DADDIO
– Release 27.06.2024 (GER)
Steven Knight konzipierte und drehte mit LOCKE – NO TURNING BACK 2013 einen der besten, aber auch am wenigsten beachteten Eine-Person-Filme. Während der 80-minütigen Fahrt von London nach Birmingham in Realzeit, krempelt die Hauptfigur ihr Leben komplett um. Nebendarsteller sind nur über das Telefon zu hören. LOCKE ist eine Tour de Force, die wegen einer starken und kontroversen Geschichte, und mit Tom Hardy als erstklassigen Locke perfekt funktioniert. Dickon Hinchliffe hat für LOCKE einen ansprechenden Score komponiert. Hinchliffe hat auch für DADDIO die Musik geschrieben, allerdings einem Zwei-Personen-Film, der aber ebenfalls ausschließlich in einem Auto in Realzeit spielt. Hier ist Hinchliffes Musikuntermalung weniger eindringlich, eher zweckmäßig. Dafür hat DADDIO mit Dakota Johnson und Sean Penn zwei sehr präsente Darsteller, von denen man gewohnt ist, dass sie erstklassig spielen.
Im Film hat sie keinen Namen, im Abspann wird sie Girlie genannt. Sie landet von ihrer Schwester kommend am JFK, und möchte nach Midtown. Sie ist Programmiererin, kann ihr der geschwätzige Taxifahrer Clark entlocken, seiner unverblümten Sprache nach zu urteilen, ein eher in der unteren Mittelschicht verhaftetes Urgestein des Taxistandes. Ein unverfänglicher Smalltalk führt zu einer nur dahingesagten Wette, bis Clark sie mit indiskreter Beharrlichkeit in eine persönlichere Auseinandersetzung verwickelt. „Du kommst klar“, ist Clark von Girlies Souveränität überzeugt. Eine Aussage, welche sie zuerst verunsichert, dann aber zu Dialogen mit offener Selbstreflexion animiert.
Technisch ist DADDIO alle erste Güte. Phedon Papamichael weiß mit seiner Optik die eingeschränkte Räumlichkeit gut zu nutzen, um nicht allzu schnell mit immer denselben Kameraeinstellungen zu ermüden. Was Lisa Zeno Churgin hervorragend im Schnitt / Gegenschnitt zu montieren versteht. Churgin gibt jeder Sequenz einen wundervoll akzentuierten Rhythmus, der auch die jeweilige Stimmung spiegelt. Nur eine bestimmte, öfters genutzte Weitwinkel-Einstellung mit Penn im Vordergrund, erzeugt beim Darsteller wegen der optischen Verzerrung eine unnatürlich große Nase. Gedreht wurde mit Panavision Objektiven, von denen man bessere Möglichkeiten erwarten sollte.
Was in den technischen Branchen ausgezeichnet funktioniert – die Fahrszenen über die nächtlichen Expressways und durch das verlassen wirkende New York sind mitreißend – lässt Christy Halls Buch in den definierenden Dialogen vermissen. DADDIO ist ein sehr geschwätziger Film, der nicht über Westentaschenphilosophie und Alltagsproblematik hinaus kommt. Nicht das diese Themen irrelevant oder uninteressant wären, besonders für betroffene Personen oder deren Umfeld. Beziehungsfähigkeit, Beziehungsängste, oder Vaterkomplexe. Man darf das nicht schmälern. Nur wie es Hall ihrem Publikum präsentiert, gewinnt es oftmals den Charme einer Talkshow am Nachtmittag.
Beide Darsteller sind herausragend, faszinierend und charismatisch einnehmend. Ihre Figuren sind es nicht. Ihre passiven Reaktionen und seine offensive Anmaßung die letztendlich zu einer Stunde offenem Seelen-Striptease führen, sind nicht plausibel. Natürlich versteckt sich Christy Hall mit dieser Ausgangssituation hinter ihrer angedacht überraschenden Auflösung. Aber die Bekenntnisse ihrer Figuren sind in jedem Schritt ihrer Entwicklung Geradwegs vorhersehbar. Während Dakota Johnson es noch schafft mit Körperlichkeit mehr auszudrücken als mit Worten, muss Sean Penn die emotionale Exkursion mit Standards von pseudo-psychologischen Banalitäten bewältigen.
Es erklärt sich schon allein aus einem Rückblick auf ihre Karrieren, dass Johnson und Penn fast nicht anders können als gut zu sein, und darstellerisch richtig Gas geben. Penn sogar einige Meilen pro Stunde mehr als in seinen vorangegangenen Schauspieleinsätzen. Sie zu beobachten bereitet unglaubliche Freude. Zwei der besten Darsteller ihrer jeweiligen Generation, die regelrecht gefangen nehmen, durch ihre vollkommen gegensätzliche Art ihre Figuren zu interpretieren. Da wünscht man sich inständig, was beide zu sagen haben hätte wirklich Gehalt, wäre überraschend, oder würde die grundlegenden Themen weniger oberflächlich abhandeln.
Darsteller: Dakota Johnson, Sean Penn und Taxi 22X1
Regie & Drehbuch: Christy Hall
Kamera: Phedon Papamichael
Bildschnitt: Lisa Zeno Churgin
Musik: Dickon Hinchliffe
Produktionsdesign: Kristi Zea
USA / 2024
100 Minuten