– Bundesstart 14.11.2024
– Release 08.03.2024 (AUT)
„Ich wollte weg sein aus der Welt.“ Es ist eher selten, dass Archiv-Recherchen eine gesonderte Erwähnung in Filmtiteln erlangen. In diesem Fall Kathy Stuart, die sich mit dem „mittelbaren Selbstmord“ speziell in Oberösterreich Mitte des 18. Jahrhunderts beschäftigte. In ihrer dritten Spielfilmarbeit (das Kurzfilmsegment für FIELD GUIDE TO EVIL nicht gerechnet), lassen das Regie- und Autoren-Duo Veronika Franz und Severin Fiala das Genre des Horrors hinter sich. Nicht ohne dem Grauen dennoch ordentlich Tribut zu zollen. Im Jahr 1750, irgendwo in Oberösterreich, heiratet die junge Agnes den Bauernsohn Wolf. Das Leben ist hart und voller Entbehrungen. Sofern man in dieser kargen Waldlandschaft etwas mit diesem Begriff überhaupt etwas anfangen kann. Für die gottesfürchtige Agnes geht ihr religiös beeinflusster Lebenstraum in Erfüllung. Eine Familie gründen, Kinder bekommen, und dem Herrgott dafür dankbar sein.
Der Begriff Teufels Bad beschrieb früher den Zustand, der erst viel später als Depression bezeichnet werden wird. Das Regie-Duo führt seine Protagonistin sehr langsam, sehr verständlich an diesen Abgrund heran, bei dem es zu Agnes‘ Zeiten einfach hieß, man solle sich zusammenreißen, oder zum Bader gehen, und Gott um Hilfe bitten. Agnes bleibt im Bett von Wolf unberührt, zudem setzt ihr die missmutige Schwiegermutter zu. Mutter und Bruder können sie nicht wieder aufnehmen, weil es sich schlichtweg nicht gehört.
Das Franz und Fiala das Horror-Genre nur nach Definition nicht verlassen haben, zeigt sich in der schockierenden Eingangssequenz. Und diese gibt auch gleich vor, welchen Weg Agnes gehen wird. Selbstmord wird nicht vergeben, und führt zur ewigen Verdammnis. Nach einem begangenen Mord allerdings, kann man durch Beichte die Absolution erlangen. 400 solcher „mittelbaren Selbstmorde“ hat Kathy Stuart aus jener Zeit recherchiert, in welcher auch der Film angesiedelt ist. Der verdiente Tod, ist ein guter Tod, und macht mit der Absolution den Weg zum Herrn frei. Eine Logik nach der religiösen Doktrin, die sich in jener Zeit durch alle Glaubensrichtungen gezogen hat.
So eindrucksvoll wie Franz und Fiala ihre Geschichte aufbereitet und umgesetzt haben, entwickelt man auch ein gewisses Verständnis, für die Protagonistin und die allgemeinen Umstände. Zwischen rationalem Existenzkampf, Tradition und Aberglaube. Es ist eine Zeit noch vor der Aufklärung, was die Regisseure eindringlich mit ihrem ungeschönten Konstrukt verständlich machen. Aber sie verlieren sich dabei in ihrem Zeitgefühl.
Mit dem Gänsehaut erzeugenden Einstieg, ist auch Agnes‘ filmisches Schicksal vorgegeben. Das die beiden Verantwortlichen diesen Prozess nachvollziehbar und besonders ergreifend gestalten wollen, spricht nur für sie. Aber es ist keine Frage ob Agnes diesen Weg gehen wird, sondern wann. Und bei aller Zuneigung zu den starken Leistungen der Darsteller – die Sequenz der Beichte mit Anja Plaschg bleibt sehr lange in Erinnerung – inszeniert das Regie-Duo zeitlich viel zu ausschweifend. Jede Szene der sich steigernden Phasen von Agnes‘ Depression werden in Anzahl und Länge zu stark ausgekostet.
Was aber darüber hinaus ungemein fesselt, sind die exquisiten Einstellungen von Martin Gschlacht. Der Kameramann bereits bei Franz und Fialas ICH SEH, ICH SEH, zeichnet große Bilder, und lässt die Landschaften beunruhigend dominieren. Nicht weil sie mit ihren erdigen Farbtönen besonders beeindrucken, sondern um die Menschen in ihrem noch untergeordneten Platz in der Natur aufzuzeigen. Gschlacht schafft auch hier mit langen Plansequenzen eine einnehmende Sogwirkung. Und mit dem Anschein von ausschließlich natürlichen Lichtquellen, auch bei Nachtaufnahmen, gelingt eine beeindruckend zeitgenössische Atmosphäre. Trotz allem haben sich Veronika Franz und Severin Fiala in der dramaturgischen Ausführlichkeit ihrer Inszenierung vertan.
Einige extrem unbequeme Schocksequenzen unterstreichen den Charakter jener Zeit, und erweitern auch immer wieder Aufmerksamkeitsspanne, weil sie verdeutlichen, dass jederzeit auch alles möglich wäre. Unterstützt von einem starken Produktionsdesign, entsteht ein außergewöhnlich intensives Zeitgemälde, welches den rauen Alltag mit seiner sozialen Unerbittlichkeit wirklich sehr nahe an das Publikum bringt. Aber eine wesentlich kürzere Laufzeit, hätte die Erfahrung noch eindringlicher gemacht.
Darsteller: Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter, Elias Schützenhofer u.a.
Regie & Drehbuch: Severin Fiala & Veronika Franz
Kamera: Martin Gschlacht
Bildschnitt: Michael Palm
Musik: Soap&Skin (Anja Plaschg)
Produktionsdesign: Andreas Donhauser, Renate Martin
Österreich, Deutschland / 2024
121 Minuten