THE RAIN PEOPLE
Release 27.08.1969 (US) – Bundesstart 28.11.1969
In einer Szene zwischen Shirley Knight und James Cann kann man im Hintergrund ein Kino sehen, in dem BONNIE AND CLYDE gespielt wird. Das mag noch Zufall gewesen sein, dann aber ein glücklicher. Arthur Penns Klassiker über das Gangsterpaar wird als offizielle Initialzündung für die Ära des New Hollywood gesehen, in der junge Regisseure die Konventionen unter Missachtung des restriktiven Production Codes aufbrachen. Eigentlich müsste dieser Neubeginn MICKEY ONE zugeschrieben werden, ebenfalls von Penn, aber BONNIE AND CLYDE ist schlichtweg bekannter. Francis Ford Coppola kam über Umwege von Roger Corman zu den großen Studios, war mit FINIAN’S RAINBOW erfolgreich, und rüttelt nun mit THE RAIN PEOPLE selbst am Studiosystem.
Wenn Natalie sich früh im Bett aus dem Arm ihres Mannes löst, aufsteht, ihm Frühstück bereitstellt, und das Haus verlässt, zeigt uns die Kamera nur Detailaufnahmen. Als Zuschauer sehen wir nichts von ihrem Umfeld, nicht wie sie wohnt, oder wo. Natalie glaubt ihren Mann zu verlassen, sie weiß es selbst noch nicht genau. Shirley Knight spielt Natalie mit einer gewissen Zurückhaltung, die allerdings nicht ablehnend wirkt. Manchmal ist Natalie sehr unsicher, manchmal überaus dominant. Der Filmautor Coppola gibt uns nichts vor, sondern erkundet gemeinsam mit uns ihren Charakter.
Natalie muss sich auch erst selber finden. Ein kleines Geheimnis entpuppt sich als Beweggrund, warum sie ihren Mann verlassen könnte. Aber der Regisseur macht daraus keine dramatische, oder bestimmende Offenbarung, weil es den Fokus verschieben würde. Natalie gewinnt die Aura eines All-American-Girl. Dazu muss sie raus aus ihrem einengenden Umfeld. Amerika ist dafür groß genug. In 18 Staaten hat das mobile Filmteam gedreht. Begleitet von Coppolas ehemaligen Kommilitonen George Lucas, der die halbstündige Doku FILMMAKER über die Dreharbeiten gemacht hat.
In Lucas‘ Film gibt es eine schöne Sequenz über die Auseinandersetzungen zwischen Filmemacher und dem finanzierenden Studio Warner Bros.. Coppola erweist sich bereits hier als trotziger Kämpfer, was bei späteren Produktionen noch viel egomanischere Ausmaße annehmen wird. Die extrem schmalen Gratwanderungen des Regisseurs sind aber all seinen Filmen zugute gekommen. So wie auch THE RAIN PEOPLE. Francis Ford Coppola wird später sagen, dass er diesen zu den fünf Besten seiner eigenen Filme zählt. Anders als andere seiner Produktionen, ist diese allerdings ein Produkt seiner Zeit.
Unterwegs nimmt Natalie den Anhalter Jimmy mit. Ein ehemaliger College-Football-Spieler, der durch eine Sportverletzung nicht mehr klar im Kopf ist. Natalie ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als sich um den nun kindlich naiven Jimmy kümmern zu können. Aber vielleicht ist es genau das was sie braucht, in dieser Welt wo bisher Männer bisher über ihr Leben bestimmt haben. Jimmy will zu einem Bekannten, der ihm noch vor seinem Unfall einen Job versprochen hat. Jimmy hat auf seiner Reise quer durch Amerika ein klares Ziel, während sich Natalie bewusst von ihrer Bestimmung entfernt.
Aber beide eint etwas, wie Jimmy in seiner dann doch nicht so simplen Welt feststellt. „Regenmenschen sind – Menschen aus Regen. Sie weinen nur. Sie verschwinden alle zusammen, weil sie sich selbst wegweinen“. Natalie will das zuerst nicht wahrhaben, und versucht ihre neue Freiheit zu genießen, indem sie sich mit dem Highway-Polizisten Gordon einlässt. Auf einmal ist sie gefangen zwischen zwei Extremen von Männern. Der Regisseur nutzt Landschaften und Kleinstadtatmosphäre als vertraute Kulisse von konservativer Bürgerlichkeit, die als Spiegel von Jedermanns Amerika fungiert.
Das ’neue Hollywood‘ ist bei Francis Ford Coppola mehr ein Abriss an Gedanken als eine gängige Erzählung. So ist auch der Film inszeniert, indem Szenen auch unvermittelt einsetzen, oder abrupt abgebrochen werden. Für manche Konflikt gibt es keine befreiende Auflösung. Das ist sehr gewöhnungsbedürftig, weil an einigen Stellen die Sehgewohnheit unter dem Anspruch der freigeistigen Gestaltung des Regisseurs leidet. Aber seine Figuren sind nie verbittert, lediglich verunsichert, manchmal verängstigt. Shirley Knight und James Caan bilden eine faszinierende Einheit von gegensätzlicher Dynamik.
Knight fesselt mit stoischer Gelassenheit und überraschender Spontaneität. Als Frau mit realen Problemen, die auch aufrichtig und ehrlich betrachtet werden, ist sie durchweg authentisch. Während Caan mit erstaunlicher Sensibilität das emotionale Gegengewicht meistert. Jimmys angeschlagener Geisteszustand bringt nicht nur die überraschendsten Momente in den Film, sondern Caan begeistert damit in jeder seiner Szenen. Enttäuschend ist allerdings Robert Duvall, dessen schmieriger Gordon lediglich nach Schablone agiert. Duvall selbst ist großartig, nur sein Charakter hätte von Coppola noch mehr Aufmerksamkeit benötigt. Doch in ihrer Konstellation bilden die Figuren einen geschlossenen Kosmos, der übertragbar ist auf die Seele des Landes in dem sie leben. Das macht THE RAIN PEOPLE ist in seiner offensichtlichen Schlichtheit im tieferen Sinne sehr komplex. Ein wesentliches Attribut des neuen Hollywoods.
Darsteller: Shirley Knight, James Caan, Robert Duvall, Tom Aldredge, Robert Modica, Andrew Duncan u.a.
Regie & Drehbuch: Francis Ford Coppola
Kamera: Bill Butler
Bildschnitt: Barry Malkin
Musik: Ronald Stein
Ausstatter: Leon Ericksen
USA / 1969
101 Minuten
Bildrechte: WARNER BROS. / Seven Arts