STING

Dieser Film war Beitrag der FANTASY FILMFEST NIGHTS April 2024

Sting 1 - Copyright STUDIOCANAL– Bundesstart 20.06.2024
– Release 12.04.2024 (Can)

FFN-24 Rosebud EntertainmentMit seinem Bruder Tristan versetzte Kiah Roache-Turner den Festival-Zirkus 2014 mit dem sensationellen WYRMWOOD in Wallung. Da waren zwei, die das Genre nicht einfach nur verstanden, sondern mit viel Freude der Zombie-Apokalypse neue Aspekte abzuringen wussten. Und sie haben mit einem ganz eigenen Stil in Inszenierung und Optik für sehr wenig Geld eine Film gemacht der nach richtig viel aussieht. Der zweite Film NECROTRONIC ging vollkommen unter, mittelmäßig ging es im Dritten wieder in die Welt von WYRMWOOD. Aber mit STING verspricht Kiah Roache-Turner nun einen durch und durch klassischen Tierhorror, der schon im Marketing so stark nach Blaupause aussieht, dass man es kaum erwarten kann, was der Filmemacher daraus zaubern wird. Es geht um die zwölfjährige, diebische Charlotte, die in ihrem Mehrfamilienhaus durch die Lüftungsschächte in andere Wohnungen krabbelt, und rotzfrech klaut.

Bei einer ihrer Diebestouren entdeckt sie in einem alten Puppenhaus eine schwarze Spinne. Anstatt lautstark „Igitt“ zu schreien, packt sie die putzige Arachnidin in eine Streichholzschachtel, und später bei sich zuhause in ein Einmachglas, um sie mit Kakerlaken zu füttern. Wir als Zuschauende wissen natürlich was passieren wird, denn der Regisseur beginnt den Film schon einmal vier Tagen vorausschauend, zeigt wie sich die Geschichte entwickeln wird, und stellt einige der vielen skurrilen Protagonisten vor. Unter anderem die demente Helga, die wegen ihrer extremen Vergesslichkeit schon diverse Schädlingsbekämpfer ins Haus zitiert hat: Irgendwas ist in den Wänden.

Sprung zurück, vier Tage vorher. Charlotte hat die Spinne gefangen, füttert sie, und freut sich das die noch kleine Bestie in nur zwei Stunden schon die doppelte Größe hat. Ihr Stiefvater Ethan ist Comic-Zeichner, im Nebenberuf der Hausmeister im Wohnhaus, und der einzige mit einem wirklichen Verständnis für Charlotte. Der Regisseur und Autor in Personalunion Roache-Turner baut für seinen Film so viele gute Charaktere auf, dass ein Film alleine eigentlich gar nicht ausreicht. Da wäre noch die schreckliche Vermieterin, mit starkem deutschen Akzent, und typisch deutschem Befehlscharakter. Oder der farbige Schädlingsbekämpfer Frank, ein sehr bewusstes Stereotyp an Comic-Relief.

Kiah Roache-Turner kennt die Genre-Versatzstück nur zu gut, und packt auch alles hinein. Ob Handlungsaufbau, Verlauf, die allseits bekannten Figuren, und ein Monster, wie es hinlänglich bekannt ist. Die auf den Namen Sting getaufte Spinne hat bald genug von Charlottes Obhut, denn es wird ihr im Glas schlichtweg zu eng. Sting braucht mittlerweile mehr als nur ein paar Kakerlaken, viel mehr. All diese Zutaten weiß der Regisseur perfekt ineinander zu verweben (Kalauer beabsichtigt), und macht daraus einen sehr soliden Genre-Beitrag. Witzig, skurril, und durchaus auch gruselig, steuert der Film auf seinen unvermeidlichen und blutigen Showdown zu: Irgendwas ist in den Wänden.

Sting 2 - Copyright STUDIOCANAL

Dennoch ist STING nicht das Maß aller Dinge, weil er genau darunter leidet, was ihn eigentlich so gut sollte. Nämlich seine Fülle an Details, Figuren, und die unablässig vorangetriebene Handlung. Allein der Titelvorspann im Puppenhaus ist schlichtweg genial. Was die vielen ähnlich gelagerten Filmen im ohnehin lustlos gewordenen Horror-Genre stark vermissen lassen, wird bei STING zur Herausforderung. Auf beiden Seiten der Leinwand. So wirkt Kameramann Brad Shields konstant genutztes Konzept von Halbschatten und akzentuierter Lichtsetzung mit der Zeit abgenutzt und fad. Das permanente Spiel mit Unschärfen, gerade bei den Spannungsmomenten mit Spinnenattacken, verliert auch schnell seinen eigentlich ansprechenden Reiz.

Inszenieren kann Roache-Turner zweifellos. Aber bei gerade einmal 85 Minuten Laufzeit ohne Abspann, presst der Filmemacher zu viel in den Ablauf. Darunter leiden vor allem die wunderbar stereotypen Figuren, für die den Darstellern einfach zu wenig Zeit bleibt. Was wiederrum auf die Zuschauenden zurückschlägt. Mit noch einigen Szenen mehr, wäre die ohnehin interessante Beziehung zwischen Charlotte und Stiefvater Ethan richtig komplex geworden. Dem Film wäre es auch gut bekommen, sich noch ein klein wenig intensiver mit Helgas Demenz zu beschäftigen. Anstelle des reinen Spaßfaktors, hätte man eine wirkliche, und damit für das Genre ungewohnte, glaubwürdige Tiefe gewonnen.

STING ist ein herrlich absurder Tierhorror, der gerade durch seine vorhersehbaren Elemente wirklich funktioniert. Es gibt Witz, es gibt Spannung, und es gibt ein sich langsam aber stetig steigerndes Splatter-Level. Gerade der höhere Blutgehalt kompensiert hervorragend das wachsende Erscheinungsbild von Sting, die tricktechnisch bedingt mit zunehmender Größe auch an Ekel verliert. Aber zu diesem Zeitpunkt hat sich die Inszenierung schon in den Action orientierten Showdown-Modus verlagert. Es ist ein dramaturgisches Dilemma. STING hat auf der einen Seite die perfekte Laufzeit. Aber auf der anderen Seite hat man permanent das Gefühl, man versäumt etwas, als würde immer etwas fehlen. Paradoxerweise gewinnt letztere, die andere Seite dabei die Oberhand. Kiah Roache-Turner hat einfach zu viel Gutes hineingepackt, als das es STING befriedigend auflösen könnte. Und das ’sticht‘ dann immer etwas im Cineasten-Herz.

Sting 3 - Copyright STUDIOCANAL

 

Darsteller: Alyla Browne, Ryan Corr, Penelope Mitchell, Robyn Nevin, Noni Hazelhurst, Jermaine Fowler, Silvia Colloca, Danny Kim, Tony J Black u.a.

Regie & Drehbuch: Kiah Roache-Turner
Kamera: Brad Shield
Bildschnitt: Kiah Roache-Turner, Jeff Cummings, Luke Doolan
Musik: Anna Dubrich
Produktionsdesign: Fiona Donovan
Australien, USA / 2024
92 Minuten

Bildrechte: STUDIOCANAL
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