– Bundesstart 28.11.2024
– Release 21.08.2024 (FR)
Es ist ein Angebot, dass sie nicht ablehnen kann. In Mexiko hat gerade hat die unterforderte Anwältin Rita Mora Castro mit fragwürdigen Argumentationen einen zweifelhaften Fall für eine strittige Persönlichkeit gewonnen, schon bricht sie in Gesang aus. Und die belebte Straße bewegt sich in choreographiertem Tanz mit ihr. Das ist allerdings erst der Anfang des Spektakels, denn gleich darauf wird Rita gezwungen sich mit Kartell-Boss Juan „Manitas“ Del Monte zu treffen. Sie soll irgendwo in der Welt einen Arzt ausfindig machen, der bereit ist Juan einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Und dabei soll sie auch alle Wege und Verbindungen zwischen Juan Del Monte, dem medizinischen Team, und der neuen weiblichen Person verschleiern. Die Bezahlung ist astronomisch, was bei einem Bandenführer dieses Kalibers auch keine Rolle mehr spielt. Wie könnte die ohnehin sinnsuchende Rita dieses Angebot ablehnen.
Dazwischen wird immer wieder gesungen und getanzt, und wenn das Mandat erfolgreich erledigt wurde, wird weiter getanzt und gesungen. Da kommt einiges zusammen was sich Filmautor Jaques Audiard hier ausgedacht hat. Dessen GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN hat in Cannes 10 Minuten Standing Ovation bekommen, EMILIA PEREZ aber nur 9. Was Audiards jüngsten Film keineswegs besser oder schlechter macht. Aber dieser irrsinnig lächerliche Auswuchs an Erfolgsprognose, passt nur bestens zu dem absurden Mix an Genre, Form und Produktion mit dem EMILIA PEREZ gestaltet wurde.
Es ist eine Oper, in Form eines Musicals (so der Regisseur), Thriller im Kartell-Milieu, Psychogramm über Geschlechtsidentität, Drama um Integrität und Selbstbestimmung. Ein mexikanischer Film, von einem französischen Filmemacher, mit mexikanischen Figuren, deren Darstellerinnen spanischer und domenikanisch- puerto-ricanischer Abstammung sind. Lediglich Selena Gomez hat mexikanische Wurzeln, spricht aber nur schlecht spanisch. Und es ist ein ernstes Drama, dass wegen seiner Absurdität teilweise urkomisch ist. Aber nicht unfreiwillig komisch. Jaques Audiard hat sich einiges vorgenommen, was er auch mit überwältigender Konsequenz umgesetzt hat.
Die Make-up Abteilung von Simon Livet und Julia Floch Carbonel leistet Erstaunliches. Nicht nur wenn sie in der ersten halben Stunde die natürliche Schönheit Zoe Saldañas sehr überzeugend hinter der Maske einer abgekämpften und rastlosen Rita mit ungesundem Aussehen verbergen. Erst vier Jahre nach dem erfüllten Auftrag des skrupellosen Drogenhändlers erstrahlt Saldañas Rita als erblühende Frau von Welt, die es sich offensichtlich dank ihres extrem großzügigen, nicht ganz ehrenwerten Honorars, sehr gut gehen ließ. Doch dann macht sie die Bekanntschaft der charismatischen Emilia Pérez, die sich als Juan „Manitas“ Del Monte in aller herrlichen Weiblichkeit entpuppt. Die gerissene Anwältin soll einen Weg finden, Jessi und die gemeinsamen Kinder, die ahnungslose Familie des Totgeglaubten, mit der jetzigen Emilia wieder vereinen.
Wie man es dreht und wendet, dies ist kein Film mit einem gemeinsamen Nenner für den Publikumsdurchschnitt. Was aber zweifellos alle überzeugt, ist das exzellente Produktionsniveau. Eine mit der Kamera erweiterte Erzählebene. Die nahtlose Montage. Eine natürlich realistische Set-Gestaltung. Selbst die wunderbaren, aber zurückhaltenden Choreografien, erwecken durch die auf formale Gestaltung fokussierte Inszenierung einen makellosen, fast perfekten Film. Aber in Inhalt und Aussage ist er es nicht.
Ist Jaques Audiard zumindest bei der filmtechnischen Umsetzung fokussiert, findet er in der Geschichte keinen Schwerpunkt. Die Gewichtung verlagert sich immer wieder zwischen Rita und Emilia, bricht auch mit dieser Form, in dem unerwartet Jessi im Vordergrund steht. Es rutscht die Grundidee eines Mannes immer wieder aus dem Zentrum, der mit einer Transition nicht nur sein Seelenheil findet, sondern auch seinem kriminellen Leben entkommen kann. Karla Sofía Gascón meistert diese Rolle mit Glanz und Gloria. Es ist nicht nur die Parallele zu ihrem eigenen Leben, welche sie für Emilia prädestiniert. Gascón scheut sich nicht ihre vormalige Männlichkeit durchscheinen zu lassen. Gleichzeitig macht sie die starke Verletzlichkeit und Unsicherheit ihrer Emilia spürbar, welche mit einem derartigen Lebenswandel zumindest am Anfang einhergeht.
EMILIA PÉREZ hat so viel Gutes und so viel Überzeugendes, dass man diesen Film auch sehr gerne als das überragende Werk sehen möchte, der einem seit seiner Premiere angepriesen wird. Aber das ist er einfach nicht. Er ist manchmal hochdramatisch, manchmal vollkommen absurd. Er ist fantastisch gespielt, die Texte manchmal grauenhaft banal. Manchmal ist er unglaublich spannend, dann wieder absolut vorhersehbar. Allein die ‚La Vaginoplastia‘-Sequenz (es geht darum, was der Titel verspricht) verdeutlicht wie widersprüchlich der Regisseur seinen Film ganz bewusst angelegt hat. Jaques Audiard hat sich sehr viel vorgenommen, und auch genauso umgesetzt. Was formal selten zusammenpasst. Ob das gefällt, muss man tatsächlich selbst herausfinden.
Darsteller: Zoe Saldaña, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz, Edgar Ramirez, Mark Ivanir u.a.
Regie: Jaques Audiard
Drehbuch: Jaques Audiard
mit Unterstützung von Léa Mysius & Nicolas Livecchi
Kamera: Paul Guilhaume
Bildschnitt: Juliette Welfing
Musik: Camille (Songs) & Clément Ducol (Score)
Produktionsdesign: Emmanuelle Duplay
Frankreich, Belgien / 2024
132 Minuten