Kerstein kann da mit der Montage noch unheimlich viel dazutun, der eigentlich immer mit Brooks zusammenarbeitet. Die beiden wiederum, sind schon lange Wegbegleiter von Chu.
Es gibt im Schnitt einige Anschlussfehler, die sicherlich einem für Musiksequenzen notwendigen Rhythmus von Bild und Musik geschuldet sind. Aber insgesamt hat der Film dank der perfekt verwobenen Bildgestaltung, Kameraarbeit und Montage eine sehr kurzweilig anmutende Dynamik. Wenn man sich überhaupt für das Genre also solches begeistern kann, denn die einzelnen Gesangsnummer sind weit davon entfernt, aufregend choreografiert zu sein. Ariana Grande und Cynthia Erivo sind zweifelsfrei stimmlich die beste Entscheidung gewesen. Wobei Erivo auch darstellerisch sehr viel Tiefe in ihre Rolle der zerrissenen Elphaba bringt, und damit einer Bühnendarbietung weit voraus ist. Sie schafft es mühelos, sich die böse Hexe aus dem Westen absolut eindringlich zu eigen zu machen. Ariana Grande hingegen fixiert sich bei ihrer flippigen Glinda zu aufdringlich auf die Allüren und Ticks von Kirstin Chenoweth‘ ikonischer Broadway-Darstellung.
Wer die bahnbrechenden Auftritte von Idina Menzel und Kristin Chenoweth als die ersten Elphaba und Glinda auf der Bühne erleben durfte, wird verständlicherweise gewisse Startschwierigkeiten mit Erivo und Grande haben. Letztendlich sind es aber die Inszenierungen bestimmter Songs, die nicht den Effekt erreichen, welcher das Musical als solches so beliebt macht. Gerade bei „Popular“ (popu-LAHR) ist die Kamera grundsätzlich zu nah an Grande, um die absurd witzige Physikalität zwischen Figur und Song zu transportieren. Außerdem strapaziert die Sängerin das kopieren von Chenoweth.
Der Regisseur neigt überhaupt dazu, die eigentliche Länge von Lieder inszenatorisch aufzublasen und zu strecken, was ausgerechnet bei dem Gassenhauer schlechthin sehr weh tut. „Defying Gravity“ ist nicht nur das grandiose Finale des ersten Aktes auf der Bühne, sondern gesanglich der Höhepunkt der Show. Jon M. Chu macht aus „Defying Gravity“ ein zehnminütiges Spektakel, dass den ersten Teil der Filmadaption abschließt. Dabei wird das Lied aber mehrere Male unterbrochen, was sich kontraproduktiv für die emotionale Intensität von Song und Stimme ausnimmt. Aber derlei unschlüssige Entscheidungen gibt es einige, die künstlerisch fragwürdig sind. So agieren alle Statisten im überzogenen Stil einer Theateraufführung. Wobei sich alle weiblichen Studierenden in Shiz klischeebeladen wie Zicken benehmen, und die Männer als boshaftes Stereotyp des schwulen Kauzes dargestellt sind. Dann ist da Jeff Goldblum als großer und mächtiger Oz, der tatsächlich den Eindruck vermittelt, als würde er gerne ganz wo anders sein.
Stärken und Schwächen lösen sich ab, oder gehen Hand in Hand. Im Augenblick der Niederschrift dieser Zeilen wird WICKED allein in Nordamerika die 300 Millionen-Dollar-Einnahmemarke gebrochen haben, was die kühnsten Analytiker nicht annähernd prognostizieren konnten. Wie das mit Einspielergebnissen so ist, sie machen keinen Film besser. Musicals haben nicht die besten Freunde beim Kinopublikum, und WICKED wird daran auch kein bisschen ändern. Aber die Studios haben mächtig dazu gelernt, um dieses Genre allgemein zugänglicher zu machen. Und der starke, keinesfalls fehlerfreie, aber starke technische und künstlerische Anspruch von WICKED bestätigt das.
Gregory Maguire behandelt in seinem Buch starke Themen. Fremdenfeindlichkeit, Manipulation, Totalitarismus, Integrität, Selbstbestimmung und die wahre Natur des Bösen. Trotz kräftiger Weichspülung hat die Bühnenfassung das alles beibehalten. Themen die leider nie an Aktualität verlieren. Allerdings rechtfertigt nichts davon den Ausbau eines 150 Minuten Stückes auf eine (voraussichtlich) 5-stündige Filmadaption. Der Regisseur hat das mit mehr Tiefe und Überraschungen für die Figuren gerechtfertigt, es als Notwendigkeit bezeichnet. Die Filmfassung tut nicht mehr für die Figuren, was nicht schon das Bühne-Musical getan hat. Die Mogelpackung funktioniert in diese Richtung also nicht. Was funktioniert sind 160 Minuten pures Kino, welches bei Kennern des Stücks Begeisterung auslöst, und Skeptikern viel Wind aus den Segeln nimmt. Das ZAUBERHAFT LAND – THE WIZARD OF OZ hat keine kleine Schwester, sondern eine erwachsene Partnerin bekommen.
Darsteller: Cynthia Erivo, Ariana Granda, Jeff Goldblum, Michelle Yeoh, Jonathan Bailey, Peter Dinklage (Stimme), Marissa Bode, Andy Nyman u.a.
Regie: Jon M. Chu
Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox
nach dem Buch von Gregory Maguire
nach Motiven von L. Frank Baum
Musik: John Powell (Score)
& Stephen Schwartz (Score & Songs)
Kamera: Alice Brooks
Bildschnitt: Myron Kerstein
Produktionsdesign: Nathan Crowley
Island, Kanada, Großbritannien, USA
2024
160 Minuten