– Bundesstart 18.04.2024
– Release 12.03.2024 (USA)
Alles was man sich wünscht, und nichts was man erwartet. Wer sich an das Ende von EX MACHINA erinnert, oder an die eigenwillige Besetzung von MEN, bekommt eine Vorstellung von dem, zu was Alex Garland fähig ist. Und auch CIVIL WAR wird keinen im Publikum kalt lassen. Auf die eine oder andere Weise. Denn hier gibt der Brite Garland vor, dass es um einen Krieg geht, der mittlerweile möglich geworden ist. Aber unter der Schicht dieser vorgeschobenen Prämisse ist einiges mehr. Das Garland Brite ist, wurde zwei Sätze vorher deswegen hervorgehoben, weil sich der Londoner eben wider Erwarten nicht anmaßt, ein anderes Land soziopolitisch zu beurteilen. Selbst wenn die im Vorfeld durch das Marketing angefeuerten Diskussionen anderes vermuten lassen. Alex Garland hat einen Film gemacht, und der ist alles was man sich wünscht, und nichts was man erwartet.
Die Demonstrationen, Attentate und Feuergefechte in New York sind Routine geworden. Deswegen will die renommierte Photojournalistin Lee Smith mit ihrem Kollegen Joel nach Washington D.C., weil es Gerüchte gibt, dass die ‚Western Forces‘ aus Texas und Kalifornien kurz davor sind die Hauptstadt einzunehmen. Wie unpolitisch Garland seinen Film geschrieben und inszeniert hat, zeigt sich sogar in der ständigen Erwähnung von Lees prämierten Photo, für das nicht einmal das Wort Pulitzer fällt. Die Kunst ist, dass man es auch nicht vermisst. Es sind nur die durch das populäre Kino manifestierten Erwartungen, dass es klärende Dialoge und politische Zuordnungen geben müsste.
Es wird eine über achthundert Meilen lange Reise, auf der Lee und Joel von der Fotografin Jessie und dem alt- aber auch ausgedienten Reporter Sammy begleitet werden. Die abgeklärte Lee hatte sich gegen die Mitreisenden entschieden, aber der unbekümmerte Joel setzte sie einfach ins Auto. Mit Jessie als Zögling und Sammy, dem altersweisen Urgestein, ergibt sich im Auto ein optimaler Querschnitt von journalistischen Qualitäten, worüber Garland den Film offenbar auch machen wollte. Ein Film, der selber wie ein kritischer, aber explizit neutraler Beobachter funktioniert. Dabei wird sehr eindringlich und schmerzlich demonstriert, wie unmöglich Neutralität werden kann.
Es herrscht Bürgerkrieg in Amerika. Wie es begann, verschweigt der Film, genauso wie es danach ausgehen wird. Es wird nie erklärt welche Seite welche gesellschaftlichen oder politischen Ansichten vertritt. In einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten tatsächlich gespalten sind wie nie zuvor, schreit ein Film wie dieser förmlich nach einem aktuellen Kommentar der Vernunft. Da ist es außerordentlich mutig und diszipliniert, sich dem Offensichtlichen zu verweigern, dafür aber das Publikum herauszufordern. Während einer Schießerei fragt Lee einen Scharfschützen, ob er zu den Western Forces gehöre – „Wenn interessierts. Jemand schießt auf mich, da schieße ich zurück.“
Als Szene wirkt das geradezu banal, aber in der Realität ist es eben so trivial, wenn Werte durch Ideologien ersetzt werden, und dadurch irgendwann der Bezug zur Vernunft verloren geht. Einer der verwirrendsten Momente ergibt sich, wenn die vier Journalisten in eine vom Krieg vollkommen unbelastete Stadt kommen. Wir halten uns da raus, heißt es tatsächlich achselzuckend. Die vermeintlichen Helden der Geschichte können kaum damit umgehen, wenn es nicht angemessen kommentiert oder fotografiert werden kann. Schließlich ist der Krieg ihr Lebensinhalt. Und dieser Krieg ist auch anders, er ist viel persönlicher. Denn das Publikum hat eine Bezug zu diesem Land.
Man kennt Bilder und Berichte aus dem Sudan, aus Syrien oder Myanmar. Schreckliche Szenen, die aber kaum noch berühren, weil sie weit weg sind. Amerika ist nah, gesellschaftlich, politisch, ideologisch. Trotz der mitreißenden Darsteller, geht es in CIVIL WAR aber weniger um die Figur, als über die Institution Presse und Journalismus. Absurderweise dämonisiert, weil persönliche Meinung mehr zählt als eindeutige Fakten, bleibt die Institution als vierte Gewalt wichtiger denn je. Die ehrgeizigen Wettkämpfe um ‚die‘ Geschichte, oder ‚das‘ Bild treibt die Vier auf ihrem Weg nach Washington an. Da geht es um die faktische Auseinandersetzung, aber nicht um richtig oder falsch.
