– Bundesstart 14.03.2024
– Release 25.01.2024 (US)
Mit MILLER’S GIRL hat Jade Halley Bartlett ein außergewöhnlich ambitioniertes Debüt geschaffen. Zum ersten Mal Produzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Mit einer exquisiten Besetzung, die dem wirklich nicht neuem Thema tatsächlich neue Aspekte, oder aufregende Charakter-Varianten abringen könnte. Und in der ersten Hälfte wird Bartlett ihren eigenen Ansprüchen teilweise auch gerecht, eben Dank dieser fabelhaften Protagonisten. Einst hatte sich Literaturprofessor Jonathan Miller als Romanautor versucht, jetzt unterrichtet er kreatives Schreiben an einer High School in Tennessee. Seine beste Schülerin ist die 18-jährige Cairo. Ein einsames, meist trauriges Mädchen, dass alleine in einem feudalen Herrenhaus wohnt, weil ihre Eltern geschäftlich durch die Welt reisen. Cairos einzige Freundin ist Winnie, die aus Blödsinn den Sportlehrer verführen will. Durch Cairos Leistungen ist die Beziehung zwischen ihr und Miller als Lehrer hervorragend, was die melancholische Schülerin auf den perfiden Gedanken bringt, dem Vorhaben von Winnie nachzueifern.
Das gern genutzte Prädikat des Erotik-Thrillers, sollte hier nicht ernst genommen werden. Die einzige Anmutung von Sex ergibt sich aus Cairos Hausaufgabe. Die an Henry Miller angelehnte Arbeit soll in ihren pornografischen Ausschmückungen den Lehrer zu einem intimen Eingeständnis provozieren. Aber bis es soweit kommt, hat die Filmautorin Bartlett viel Mühe investiert, Vergleiche zum VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE-Szenario weitgehend zu eliminieren. Das schafft die Autorin mit geschliffenen Dialogen, die bewusst an die Hochliteratur eines anderen Jahrhunderts erinnern. Bartlett verdichtet damit den Film soweit, dass Sprache und Narrativ eine geschlossene Einheit bilden.
Und die Regisseurin lässt sich viel Zeit. Zu Anfang ist das angenehm, es gibt den Darstellern mit ihren Figuren wirklich angemessenen Raum. Jeder für sich, und vor allem das Beziehungsgeflecht untereinander, baut eine stimmige Atmosphäre auf. Da ist noch Jonathans bester Freund und Kollege Boris, der Sportlehrer auf den es Winnie abgesehen hat. Winnie ist eigentlich lesbisch und würde gerne mit ihrer besten Freundin Cairo etwas anfangen, so wird eben Boris zu einem Projekt aus Selbstüberschätzung und jugendlicher Dummheit. Und da ist Jonathans selbstbewusste Frau Beatrice, die in einem Zustand von permanentem Alkoholeinfluss, eine ebenso permanente Spannung einbringt.
Dagmara Dominczyk spielt Beatrice als Frau die erst mit Alkohol funktioniert, und das mit einer vibrierenden Intensität an Souveränität und Verachtung. Wie eine offenbarende Interpretation von Tennessee Williams Maggie aus KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH, steht sie in ihren Szenen immer wieder über dem Film. Das ist unglaublich spannend zu beobachten, in der Auflösung sogar atemberaubend, aber der Geschichte selbst tut es überhaupt nicht gut. Beatrice‘ Trunksucht ist Anfangs nicht eklatant, aber paradoxerweise gewinnt sie dadurch im Verlauf an erotischer Attraktivität. Das müsste eigentlich Jonathans Interesse an Cairos Bemühungen umgehend in Luft auflösen.
Wenn die Nebenfiguren interessanter werden, als die Hauptprotagonisten, bekommt der Film ein Problem. Dabei ist MILLER’S GIRL ohnehin schon durch den Nachdruck von Bartletts offensiven Gebrauch von versierter Literatursprache angeschlagen. Man gönnt den Darstellern, und vor allem den sensiblen und verwundbaren Figuren, diese Zeit der Annäherung und Entwicklung. Doch Jade Halley Bartlett ruht sich einfach viel zu lange auf der Sprachform und dem Erzähltempo aus. Weil die Prämisse nur allzu offensichtlich ist, setzt in der zweiten Hälfte eine unverzeihliche Monotonie ein. Die abrupte Wendung zu Beginn des dritten Aktes kann das Dilemma allerdings auch nicht lösen.
Der dritte Akte hätte für ein Psychodrama wie MILLER’S GIRL eine originelle Eigenart entwickeln können. Doch der Film fällt umgehend wieder zurück in das gewohnte, damit absehbare Fahrwasser altbekannter Schuld-und-Sühne-Thriller. Gerade wegen seines intellektuellen, aber auffallend mühsam konstruierten Anstrichs, hat der Film seine anfängliche Faszination unwiederbringlich verloren. Da kann auch Daniel Brothers‘ fantastische Photographie nicht darüber hinweg helfen, der sich immerhin für die gotisch anmutende Atmosphäre verantwortlich fühlen darf. Sorgsam kadrierte Einstellungen, stets symmetrisch ausgestaltete Motive, mit einer unbestreitbaren Sogwirkung.
Nur in Momenten mit negativen Impulsen fallen die stimmungsvollen Bilder aus dem optischen Gleichgewicht, was auch den visuellen Reiz steigert. Brother’s faszinierende, bildliche Erzählebene wertet die einzelnen Sequenzen ganz raffiniert auf, hilft diesen Szene aber nicht in den inszenatorischen Schwächen von fehlendem Spannungsaufbau und verpasster Individualität. Jade Halley Bartletts MILLER’S GIRL ist ein Werk der gut gemeinten Absichten, in denen hervorragende Ansätze zu erkennen sind. Aber diese Ansätze sind entweder überreizt oder finden nicht zusammen. Sehr bedauerlich für das starke Ensemble mit seinen ausgezeichneten, leider verschenkten Leistungen.
Darsteller: Martin Freeman, Jenna Ortega, Dagmara Dominczyk, Bashir Salahuddin, Gideon Adlon u.a
Regie & Drehbuch: Jade Halley Bartlett
Kamera: Daniel Brothers
Bildschnitt: Vanara Taing
Musik: Elyssa Smasel
Produktionsdesign: Cheyenne Ford
USA / 2024
93 Minuten