COUP DE CHANCE
– Bundesstart 11.04.2024
– Release 27.09.2023 (FR)
Nach Jahren laufen sich die alten Schulfreunde Fanny und Alain zufällig wieder in Paris über den Weg. Alain versucht sich als Schriftsteller, und lebt eigentlich in London. Fanny verwirklicht sich in einer Galerie, wo sie sich für Versteigerungen verantwortlich zeichnet. Und Fanny ist, wie man unschön sagt, Trophy Wife von Jean, ein Selfmade-Unternehmer mit unverschämt viel Geld. Fanny und Alain treffen sich einige Male, um die alte Zeit Revue passieren zu lassen. Wobei Alain auch keine Gelegenheit auslässt, Fanny seine Liebe damals wie heute zu gestehen. Nach 50 Filmen ist auch dies für Woody Allen kein fremdes Terrain, der Beziehungen bereits in allen Auswüchsen und Genres beleuchtet hat. Dennoch ist COUP DE CHANCE in vielen Bereichen anders.
Zum einen musste Allen seinen ‚ein-Film-pro-Jahr‘-Zyklus Pandemie bedingt unterbrechen. Dann hat der Autorenfilmer auf Instagram COUP DE CHANCE als seinen ‚wahrscheinlich‘ letzten Film benannt. Und schließlich ist es der erste Film von Woody Allen der für das Programm der Filmfestspiele in Cannes abgelehnt wurde. Die Kontroverse um seine Person würde das Festival negativ überschatten, hieß es. Eine Kontroverse, die Fachblätter auch als Erklärung für das sinkende Interesse an Allens Filmen werten. Diese Erklärung ist griffig und nährt den Skandal. Zutreffender für die rezessive Aufmerksamkeit wäre allerdings der Gebrauch der immer gleichen Bausteine, mit welchen Woody Allen seine Filme in den letzten Jahren so absehbar gemacht hat.
Worauf der Filmemacher allerdings mit seinem jüngsten Werk hinaus will, ist keineswegs absehbar. Er funktioniert als romantische Komödie, aber genauso gut als Thriller. Denn der narzisstische Jean kommt hinter die Affäre seiner Frau Fanny, und gibt die Beseitigung von Alain in Auftrag. Es gibt allerdings auch Ausflüge in die Satire, wenn Protagonisten eigenhändig Detektiv spielen wollen, um einen professionellen Detektiv auszuspionieren. Bis hin zur Farce, wenn der Film seiner gerissenen Auflösung entgegensteuert. Was so einfach und beschwingt seinen Anfang nimmt, schlägt im Verlauf immer wieder wilde Haken. Was in den jeweiligen Szenen eigentlich eindeutig sein sollte, inszeniert Allen ständig gegen die zu erwartende Stimmung.
Am auffälligsten wirken Allens inszenatorische Widersprüche mit dem Einsatz von Nat Adderleys Jazz-Variation des Herbie Hancock-Klassikers ‚Cantaloupe Island‘. Auch wenn ziemlich konkret finstere Momente anstehen, implementiert die Musik eine gegenteilige Erwartung. Die Absicht ernsthaft einen Mord zu begehen, und das mit ‚Cantaloupe Island‘ zu unterlegen, könnte einen ironischen Charakter haben. Doch das Stück findet in vielen beliebigen Szenen Verwendung, und wird als Leitthema einfach nervtötend überbeansprucht. Im Gegensatz zu Vittorio Storaros eleganter Kameraführung. Der konsequente Einsatz von Weitwinkeloptik wirkt zuerst etwas befremdlich. Doch Storaro nutzt diese gestalterische Entscheidung für eine visuelle Erzählebene.
Die Kamera öffnet immer den Raum. Bei Storaro stehen die Protagonisten nicht einfach im Fokus des Bildes, er gibt stets auch den Blick auf die Hintergründe frei, auf das was nebenher passiert. Für die Zuschauenden wird das gesamte Umfeld zum Mitspieler für die Figuren. Wenn sich die frisch Verliebten treffen, verzichtet das Bild auf Close-ups, und involviert stattdessen das Idyll des ausladenden Parks. Durch den offenen Raum können auch zwei Dinge gleichzeitig geschehen, wenn zum Beispiel Fannys Mutter ihren suspekten Schwiegersohn belauscht. Selbst bei den romantischen Aspekten, gewinnt jede Sequenz eine eigene, angenehme Spannung. Und Alis Lepselters homogen fließende Montage reduziert sich auf eine ungewöhnlich niedrige Schnittfrequenz.
Was aber COUP DE CHANCE tatsächlich am auffälligsten von bisherigen Woody Allen-Filmen abhebt, abgesehen vom Verzicht auf Mainstream-orientierte Namen, sind die unverspielten, pragmatischen Dialoge. Jeder Satz reduziert sich auf das Notwendigste. Allen gibt seinen Darstellern immer nur auf den Kern der Aussage bezogene Worte. Besonders Lou de Laâge und Niels Schneider, als Fanny und Alain, meistern das in ihren romantischen Szenen immer noch erstaunlich glaubwürdig. Auch wenn es schon nach wenigen Filmminuten offenkundig wird, dass irgendwie und irgendwas zu fehlen scheint. Schließlich sind chaotisch ausschweifende und Maschinengewehr-ähnliche Dialoge ein Markenzeichen von Woody Allen. Wenn es tatsächlich vorbehaltlos möglich ist, könnten das alles sehr gute Gründe sein, COUP DE CHANCE eine Chance zu geben.
Darsteller: Lou de Laâge, Niels Schneider, Melvil Poupaud, Valérie Lemercier, Sara Martins u.a.
Regie & Drehbuch: Woody Allen
Kamera: Vittorio Storaro
Bildschnitt: Alis Lepselter
Musik: u.a Nat Adderley
Produktionsdesign: Véronique Melery
Großbritannien, Frankreich, USA / 2023
93 Minuten