– Bundesstart 21.12.2023
– Release 21.12.2023 (G)
Der älteste Sohn Jack stirbt bereits mit sechs Jahren, und legt das Fundament für den ‚Fluch der Von Erichs‘, der die übrigen fünf Brüder verfolgen wird. Im Film spielen nur noch vier Brüder, was offensichtlich einer verträglichen Laufzeit geschuldet ist. In Zeiten von ausufernden Biografien und Historiendramen, hält sich Sean Durkin bei seiner Rekonstruktion der Geschichte der Wrestling-Familie Von Erich erstaunlich und erfreulich kurz. Auch wenn gerade diese Familie eigentlich so viel mehr erzählen könnte. Vater Jack Von Erich hieß eigentlich Adkinsson, aber der Ringname des fiesen Nazis aus seiner Wrestling-Karriere wurde bis heute in der Familie weitergegeben. Es ist Jack, der das Leben seiner Söhne mit Härte und Gefühlskälte definierte. Sie alle folgen ihrem Vater im Wrestling nach, und müssen die Härtesten und die Stärksten sein, damit ihnen keiner etwas anhaben kann. Diese Vaterfigur spielt Holt McCallany, als wäre sie für ihn erfunden worden. Er ist fesselnd und abstoßend zugleich, eine grandiose Paraderolle.
Doch die führende Figur ist Zac Efron als Kevin, der mit einem Pro- und einem Epilog die Geschichte einrahmt. Schon in der Rolle des Ted Bundy 2019 hat sich Efron endgültig vom Stereotyp des High School Sweethearts gelöst. Als Kevin erreicht er tatsächlich nochmal eine neue Stufe an erhöhten Qualitäten. Und physisch hat er ebenfalls nochmals, fast schon erschreckend zugelegt. Das gleiche gilt für Jeremy Allen White, der mit einem aufgepumpten Körper aufwartet, bei dem einer schon an Computer-Trickserei glauben könnte. Doch weit überzeugender ist bei dem THE BEAR Darsteller allerdings das zurückgenommene, aber durch seine feinen Nuancen faszinierende Spiel.
Doch Filmemacher Sean Durkin will gar keine seiner Figuren in den Vordergrund gestellt wissen. Der Macher von MARTHA MARCY MAY MARLENE und THE NEST weiß worauf es ankommt, dass THE IRON CLAW eine Familiengeschichte ist. Somit ist auch jeder einzelne der Familie, manchmal auf erschreckende, manchmal auf tragische Weise, für die Geschichte von Bedeutung. Vater Jack, der seinen Söhnen erklärt, welchen er am liebsten hat, was dieser vom jeweiligen Wrestling-Erfolg abhängig macht. Die lethargische Mutter Doris, die ihre Söhne dazu zwingt, sich bei Problemen untereinander selbst zu helfen. Sowie Kevin, Kerry, Dave und Mike, die ihrem Vater hoffnungslos ergeben sind.
Das Drama entfaltet Durkin mit sehr intensiven Momenten in jeder Szene, welche die Hörigkeit, aber auch den Glauben der Jungs an den ihren Vater demonstrieren. Ohne Wort, mit Gesten und Blicken, mit inszenatorischen Pausen, demonstriert der Regisseur die Welt der Von Erichs. Wobei immer wieder klar wird, dass die vermeintliche Hingabe zum Wrestling eine anerzogene, gleichwohl auferzwungene Pflicht ist. Dadurch das Efrons Kevin die erzählende Rolle übernimmt, aber nicht der vorgeschobene Held der Geschichte wird, bricht das leicht mit der Erwartungshaltung, macht aber den Film auch zugänglicher. Er wird zur stellvertretenden Identifikationsfigur des Publikums.
