stattdessen SPEAK NO EVIL

Speak Evil 3 - Copyright UNIVERSAL STUDIOSEs waren nicht sehr viele, aber wer den dänischen Film SPEAK NO EVIL von den Brüdern Tafdrup gesehen hat, der wird sich wirklich wundern. Wer diesen Film voller gnadenloser Konsequenz gesehen hat, der wird sich fragen, was in diesem U.S.-Remake aus Tafdrups Film geworden ist. Es war seine schockierende Auflösung, die vor zwei Jahren den wahren Horror über das Gemüt des Publikums legte. Eine radikale Auflösung, die SPEAK NO EVIL definiert. In erstaunlich kurzer Zeit legt Universal ein von Blumhouse produziertes Remake nach. Regisseur James Watkins, der auch die neue Drehbuchfassung schrieb, hat für die Abweichung zum Original eine plausibel scheinende Erklärung ersonnen. Das Ende wäre bei Genre-Freunden, und sogar darüber hinaus, hinlänglich bekannt, und könnte demnach nicht mehr den gleichen Effekt erreichen. Man müsste das mit dem Stoff vertraute Publikum mit neuen Ideen überraschen.

James Watkins‘ Version von SPEAK NO EVIL ist zweifellos ein exzellent packender Thriller, sehr intensiv und unheimlich. Es ist in erster Linie James McAvoys Film, der das verstörende Sujet regelrecht aufsaugt, und damit die Zuschauenden mit schaurigem Unbehagen überzieht. Man ist geneigt dies als McAvoys bisher eindringlichste Rolle zu bezeichnen, die selbst seinen Auftritt in SPLIT überragt. Eher ungewöhnlich für eine Blumhouse Produktion, sind es in erster Linie die Darsteller und ihre Figuren, die das Grauen unter die Haut kriechen lassen. Als Familienvater mit verlorener Maskulinität bildet Scoot McNairy mit Mackenzie Davis eine sehr eindringliches, weil natürliches Paar, die sich auch ohne Worte sehr oft mit Blicken und Gesten erklärt.

Speak Evil 2 - Copyright UNIVERSAL STUDIOS

James Watkins‘ Version von SPEAK NO EVIL folgt sehr strikt dem Buch des Originals, oftmals wortgetreu, manchmal sogar in Bildeinstellungen. Grundsätzlich ein guter Ansatz, einen eher unbekannteren Stoff, noch dazu mit diesem gewaltigen Einschlag, einem breiteren Publikum anzubieten. Warum wird also der Kern dessen, was diesen Film so außerordentlich macht, abgeändert. Eigentlich verliert ein Remake damit seine Rechtfertigung. Die ausufernde Trailer-Werbung vor gefühlt jedem Film in den vergangenen sechs Monaten, hat jedem der geneigten Zuschauenden den Handlungsverlauf fast bis ins Detail angetragen.

Die Auflösung des Films blieb das einzige Element, welches überraschen konnte. Das tut es nicht. Für sich allein stehend, wäre Watkins‘ SPEAK NO EVIL ein exzellenter Psychothriller, der jedes interessierte Publikum im wahrsten Sinne der Worte das Fürchten gelehrt hätte. Aber James Watkins hat explizit ein Remake inszeniert, allerdings mit einem Showdown der nicht anders als herkömmlich bezeichnet werden kann.

deswegen noch einmal SPEAK NO EVIL 2022

Speak No Evil - Copyright Plaion PicturesSPEAK NO EVIL
GAESTERNE
– Bundesstart 28.09.2023
– Release 17.03.2022 (DNK)

Wo würden Sie die Grenzen ziehen? Wann wäre Ihre Geduld ausgeschöpft, Ihre Toleranz überschritten? Die Brüder Christian und Mads Tafdrup stellen diese Fragen, die Christian, der Ältere, in unbequemen Szenen verpackt. SPEAK NO EVIL verkauft sich als Horrorfilm, der ein geneigtes Publikum zuerst kräftig vor den Kopf stößt. Zugleich wird er die Problemfilm verwöhnten Arthouse-Freunde kräftig in der Magengrube treffen. Das dänische Paar Louise und Bjørn, nebst Tochter Agnes lernen im Italienurlaub die Niederländer Patrick, Karin und deren Sohn Abel kennen. Besonders Patrick, mit seinem unkonventionellen, sehr direkten Wesen, erweckt bei Bjørn und Louise eine zweifelhafte Faszination. Der Urlaub ist schon Wochen vorbei, als von Patrick und Karin eine unerwartete Einladung in die Niederlande eintrifft.

SPEAK NO EVIL ist eine dänische Produktion, was stets aufhorchen lassen sollte. In diesem Sinne hat Christian Tafdrup (PARENTS, A HORRIBLE WOMAN) erneut einen Film gemacht, der sich sehr weit von den Konventionen jenes Genres entfernt, dem er eigentlich vorgibt zugehörig zu sein. Der Film braucht sehr lange, bis erste Hinweise deutlich werden, in welche Richtung sich das Geschehen entwickeln könnte. Der Einladung spontan folgend, treffen zwei unterschiedliche Paare mit vollkommen gegensätzlichen Vorstellungen von Moral, Anstand und Integrität aufeinander.