Garland zelebriert keine Verherrlichung des Berufsstandes, weder Lee noch der gutmütige Sammy sind Heilige, bewahren aber ihre Integrität. Nicht nur das Ensemble der Schauspieler ist herausragend, sondern ihre Figuren insbesondere. Jeder von ihnen durchläuft eine merkliche Entwicklung, die man als Beobachter regelrecht mitfühlt. Ausnahmsweise darf man da mit Cailee Spaeny jemanden aus der Gruppe herausheben. Ein unbefangen motiviertes Mädchen, dass dann bei ihrem ersten Einsatz als Fotografin doch noch die Nerven verliert. In einem der emotional aufwühlendsten Momente, erlebt man zum Schluss auch, wie Jessie das Ende ihrer Lernphase erreicht hat.
30 Bilder muss man machen, bis ein wirklich gutes dabei ist, klärt die verbissene Lee auf. Nur langsam öffnet sie sich, und erkennt in der noch unbedarften Jessie wohl ihr junges Selbst. Sie reden über ihre Motivation für die Profession, aber über die Hintergründe der Charaktere lässt uns Garland nichts erfahren. Auch sie leben nur im Moment, so wie es für den Krieg nur das hier und jetzt gibt. Immer wieder unterbricht Garland Szenen, und friert den Augenblick als kurzes schwarzweiß Foto ein, wenn Jessie oder Lee den Auslöser drücken. Die ohnehin ungewöhnlich intensive Action, wird für diesen einen Moment potenziert, der als Standbild den einprägsamsten Eindruck hinterlässt.
Es widerstrebt allerdings, dass Wort Action im herkömmlichen Sinne zu verwenden. Die Intensität von Handlung und Inszenierung entzieht CIVIL WAR die eigentliche Genre-Definition. Was das einmalige Sound-Design unterstreicht, welches die üblichen Genre-Grenzen im wahrsten Sinne des Wortes sprengt. Was Sound-Designer Glenn Fremantle (mit Unterstützung seiner Söhne Danny und Nick) auf die Lautsprecher loslässt, oder ihnen auch verweigert, ist nichts für schwache Nerven. Immer wieder gibt es unvermittelt Beschuss und Explosionen, was die Lautsprecher an ihre Grenzen bringt. Es wurde hörbar extreme Mühe darauf verwendet, dass nichts nach bloßen Effekten klingt.
Aber zu keinem Zeitpunkt darf man ein Spektakel erwarten, welches mit Schauwerten zu unterhalten versucht. CIVIL WAR unterhält nicht, sondern macht Angst. Eine Sequenz spielt über lange Zeit in absoluter Stille. Es ist eine Szene, die man aus den Nachrichten kennt, und jetzt ist sie hier und ist so real. Es passiert tatsächlich vor der Haustüre eines Landes, dass uns gerade durch dasselbe Medium so nahe gebracht wurde. Gegen jede inszenatorische Vernunft gibt es in den Kriegsszenen auch keine unterstützende Musik. Aber CIVIL WAR hat weniger solche Szenen als man glaubt wahrzunehmen. Es sind die Szenen in der Ungewissheit, die wesentlich unbequemer werden.
Alex Garland hat einen essenziellen Film gemacht, der aber nicht durch ein hervorgehobenes Element bestimmt wird. Es ist die Gesamtheit all dieser Elemente, die bewegen und erschrecken, aber auch sehr diverse Reaktionen auslösen. Kein kreativer oder technischer Bereich zeigt irgendwelche Schwächen. Mitreißende Darsteller, eine ansprechende Geschichte, atemberaubenden Ton, exzellente visuelle Effekte, zusammengehalten von einer makellosen Inszenierung. Dennoch ist CIVIL WAR kein Film der allgemeingültig anspricht. Am Ende wird Jessie gleich zwei Karriere definierende Fotos machen. Beide Motive werden unterschiedliche Kontroversen anstoßen. Und genau hier liegt auch die Intention des Filmemachers. Wir müssen uns zusammensetzen, wirklich reden, und auch wieder akzeptieren lernen. CIVIL WAR hat alles was man sich wünscht, aber nichts was man erwartet.
Darsteller: Kirsten Dunst, Cailee Spaeny, Nick Offerman, Wagner Moura, Jefferson White, Stephen McKinley Henderson, Nelson Lee, Jesse Plemons u.a.
Regie & Drehbuch: Alex Garland
Kamera: Rob Hardy
Bildschnitt: Jake Roberts
Musik: Geoff Barrow, Ben Salisbury
Sound: Glenn Freemantle
Produktionsdesign: Caty Maxey
USA, Großbritannien / 2023
109 Minuten