DIE WITWE CLICQUOT

Widow Clicquot - Copyright CAPELIGHTWIDOW CLICQUOT
– Bundesstart 07.11.2024
– Release 19.08.2024 (CAN)

Man wünschte, die Biografie über Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin wäre ein prickelndes Vergnügen, wie der Champagner dem diese Geschichte zu verdanken ist – aber genug des Kalauers, versprochen. Wobei sich dieser ja förmlich aufdrängt, wer des französischem auch nur ein klein bisschen mächtig ist. Dem hier schreibenden Verfasser wurde erst mit diesem Film tatsächlich bewusst, das ‚Veuve‘ übersetzt Witwe bedeutet. Was auch erklärt warum im Originaltitel der Artikel fehlt, die Verbindung von Film und Getränk ist damit viel eindringlicher. Nur Deutschland muss wieder sein eigenes dummes Ding machen. Barbe-Nicole ist 27 wenn sie das Champagnerhaus ihres gerade verstorbenen Mannes François übernimmt. Die Leidenschaft und Hingabe zum Wein hat sie von François erlernt und geerbt, aber daraus sind eigene Ideen für den Wein, und andere Vorstellungen für das Geschäft erwachsen. Aber es ist 1805, da liegen die Probleme wirklich auf der Hand.

Ja, es gibt ein paar sehr interessante Fakten über Barbe-Nicole, über den Weinbau, und über die Geschäftsgebaren, oder die gesellschaftliche Ordnung. Und es gibt eine sehr anmutige, sehr zurückhaltende Haley Bennett. Sie muss sich nicht theatralisch verausgaben, um eine zeitgemäße Verletzlichkeit mit ihrer erstarkenden Dominanz glaubwürdig zu vereinbaren. Viel Respekt verdient sich dabei Noa Yehonatan mit ihren Make-up-Künsten. Die Wandlung einer unbedarften Barbe-Nicole zur ehrgeizigen Geschäftsfrau spiegelt sich auch sehr feinfühlig und dezent im Äußeren von Haley Bennett wieder, ohne wirklich als Maske wahrgenommen zu werden.

Im Geschäft hat sich Thomas Napper als Regisseur der Second Unit bei Produktionen wie DARKEST HOUR, ABBITTE oder MARY POPPINS RETURN einen guten Namen gemacht. Und auf gewisse Weise erweckt WITWE CLICQUOT genau eben jenen Eindruck einer Second Unit, die unterstützendes Material für die eigentliche Handlung dreht. Es ist traurig, ja sogar etwas ärgerlich, was WITWE CLICQUOT alles sein könnte, aber nie umsetzt. Das Drehbuch von Erin Digman, zusammen mit Christopher Monger nach dem Roman von Tilar Mazzeo entworfen, erzählt nicht linear. Das Handeln und die Entscheidungen der Witwe, werden immer wieder durch Rückblenden verständlich gemacht, als ihr François noch lebte. Trotz seines stetigen Abgleitens in den Wahnsinn kann er Barbe-Nicole seine Liebe entgegenbringen, und sie für das Weingut Feuer fangen lassen. Gefolgt von unzähligen Experimenten für das perfekte Produkt.

Napper unterscheidet in seiner Inszenierung nicht zwischen den zwei Zeitebenen, die hier ständig nahtlos wechseln. Und Caroline Champetier an der Kamera tut auch nicht viel dafür, den Film bildlich interessanter zu gestalten. Die Liebesszenen zwischen Barbe-Nicole und François sind genauso in nüchterner Beleuchtung und Kameraführung gehalten, wie die die Sequenz mit dem Buchhalter, oder die Auseinandersetzung mit Weinbergbesitzer Moet [!]. Der Film hat eine schlichte, allgemeine Atmosphäre, ohne besondere Reize, Hervorhebungen oder sonstiger erzählerischer Unterstützung.

Widow Clicquot 2 - Copyright CAPELIGHT

Es wird auch nie deutlich, welchen Fokus Regisseur Thomas Napper tatsächlich verfolgt. Er zeigt die Witwe durchaus als experimentierfreudige Getriebene, und auch als gerissene Geschäftsfrau. Der Film reißt aber auch die Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft an, macht aber nie richtig klar, welche Bedeutung dabei das Tun von Barbe-Nicole als Frau hat. Thomas Napper legt sich einfach nicht fest, oder versucht gar einen Schwerpunkt zu finden. Unstet mäandert der Film durch die gesellschaftlichen, persönlichen, und geschäftlichen Probleme von Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin. Er gibt aber kein Gespür dafür weiter, wie bedeutungsvoll ihr Handeln und Streben letztendlich in der Geschichte des Feminismus und des Champagners einzuordnen ist. Die Verbindung Feminismus und Champagner hört sich zuerst flapsig an, aber der Regisseur will beide Punkte gleichberechtigt nebeneinander wissen. Und hier verliert der Film.

Letztendlich bekommt kein Aspekt der Geschichte die gebührende Aufmerksamkeit, die er verdient, oder wird der volle Umfang der für sich stehenden Leistungen gewürdigt. Napper will das Gesamtpaket als Würdigung sehen, was sich aber in der Dramaturgie beißt. Und genau dabei verliert der Regisseur auch den speziellen Blick für Feinheiten. Was die Liebe zu François ausmachte, die Hintergründe zu der Größe der Champagner-Perlen, die wahren Ambitionen von Louis Bohne, die besondere Beziehung zur Bediensteten Anne, die Verbindung der Champagner-Häuser untereinander. Das grundsätzliche Ärgernis ergibt sich aus der künstlerischen und technischen Umsetzung, die absolut uninteressant bleibt. Wobei Bryce Dressners uninspirierter, aber auch viel zu aufdringlicher Soundtrack eher dazu neigt, die Nerven zu strapazieren.

In den letzten Minuten schlägt der Film unvermittelt eine andere Richtung ein, in der die Geschichte auch ihre verlorene Dramaturgie zu ändern versucht. Hier kommen noch einmal die vorher schon viel besungenen napoleonischen Kriegsgesetze zum Einsatz. Alles was Napper bisher als selbstverständlich etablierte, steht plötzlich auf dem Prüfstand. In einer in die Länge gezogenen Szene vor Gericht verzichtet der Film zum Glück auf die verführerische Möglichkeit eines glühenden, aber abgedroschenen Plädoyers für den Feminismus. Das komplette Ende verkommt dafür zu einem etwas aufdringlichen Instrument die Geschichte von Barbe-Nicole, und damit die Legende des Veuve Clicquot, mit bequemlichem Bombast zu untermauern. Wenigstens bleibt eine starke Haley Bennett, der man wirklich gerne zusieht. Aber grundsätzlich wären bei 90 Minuten Laufzeit, davon auch noch 6 Minuten Abspann, einige Minuten mehr durchaus möglich gewesen, um wenigstens der Erzählung eine komplexere Tiefe zu geben.

Widow Clicquot 1 - Copyright CAPELIGHT

Darsteller: Haley Bennett, Sam Riley, Tom Sturridge, Anson Boon, Natasha O’Keeffe, Ben Miles u.a.

Regie: Thomas Napper
Drehbuch: Erin Dignam
Kamera: Caroline Champetier
Bildschnitt: Richard Marizy
Musik: Bryce Dessner
Art Director: Stéphane Sartorius
USA / 2023
90 Minuten

Bildrechte: CAPELIGHT PICTURES
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