Die Kamera wurde von Mátyás Erdély übernommen, der mit Durkin schon bei THE NEST zusammengearbeitet hat. Wie bei THE NEST setzt Erdély auch bei IRON CLAW auf eine klassische Bildgestaltung, die klare Einstellungen und naturalistische Ausleuchtung präferiert. Den raffiniert genialen Feinschliff besorgt Matthew Hannams Montage, die in kurzen Zwischenschnitten immer wieder die eigentliche Essenz des Szeneninhaltes aufdeckt. Die Hilflosigkeit und erschöpfende Lähmung von Mutter Doris. Oder wenn die Jungs im Gedanken Vaters ignorante Verbissenheit in Frage stellen. Sehr oft unterscheidet sich das Gesehene gravierend von dem, was die Protagonisten vorgeben zu sagen.
Das familiäre Drama stellt Sean Durkin inszenatorisch sehr clever den für das Drama verantwortlichen Sport gegenüber. Auch wenn Wrestling der Initiator für die Geschichte ist, verweigert sich der Regisseur einem Sportfilm. Die Wrestling-Sequenzen sind erstaunlich kurz gehalten, in ihren Abrissen aber sehr intensiv. Die Wesensart des Sports wird sehr deutlich, die Wettkämpfe als solche bleiben allerdings auf Dialoge beschränkte Nebensache. In halbtotalen Bildern wird den physischen Leistungen der Darsteller mit gut gewählten Kampftechniken durchaus Respekt gezollt, aber die Energie des körperlichen Einsatzes macht erst der intensive Schnitt mit sehr nahen Einstellungen deutlich.
Der Film zeigt aber auch sehr explizit die Künstlichkeit hinter dem brutalem Spektakel. Wobei Vater Jacks Ring-Markenzeichen der ‚eisernen Kralle‘ zum dramaturgischen Gimmick für die Inszenierung wird. Der theatralisch zupackende Griff an die Stirn des Ring-Gegners, der mit unerträglichen Schmerzen lähmen soll, ist auch der emotionale Griff, mit dem Jack seine Söhne restriktiv an sein egoistisches Streben krallt. Brillant von McCallany verinnerlicht, wird Jack Von Erich zum unbewussten Antagonisten. Nicht selten möchte man im Saal laut aufschreien, oder physisch eingreifen. Am Ende beruhen dann die ungesunden Verbindungen tatsächlich auf gegenseitige Abhängigkeiten. Die wahre Stärke hinter den Darstellern, ist das fortwährende, authentische Gefühl einer wahren Familie, und deren unerschütterliche Verbundenheit zueinander.
Sean Durkin weiß worauf es bei der Familiengeschichte der Von Erichs ankommt, und er erzählt es gleichermaßen mit subtiler Finesse und offener Rigorosität, aber immer mit fast schon schmerzhafter Wucht. Im realen Leben sind fünf der sechs Söhne ums Leben gekommen. Die Tragödie der Familie hat in Wirklichkeit also tatsächlich viel mehr zu bieten. Mit der starken Inszenierung von Sean Durkin wird THE IRON CLAW zu einer der extrem seltenen Biografien, der man durchaus auch länger zuschauen könnte, aber hier das perfekte Maß an mitreißendem Drama gefunden hat. Aber das verdankt der Regisseur auch, und mit ihm das Publikum, dem außergewöhnlich passenden Ensemble. Und dem überwältigenden Zeitkollorit – welches unterstützt von einer stimmigen Musikauswahl zeitgenössischer Rock- und Popsongs wieder einmal vor Augen führt, dass die 70er und 80er keine gute Zeit für Mode und Frisuren waren.
Darsteller: Zac Efron, Jeremy Allen White, Harris Dickinson, Stanley Simons, Holt McCallany, Maura Tierney, Lily James u.a.
Regie & Drehbuch: Sean Durkin
Kamera: Mátyás Erdély
Bildschnitt: Matthew Hannam
Musik: Richard Reed Parry
Produktionsdesign: James Price
Großbritannien, USA / 2023
130 Minuten