– Bundesstart 30.05.2024
– Release 08.12.2023 (TWN)
Mit ihrem Kinofilmdebüt hat sich Regisseurin Mahalia Belo für ein starkes Thema, und die dafür beste Darstellerin entschieden. Produzent und Co-Darsteller Benedict Cumberbatch hat gleich nach Erscheinen die Rechte an Megan Hunters gleichnamigen Debütroman erworben. Adaptiert wurde der Roman von Alice Birch, die nicht nur mit LADY MACBETH einen überragenden Einstand als Drehbuchatorin hatte, sondern vor zwei Jahren auch das sensationelle Buch zu dem Netflix-Mystery-Thriller THE WONDER verfasste. Unglaublich packende Filme mit und über Frauen, aber keine Frauenfilme. In THE END WE START FROM geht es um eine Frau, die sich mit ihrem neugeborenen Baby durch eine von einer Naturkatastrophe veränderte Welt kämpfen muss. Massiver Dauerregen überflutet weite Teile des Landes. Überleben ist nur auf hochgelegenen Arealen möglich. Im Tumult des Ausnahmezustandes wird sie von ihrem treusorgenden Mann getrennt, und muss sich alleine mit Baby Zeb durchschlagen, um nachhause zu kommen.
Dieses Schreckensszenario lebt allein von Jodie Comer, und Regisseurin Belo weiß sich auch darauf zu verlassen. Die sonst extrovertierte Comer, umwerfend in FREE GUY, unerträglich in KILLING EVE, spielt ihre Mutterrolle mit eindringlich fokussierter Energie auf ihren Beschützerinstinkt. Es gibt nur zwei Momente, bei denen die Liverpoolerin ihre Verzweiflung regelrecht herausbrüllen darf. Aber die Mutter weiß, dass sie ihr Kind nur mit konzentrierter Ruhe durch die gefährlich gewordene Welt bringen kann. Sie verliert nicht die Nerven, sie ist angemessen spontan, und sie stellt ihr Schicksal nicht in Frage. Jodie Comer lässt nicht einen Augenblick daran zweifeln, dass sie alles für ihr Kind tun würde. Und das in einer Welt, in der die Zivilisation vergisst Mensch zu sein.
Niemand trägt im Film einen Namen, außer Baby Zeb, was wohl als Metapher für eine gesellschaftlichen Neuanfang zu verstehen ist. Die Mutter stellt sich in ihrer Odyssee fremdartigen Problemen, erfährt aber auch immer wieder Zeichen der Hoffnung. Benedict Cumberbatch spielt in einer Episode einen Wanderer, der Mutter und eine andere Begleiterin aus ihren ermüdenden Sorgen zu reißen versteht. Für eine Nacht lachen sie, und tanzen. Hoffnung ist nicht nur was die Mutter antreibt, sondern Mahalia Belo mit ihrem Film auch ausdrückt. Es gibt keine Szenen mit wirklich unmittelbarer Gefahr für die Familie. Brutale Ereignisse finden außerhalb der Handlung statt, dennoch bekommt man ein konkretes Verständnis über die Verhältnisse von Gewalt und Anarchie.
Was die eigentliche Stärke des Films sein sollte, erweist sich als dramaturgische Bremse. Belo ist so intensiv auf Comers Mutter fixiert, dass die kaputte Welt um sie herum kaum oder nur selten Eindruck macht. Die ins Haus eindringenden Wassermassen parallel zum Platzen der Fruchtblase zu inszenieren ist ein Bild, welches sich förmlich aufdrängt. Aber es ist einfach nur plakative Simplizität, weil es als Metapher überhaupt nicht standhält. THE END WE START FROM hätte sich als erster wirklicher Post-Pandemie-Film verdienen können. Der Film wäre selbst als ganzheitliche Metapher möglich gewesen. Die unkalkulierbare Katastrophe, die greifbare Angst vor der Ungewissheit, die allgemeine Hysterie und Hilflosigkeit. Die Parallelen sind nicht zu übersehen.
Aber so weit möglich, blendet Mahalia Bele die desaströse Heimsuchung einfach aus. Es findet keine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Unglück oder seinen Ursachen statt. Nur die notwendigsten Widrigkeiten im Zusammenhang mit dem Schicksal von Mutter und Kind werden behandelt, und das nicht wirklich befriedigend. Das Belo keinen Katastrophenfilm machen wollte ist nachvollziehbar, und wäre im klassischen Format auch vollkommen widersinnig gewesen. Aber selbst Suzie Lavelles Bildgestaltung reduziert sich auf das Notwendigste, mit sehr wenig atmosphärischen Einstellungen. Erst am Ende bekommt man in wenigen Bildern einen Eindruck vom überschwemmten London, und den tatsächlichen Auswirkungen des apokalyptischen Unglücks.
Die letzten Minuten wirken dann auch weniger homogen, aber vielmehr als Zugeständnis an die Erwartungshaltung. Es ließe sich vortrefflich über die Sinnhaftigkeit einer stärkeren, visuellen Darstellung diskutieren, würde nicht selbst in den Dialogen das Untergangsszenario weitgehend ausgeblendet werden. Es bleibt ein Film über Menschen, über das was Menschen bereit sind zu tun, und über die unbändige Kraft der Hoffnung. Das ist gut, vor allem weil man dabei eine fabelhafte Jodie Comer bewundern darf. Mahalia Belo inszeniert diese Mutter-Kind-Geschichte auch in einem makellosen Tempo und mit angemessener Leidenschaft. Fragwürdig bleibt, warum sich die Geschichte an einem Hintergrund entlang hangelt, für den sie keinerlei Interesse hat. Es verwirrt, es enttäuscht, und es schmerzt, darin so viel verpasste Chancen zu erkennen.
Darsteller: Jodie Comer, Joel Fry, Katherine Waterston, Mark Strong, Benedict Cumberbatch u.a.
Regie: Mahalia Belo
Drehbuch: Alice Birch
nach dem Buch von Megan Hunter
Kamera: Suzie Lavelle
Bildschnitt: Arttu Salmi
Musik: Anna Meredith
Produktionsdesign: Laura Ellis Cricks
Großbritannien / 2023
102 Minuten