– Bundesstart 24.10.2024
– Release 31.05.2024 (Can)
Nahaufnahme eines Medaillons, hängend am Stumpf eines Holzpfahls auf den überwucherten Resten eines eingefallenen Aussichtsturms. Stimmen nähern sich, die sich über eine Tragödie unterhalten, die hier einst stattgefunden haben muss. Die Stimmen entfernen sich wieder. Dann schnelle Schritte die zurück kommen, eine Hand greift ins Bild und nimmt das Medaillon. Die Schritte entfernen sich wieder schnell. Aus dem Haufen von Schutt und Pflanzenwuchs gräbt sich eine Gestalt ins Freie. Genau das ist die Szenerie, wie für gewöhnlich Slasher-Filme beginnen. Aber Chris Nashs IN A VIOLENT NATURE ist kein gewöhnlicher Slasher, er ist kein gewöhnlicher Splatter, er ist nicht einmal ein Thriller. Er ist nicht einmal spannend. Chris Nash umgeht sogar bewusst jede Möglichkeit eine für Horror übliche Spannung aufzubauen. Und auch wenn es sich verrückt anhört, genau das macht IN A VIOLENT NATURE unheimlich spannend.
Chris Nash hat bisher Kurzfilme und Music Videos gemacht. Da könnte man leicht annehmen, er hat bei seinem Spielfilmdebüt, als Autor und Regisseur, nicht wirklich gewusst was er tut. Aber mit jeder Minute des Films erkennt man, dass Nash ziemlich genau wusste was er tut, und wie er es tun muss. Bis zum bitteren Ende. Wobei sich dieses bittere Ende dann doch an die Empfindungen des Mainstream-Horror-Publikums richtet. Rigoros stellt Chris Nash alles auf den Kopf, was den Regeln des modernen Horrorkinos und seinen trendigen Attitüden entspricht. Bis auf die Morde, denn die sind ganz nach Erwartung und Hoffnung richtig schonungslos und wunderbar blutig.
Wobei selbst die Kills des stillen Monsters aus der Art schlagen. Es sind nicht unbedingt die brutalsten, aber sicherlich die innovativsten Schlachtereien die das begierige Publikum auf seine Art erfreuen werden. Was sie so außergewöhnlich macht, ist das Umfeld in das Chris Nash die blutigen Gemetzel setzt. Denn man erlebt den Film aus der Sicht von Johnny, dem Jungen, der wegen eines dummen Streiches am Aussichtsturm der Feuerwache ums Leben kam. Das gestohlene Medaillon war von Johnnys Mutter zum Gedenken. Es gibt einen Michael, einen Jason, einen Freddy, und jetzt eben einen Johnny. Aber anders als bei Michael Myers, dessen Perspektive man nur sporadisch einnimmt, folgt Nash ausschließlich seinem Johnny. Die Kamera von Pierce Derks stets wenige Schritte hinter Johnny, wie er immer wieder minutenlang durch Unterholz oder über Felder läuft. Zielstrebig, konsequent, aber nie eilig zum nächsten Opfer.
Manchmal erreicht Nash eine unerwartet hypnotische Wirkung, wenn tatsächlich nichts anderes passiert, als das Johnny vor der Kamera her marschiert. Er hat es nicht eilig, er bekommt die Diebe des Medaillons so oder so. Und diese stoische, pragmatische Ruhe macht ihn letztendlich auch so überlegen. Wenn man sich bei Slashern schon immer gewundert hat, woher der verrückte Mörder plötzlich so unvermittelt auftaucht – hier gibt Chris Nash einen Einblick. Ungewöhnlich und verwunderlich, aber es funktioniert tatsächlich. Und das mit Unterstützung einer fantastischen Tonebene.
Der meditative Rhythmus von Johnnys meist ungeschnittenen, minutenlangen Schritten. Oder die Stimmen der Protagonisten, die wirklich nur soweit verständlich werden, wie sich ihnen Johnny annähert. In der Tat eine etwas andere Erfahrung im eigentlich erschöpft geglaubten Genre. Auf diese Weise wird einiges über Johnnys Geschichte bekannt, oder ein bisschen über die junge Besuchergruppe in der Waldhütte. Nicht alles, nur was Johnny in Hörweite vernehmen kann. Dafür sieht man ihn bei der Wahl seiner nächsten Waffe zu, und da hat sich Filmemacher Nash einiges einfallen lassen. Wie das nächste Opfer ableben wird, ist also keine Überraschung. Und das das auferstandene Monster sein nächstes Opfer auch abschlachten wird, liegt in der ‚brutalen Natur‘ des Genres. Und dennoch entwickelt sich eine außerordentliche Spannung.
Die Spannung entsteht auch durch ein gewisses Unbehagen. Nur die Perspektive des hyperbrutalen Killers einzunehmen ist in dieser Grenzerfahrung nicht genug. Der Slasher folgt eigentlich den Regeln, seine Opfer unter den unmoralischen, verwerflichen, oder unsympathischen jugendlichen Protagonisten auszusuchen. Die junge Gruppe hier sind einer Party nicht abgeneigte Menschen, aber nett, zuvorkommend und kultiviert. Chris Nash hat also wirklich alles auf den Kopf gestellt. Umso erschreckender ist dann die konventionelle Trivialität des reinen Tötens. Zweifelsfrei die momentan innovativsten Kills im Kino, dennoch folgen sie keinem erhöhten, intellektuellen Kontext.
Es ist Nashs Erzählstruktur der unglaublichen Verlangsamung, welche die eigentlichen Aufhänger eines jeden Splatter-Horrors umso intensiver gestalten. Alexandre Aja hat das Spiel mit der Perspektive in seinem MANIAC-Remake grandios auf die Spitze getrieben, aber immer noch mit den Mustern von Spannung, Action, und Überraschung inszeniert. Die einzige Überraschung die IN A VIOLENT NATURE bereithält, ist sein konsequentes Ende. Dieses Ende ist der Prüfstein für jeden Horror-Nerd, der sich auf dieses Werk eingelassen hat. Chris Nash hat sehr viel vom ‚kontemplativen Kino‘ der Sechziger- und Siebzigerjahre übernommen, hat aber auch gelernt dies unkonventionell mit dem heutigen Zeitgeist zu verschmelzen. Das alles zusammengefasst, ist absolut nicht für jeden Geschmack. Weder für Schocker-Freunde noch Arthouse-Liebhaber. Aber das alles zusammengefasst ist unheimlich spannend anzusehen.
Darsteller: Ry Barrett, Andrea Pavlovic, Cameron Love, Reece Presley, Chrlotte Creaghan, Liam Leone u.a.
Regie & Drehbuch: Chris Nash
Kamera: Pierce Derks
Bildschnitt: Alex Jacobs
Set Decoration: Jon Rhoads
Kanada / 2024
94 Minuten