– Bundesstart 08.08.2024
– Release 12.07.2024 (world)
Preview 07.08.24, Cineplex Fürth
In mancherlei Hinsicht ist LONGLEGS enttäuschend. Eine davon ist ein unheimlich schlechtes Marketing, das den Thriller in seinen Trailern wie einen von der Stange produzierten Horrorstreifen mit all den einhergehenden plumpen Klischees aussehen lässt. Regisseur und Autor Osgood Perkins nimmt tatsächlich viele dieser Schablonen auf, inszeniert diese aber stets ein wenig außerhalb der Spur. So baut er keine Sequenzen explizit für einen Jump-Scare auf, sondern inszeniert hart geschnittene Szenenwechsel als Schockmoment. Dadurch, dass Perkins immer wieder mit der Erwartungshaltung bricht, entwickelt er die Atmosphäre eines unruhigen Traumes. Wenn die Zuschauenden Lee Harker kennenlernen, dann agiert die unsoziale FBI-Agentin als würde sie dem Asperger-Spektrum nahestehen. Es ist bei Perkins alles eine Frage der Perspektive, in mancherlei Hinsicht. Aber bevorzugt ist es die ungewöhnliche Kamera, welche die Stimmung des Films ausmacht.
In einer Reihe von bizarren Fällen in denen Familienväter ihre Frauen und Kinder töteten und danach sich selbst, holt Agent William Carter die Forensikerin Lee Harker an seine Seite. Eine junge Agentin die Spuren und Rätsel mit außersinnlicher Wahrnehmung zu lösen versteht. Bei der Auswertung von kryptischen Zeichen bei den Abschiedsbriefen, stößt Harker auf den Namen Longlegs, der mit den Tragödien zusammenhängt. Daraufhin kann sie ein Muster für die Auswahl der Opferfamilien erkennen. Und schon kurz darauf bekommt die Agentin selbst eine Nachricht von Longlegs. Das unheimliche Phantom wird bald in Lee Harkers familiärem und beruflichem Umfeld morden.
Osgood Perkins weiß wie man Atmosphäre erzeugt. Szene für Szene schafft er ein Gefühl von Unbehagen. Da sind die ausgewaschene Farbpalette und die kontrastarmen Bilder. Und es ist die extreme Weitwinkeloptik, mit welcher die Kamera immer sehr nahe an den Protagonisten bleibt, und dennoch sehr viel von der Umgebung zeigt. Es ist ein paradoxes Gefühl von gleichzeitiger Nähe und Distanz. Andres Arochi an der Kamera verzichtet auf schnelle Bewegungen, sondern schafft die bemerkenswert eindringliche Stimmungen mit langen, fließenden Einstellungen. Die Kamera setzt das Publikum in die Position der Figuren. Ein sehr grafisches Konzept, das ‚unheimlich‘ gut aufgeht.
LONGLEGS ist nicht der propagierte Schocker. Es ist ein durch bewusste Zurückhaltung durchweg aufwühlender Film, mit einer stetig vibrierenden Atmosphäre. In seiner besonnen Inszenierung und der ungewöhnlichen Hauptfigur erinnert Perkins Film ganz stark an Michael Manns MANHUNTER – BLUTMOND, in dem William Petersen einen Serienmörder ebenfalls mit seinen außersinnlichen Wahrnehmungen jagt. Beide Filme werden ebenbürtig, weil sie den Sechsten Sinn nicht als übersinnlichen Hokuspokus zelebrieren, sondern sehr dezent als sehr reales Element glaubhaft machen können. Und dafür findet Maika Monroe als Lee Harker die perfekte Ausrichtung.
Nebenbei erwähnt, könnte Lees Nachname durchaus auch thematisch als Referenz an eine literarische Horrorikone verstanden werden. Die insich gekehrte Agentin steht plötzlich als Mittlerin zwischen den Welten von Gut und Böse, Vernunft und Wahnsinn. Trotz ihres sichtbar introvertierten Wesens, macht Maika Monroe auch die manische Verbissenheit ihres Charakters spürbar. Ein treibender und steigender Eifer, je näher sie dem Geheimnis von Longlegs kommt. Monroe zeichnet ihre Figur, bei der es im Verlauf immer spannender wird sie zu beobachten. Lee Harker wird jemand, von der man tatsächlich mehr sehen möchte. Wäre da nicht ihr Gegenspieler und Antagonist.
Ein Darsteller der sich schon bis über die Selbstparodie hinaus selbst ausgereizt hat, ist schlichtweg nicht geeignet für eine ernsthafte Monsterrolle. Das Genre ist innerhalb seiner Grenzen sehr sensibel, und die Fans noch viel mehr, was das Grauen wirklich grauenhaft macht. Ein maskierter Kasper ist es nicht. Wenn man merkt, dass sich hinter einer dicken Latexschicht nur ein bekanntes Gesicht versteckt, verliert der Schrecken seinen Reiz. Wenn diese Maske auch noch so furchtbar schlecht gemacht ist wie hier, verliert ein Film beinahe schon seine Berechtigung. Aber grundsätzlich verliert der Film, weil Nicolas Cage die Rolle des Longlegs wie gewohnt bis zur Lächerlichkeit überreizt.
Osgood Perkins hat Dank seines ungewöhnlichen, visuellen Konzeptes, und einer fabelhaft schwermütigen Maika Monroe, etwas geschaffen, was man sehenswert nennen sollte. Da reiht sich Blair Underwood als Harkers trinkfreudiger und abgebrühter Vorgesetzter perfekt ein. Ein herrlich düsteres Duo, von dem man sich mit seiner stimmungsvollen Melancholie durchaus auch mehr vorstellen könnte. LONGLEGS ist die angemessene Mischung zwischen Blumhouse-Einerlei und Arthouse-Horror im Kreis von Eggers, Lynch und Aster. Wäre da nicht diese eine zerstörerische Fehlbesetzung.
Darsteller: Maika Monroe, Blair Underwood, Alicia Witt, Nicolas Cage, Michelle Choi-Lee u.a.
Regie & Drehbuch: Osgood Perkins
Kamera: Andres Arochi
Bildschnitt: Graham Fortin, Greg Ng
Musik: Elvis Perkins
Produktionsdesign: Danny Vermette
USA, Kanada / 2024
101 Minuten