– Bundesstart 24.07.2024
– Release 26.07.2024 (US)
Ja, Wolverine ist tot. Und auch wenn Hugh Jackman als Wolverine eine der zwei Hauptrollen spielt, macht diese dritte DEADPOOL-Party von Anfang an klar, dass der Wolverine in LOGAN 2017 tatsächlich von uns gegangen ist. Hier fängt also der vogelwilde Spaß an, der für geschlagene 124 Minuten einfach nicht abreißt (5 Minuten Abspann laufen tatsächlich nur mit Schrift). Der feuchte Traum eines jeden Nerds ist Wirklichkeit geworden, und wird für eben jene im Kino eine Dauerschleife an Höhepunkten provozieren. Das wirft unweigerlich die Frage auf, wie kompatibel der Film mit Gelegenheitszuschauenden, Quereinsteigenden, oder Freund/+inn#en von DC-Comics sein wird. DEADPOOL & WOLVERINE ist Fan-Service und cinephiler Orgasmus in unablässiger Höchstform, und das auch noch mit wirklich eigenständiger Handlung. Auf diese Handlung einzugehen wäre allerdings selbst mit besten Absichten kein zielführendes Unterfangen.
Je weniger man über Shawn Levys dritten Film mit Ryan Reynolds, zweiten mit Hugh Jackman, aber erste Marvel-Verfilmung weiß, desto mehr Freude, Schenkelklopfer, und Aha-Effekte wird er generieren. Alle bisherigen Gerüchte stellen sich als wahr heraus, und sind es dann doch nicht. Paradox?! Ganz sicher, aber zutreffend. Soviel sei gesagt, Deadpool braucht einen Verbündeten im Kampf gegen einen übermächtigen Feind aus der ‚Leere‘ – die Müllhalde aller Universen aus dem Multiversum, bekannt aus der Serie LOKI. Aber Wolverine ist tot, der aus einem verdammt genialen Grund der einzige ist, der dem kostümierten Wade Wilson helfen könnte. Da kommt schließlich die Time Variance Authority ins Rennen, die sich um die ordnungsgemäßen Abläufe der parallellaufenden Zeitlinien aller Universen kümmert – ebenfalls bekannt aus der Serie LOKI.
Geneigte Leser sehen, der Versuch einer Inhaltsangabe scheitert irgendwie an ausreichend Erklärungen, an der Zeit zum lesen, und dem Volumen an Handlungselementen. Am besten ist es, man lässt sich fallen und genießt. Irgendwie. Denn DEADPOOL & WOLVERINE denkt gar nicht daran, einen entspannt im Kinosessel zurücklehnen zu lassen. Hier steht ausnahmsweise, und das ist ein Novum im Genre-Kino, der Inhalt weit über der Form. Aber der Inhalt kann auch sehr anstrengend werden. Deadpool ist bekanntlich nicht der familienfreundlichste Superheld. Aber sein erster Teil hat gezeigt, dass vulgäre Sprüche, Splatter-Orgien gleiche Kämpfe, und eine 18-er Altersfreigabe keine Umsatzeinbußen bringen. Im Gegenteil. Für den dritten Wolverine-Solofilm LOGAN eine echte Chance im einbrechenden X-Men-Geschäft. Und die ging auf.
Im Film gibt sich der selbstüberschätzte Deadpool einen besonderen Eigennamen, der durchaus auch metaphysisch auf den Film übertragen werden kann. Ein gewisser Heilsbringer im festgefahrenen Marvel Cinematic Universe. Die Macher gehen aufs Ganze und nehmen keinerlei Rücksicht mehr. Noch weniger Rücksicht als in den Vorgängern. Und Meta spielt dabei die entscheidende Rolle. Ob die Rechte der einzelnen Comicfiguren, oder die Studioankäufe von Disney. Ob das Marvel Cinematic Universe und sein Publikum, oder die Meinung von Chef Kevin Feige. Jeder der nicht über die Abläufe und Hintergründe jenseits der bloßen Filme informiert ist, wird hoffnungslos zurückbleiben. Dennoch muss Deadpool zu allem etwas sagen. Oder es gibt etwas metaphysisches zu sehen, wie das alte 20th Century Fox-Logo auf der Müllhalde die ‚Leere‘.
Und dann natürlich die vielen Cameos. Kaum zu zählende Gastauftritte, deren Nennung zu viel von der Geschichte verraten, und mehr als die Hälfte des Vergnügens nehmen würde. Nur soviel erwähnt: Es gibt ein Wiedersehen mit Figuren, deren Auftritte wirklich nicht absehbar waren, aber essenziell wichtig werden. Die Verflechtungen verkommen aber nie zum reinen Selbstzweck, sondern sind sehr raffiniert und überraschend homogen in die Handlung eingebracht. Selbstverständlich sollte man beim Begriff Selbstzweck vorsichtig einen Schritt zurück machen. War ja DEADPOOL als Film und Figur grundsätzlich für den reinen Spaßfaktor ohne Anspruch auf eine konsistente Struktur konzipiert. Das Drehbuch der fünf Autoren, darunter erneut Ryan Reynolds, macht es sich dann doch nicht so einfach, wie der ersten Eindruck vermitteln könnte.
Ist der Charakter Wade Wilson und sein Alter Ego Deadpool ein selbstgefälliger Egozentriker, der die Aufmerksamkeit grundsätzlich auf sich lenkt, fokussiert sich der Film selbst immer wieder verstohlen auf die vergessenen Helden der Marvel-Welt. Nicht selten fungiert DEADPOOL & WOLVERINE als herzerweichender Epilog oder längst überfälliger Abschluss von verkannten und/oder ungeliebten Filmen oder Figuren bestimmter Superheldenfilme. Trotz der scheinbar pausenlosen Action, der unablässig ordinären Sprüche, der unglaublichen Brutalität, und des unweigerlich mitreißenden Witzes durch alle Humorlevel, schafft Regisseur Shawn Levy viele nostalgische und tatsächlich auch berührende Momente. Im Gesamten ist Levys Film viel – sehr viel – und trifft in seinen wirklich überladenen Dimensionen nicht unbedingt den Geschmack aller.
Wovon man fast selbstredend wirklich nicht zu viel bekommen kann, sind Ryan Reynolds und Hugh Jackman. Eine unglaublich stimmige Paarung deren Zusammentreffen lange überfällig war, und die Frage aufwirft warum das solange gedauert hat. Reynolds Mundwerk und Jackmans Physis setzen beim Buddy-Movie ganz neue Maßstäbe. In diesem Sinn wird DEADPOOL & WOLVERINE nicht unbedingt zum besten, aber zum unterhaltsamsten und komplexesten, hintersinnigsten und aberwitzigsten Film des nun komplett vereinten Marvel Cinematic Universe. Und mit ihm wird der Gute-Laune-Hit ‚You’re The One That I Want‘ nie wieder derselbe sein.
Darsteller: Ryan Reynolds, Hugh Jackman, Emma Corrin, Morena Baccarin, Rob Delaney, Leslie Uggams, Matthew Macfadyen und Peggy u.a.
Regie: Shawn Levy
Drehbuch: Shawn Levy, Ryan Reynolds, Rhett Reese, Zeb Wells, Paul Wernick
Kamera: George Richmond
Bildschnitt: Shane Reid, Dean Zimmerman
Musik: Rob Simonsen
Produktionsdesign: Ray Chan
USA / 2024
127 Minuten