Bjørn lässt Anzeichen von Lebenskrise erkennen, und kann eine gewisse Affinität für Patricks unverhohlene Offenheit nicht leugnen. Die strukturierte Louise hingegen, tut sich mit der unkonventionellen Art des Paares schwer. Der treusorgenden Mutter geht besonders Patrick und Karins harscher Umgang mit Sohn Abel zu Herzen. Aber Louise und Bjørn können die Lebensweise der Niederländer Anfangs gar nicht verurteilen, sondern stellen erst einmal ihre eigenen Verhaltensnormen in Frage. Der atmosphärische Hauch von skandinavischen Problemfilmen der 1970er.

Speak No Evil 1 - Copyright Erik Molberg - Plaion Pictures

Der Regisseur erweist sich als Meister der subtilen Dramatik. Auf der einen Seite macht sich eine ansteigende Verwunderung breit, worauf die Handlung eigentlich hinaus will. Währenddessen hat sich auf der anderen Seite eine unangenehme Spannung aufgebaut, die ganz wenig mit dem Nervenkitzel des Gruselkinos zu tun hat. Mit Ignoranz drängt Patrick die Vegetarierin Louise vom Fleisch zu probieren, Karin belehrt unentwegt die ihr eigentlich fremde Gasttochter. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Gästen, nimmt sehr langsam, aber konsequent groteske Züge an.

Aber wo zieht man die Grenzen. Hilflosigkeit und leichte Verzweiflung bestimmen die Atmosphäre, die sich in beklemmender Form auf die Zuschauenden überträgt. Es sind keine unbekannten Situationen, Szenen die selbst erlebt, oder aus erster Hand erzählt wurden. Als Beobachter wird man zur zermürbenden Tatenlosigkeit bestimmt, während Louise und Bjørn merklich um Fassung, Verständnis, oder Geduld ringen, und ihre sozialen Konventionen strapaziert werden. Wo der beworbene Horrorfilm bislang vermisst wurde, offenbart er sich schließlich in seiner natürlichsten Form.

Mit der Kamera bleibt Erik Molberg Hansen ebenfalls Beobachter, er verweigert sich irgendwelcher optischer Spielereien, und versucht sich auch nicht als visueller Erzähler. Die Kamera wird zum Werkzeug, Emotionen von Ohnmacht und Unverständnis nicht nur darzustellen, sondern auf den Beobachter zu übertragen. Die Konfrontation bleibt nicht aus, doch Patrick und Karin kontern mit sehr präzisen und treffenden Beobachtungen über Louise und Bjørn selbst. Christian Tafdrup lässt die zwischenmenschliche Abwärtsspirale immer unbarmherziger kreisen.

Speak No Evil 2 - Copyright Erik Molberg - Plaion Pictures

Der Filmemacher fordert sein Publikum sehr lange heraus, bis er mit brachialer Schonungslosigkeit den Kern seiner Erzählung freilegt. Bis der Horror in seiner natürlichsten Form, dem Grauen in seiner unbegreiflichsten Art weicht. Was sich für lange Filmminuten wie eine vermeintliche Genreverfehlung ausgenommen hat, wird mit radikaler Konsequenz auf den Kopf gestellt. Christian Tafdrup ist dem Ruf einer Neuausrichtung im Genre mit kompromissloser Entschlossenheit gefolgt, und bringt ein vollkommen überraschtes Publikum zum wimmern und stöhnen.

Einen derart erbarmungslos schockierenden letzten Akt muss ein Filmemacher erst einmal wagen. Da sind weder Blutexzesse noch Übernatürliches erforderlich, bei SPEAK NO EVIL aber sehr starke Nerven.

Speak No Evil - Copyright Plaion PicturesDarsteller: Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Fedjia van Huêt, Karina Smulders, Liva Forsberg, Marius Damslev u.a.
Regie: Christian Tafdrup
Drehbuch: Christian Tafdrup, Mads Tafdrup
Kamera: Erik Molberg Hansen
Bildschnitt: Nicolaj Monberg
Musik: Sune Kølster
Produktionsdesign: Sabine Hviid
Dänemark, Niederlande / 2022
97 Minuten

Bildrechte: Erik Molberg / Plaion Pictures


Speak Evil 3 - Copyright UNIVERSAL STUDIOS– Bundesstart 19.09.2024
– Release 11.09.2024 (BEL)

Darsteller: James McAvoy, Mackenzie Davis, Scoot McNairy, Aisling Franciosi, Alix West Lefler, Dan Hough u.a.
Regie & Drehbuch: James Watkins
Nach dem Film von Christian Tafdrup & Mads Tafdrup
Kamera: Tim Maurice-Jones
Bildschnitt: Jon Harris
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
USA / 2024
110 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL STUDIOS

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