– Release 24.10.2024 (world)
Als VENOM 2018 die Herzen der müde gewordenen Superhelden-Kinowelt erfreute, war kein wirklich guter Film das im klassischen Sinne. Das darf man auch über VENOM: LET THER BE CARNAGE sagen. Und man darf sich für VENOM: THE LAST DANCE wiederholen. Das Regiedebüt von Kelly Marcel überzeugt aber, und ist immer sehr gut zwischen der Handlung. Jene Momente, wenn die Figuren losgelöst sind von den strukturellen Zwängen einer Handlung. Ein Jahr sind der außerirdische Symbiont und der vormalige Journalist Eddie Brock schon zusammen. Aber wie gewohnt streiten, maulen, und schmollen sie, wie ein weit in die Jahre gekommenes Ehepaar. Und dann gibt es noch eine Invasion von Aliens, die den Symbionten töten wollen. Und es gibt einen fanatischen Soldaten der mit seiner Spezialeinheit den Symbionten lebend fangen will. Und, und, und. Aber die Frage ist, ob die Handlung, oder ein Verständnis über die Handlung tatsächlich von Nöten ist. Denn die ist tatsächlich nicht gut.
Auch wenn eine plausible Geschichte einem Film durchaus zuträglich ist, ist VENOM bereits in den zwei Vorgängern vornehmlich ein Vehikel für Tom Hardy. Dieser hatte die Rolle eigentlich nur auf ausdrücklichen Wunsch des Sohnes angenommen, sich die Filmreihe und Produktionsprozesse aber letztendlich zu Eigen gemacht. Es sind die herausragenden Momente jeden Films, wenn Eddie Brock mit dem eigentlich überlegenen Parasiten in den Schlagabtausch gerät. Und in LAST DANCE ist es nicht anders, wobei die regieführende Drehbuchautorin hier noch ordentlich oben drauf legt. Kelly Marcel war auch für die Bücher der beiden Vorgänger mitverantwortlich, was man durchaus auch in der fließenden und schlüssigen Entwicklung der beiden Hauptfiguren bemerkt.
Die Bedienung eines Parasiten geht an keinem Wirt spurlos vorbei. Entsprechend ist Eddie Brock körperlich noch eine Stufe weiter am Verfall als noch einen Film vorher. Aber der Symbiont Venom treibt den ehemaligen Journalisten unerbittlich vor sich her, säuft in einer Bar weiter, wo der Körper von Eddie eigentlich längst aufgegeben hat. Doch ihre emotionale Bindung ist mittlerweile weit stärker, als ihre physische Ablehnung. Das erlaubt der Regisseurin zwei unerwartete Szenen von gefühlsmäßiger Tiefe die wirklich überrascht. Und die aber auch jeden im Publikum tatsächlich berühren.
Was Kelly Marcel aber nicht wirklich im Griff hat, sind die Action-Sequenzen. Zu unübersichtlich ist das Chaos, und viel zu aufgeblasen der Aufwand. Eine wirkliche Orientierung ist nur schlecht möglich, und Kameramann Fabian Wagner ist für die große Leinwand auch stets viel zu nah an den Personen. Der THE CROWN und GAME OF THRONES Photograph tut sich auch sonst schwer, eine attraktive Eigenständigkeit in der Bildführung zu finden. Tatsächlich schafft es das Charisma der Figuren über die Action hinweg zu helfen. Diese ist nicht wirklich schlecht, aber ohne spektakuläre Einfälle oder optisch elegante Inszenierung. Der Kampf auf einer Passagiermaschine in der Luft hätte so viel mehr hergeben können, dafür ergötzt sich der Endkampf in nicht enden wollender Überfrachtung. Zu viel des Guten, wie meist in solchen Filmen.
Auch die hochgradig besetzten Nebenrollen tümpeln etwas im Standard. Chiwetel Ejiofor darf lediglich böse gucken, hat aber als antagonistischer Soldat ansonsten keinerlei Tiefe. Die sonst immer subtil aus der Art schlagende Juno Temple ist eine Wissenschaftlerin nach den Blaupausen des verständnisvollen Verbündeten, mit einer sehr schnell vorhersehbaren Bestimmung. Und für den gutmütigen Spinner der an UFOs glaubt, ist Rhys Ifans schlicht nach Typus besetzt. Dann werden noch die tragischen Ereignisse um einen Bruder angerissen, und penetrant ein Weihnachtsbaum ins Gespräche gebracht. Beides, wie auch manch anderer Handlungspunkt, führt absolut ins Nichts.
Außerordentlich witzig ist hingegen, dass die ersten fünf Namen in der Besetzungsliste britische Darsteller sind, die in uramerikanischen Rollen besetzt sind. Das aber nur am Rande, und bleibt tatsächlich ohne Bedeutung. Der Film als solcher hat allein ordentlich Witz. Manchmal brachial, manchmal subtil, meist erfreut man sich einfach an den Darstellern selbst. Der Running Gag mit den Schuhen ist Gold wert. Da verschmerzt man die dümmliche Pointe mit, „es gibt keine Aliens“, wenn im nächsten Schnitt Aliens aus dem Boden brechen. Da der Titel allein, aber noch mehr das Marketing, VENOM: THE LAST DANCE als wirklich letzten Tanz von Eddie Brock und Symbionten Venom verkauft, gibt es für die beiden Hauptdarsteller auch richtig gehende Herzschmerz-Momente. Und die funktionieren. Im Angesicht der angedrohten Möglichkeiten, ist es für das Publikum schwer, nicht ergriffen zu sein. Ob Hardcore Fan oder Neueinsteiger.
Kelly Marcel gibt genug Angriffsfläche, um ihr Regiedebüt in entscheidenden Punkten in Frage zu stellen. Aber tief im Herzen weiß jeder, man ist doch ohnehin wegen des fabelhaften Tom Hardy und den von ihm selbst gesprochenen Venom gekommen, unabhängig von der Komplexität der Handlung. Oder der eben fehlenden Komplexität der Handlung. Und hier hat Marcel zumindest im Buch, und allein in der Inszenierung von Hardy, verdammt viel richtig gemacht. Stand am Anfang noch, es wäre im klassischen Sinne kein wirklich guter Film, muss man das relativieren. VENOM: THE LAST DANCE ist kein klassisches Kino, aber verdammt gut – auf seine bescheidene Weise.
Darsteller: Tom Hardy, Juno Temple, Venom, Alanna Ubach, Rhys Ifans, Stephen Graham, Chiwetel Ejiofor, Peggy Lu u.a.
Regie & Drehbuch: Kelly Marcel
Story Kelly Marcel, Tom Hardy
Kamera: Fabian Wagner
Bildschnitt: Marl Sanger
Musik: Dan Deacon
Produktionsdesign: Sean Haworth, Chris Lowe
Großbritannien, USA, Mexiko / 2024
109 Minuten