– Bundesstart 23.11.2023
– Release 29.09.2023 (GB)
Ken Loach ist unbestrittener Meister der großen britischen Geschichten. Die sich allerdings in einem Mikrokosmos generieren. Vier Jahre ist es schon wieder seit dem ergreifend realistischen Vater-Tochter-Drama SORRY WE MISSED YOU, aus dem schwierigen Arbeiter-Milieu der Unterschicht. In THE OLD OAK scheint nicht einmal jemand mehr Arbeit zu haben. Schwarzweiß Fotografien sind mit lauten Stimmen unterlegt. Man will sie nicht haben. Sie sollen zurück, wo sie hergekommen sind. Es wird sich um Fremde gekümmert, während den Einheimischen immer weniger bleibt. Es könnte überall sein, hier ist es in eine kleine Minenstadt im Nordosten Englands. Syrische Flüchtlinge werden in einem sozial schwaches Städtchen untergebracht, Vorurteile heizen die Stimmung auf. Wieder einmal sind die Wenigen die Lautesten. Die Mehrheit schweigt und kehrt vor der eigenen Tür. So wie TJ Ballantyne, Wirt der heruntergekommenen Kneipe The Old Oaks.
Ken Loach tut, was er am besten kann, er bringt die Geschichte auf Augenhöhe seines Publikums. Aber das tut er auch mit raffinierten Kunstgriffen. Die schwarzweiß Fotos vom Anfang mit den rassistischen Zwischenrufen erwecken zuerst den Eindruck einer Dokumentation, später werden gerade solche Bilder zu einer interkulturellen Brücke, weil das Medium der Fotografie stark mit der Historie der Minenstadt verwurzelt ist. Yara macht diese Fotos, die mit ihrer Familie hierherkommen musste. Der Vater ist in den syrischen Kriegswirren verschollen. In TJ wird Yara so etwas wie einen Freund finden.
Es sind echte Menschen, mit wirklichen Problemen und unterschiedlichen Mentalitäten. Wie immer diese Mentalität beschaffen sein mag – Trotz, Hass, Resignation, Angst, Verständnis, oder humanistischer Übereifer. TJ Ballantyne steht als Besitzer der letzten Kneipe Vorort zwischen den Fronten. Später werden wir erfahren, was sein Leben aus der Bahn geworfen hat, aber vorerst muss er an die letzten Überreste eines ehemals florierenden Geschäfts denken, was The Old Oak einst gewesen war. Aber mit der behutsamen Beziehung zu Yara, wird es für TJ immer schwieriger neutral zu bleiben.
Es gibt keine Helden in THE OLD OAK. Vielleicht Verlierer, aber zumindest haben sie sich als Gemeinschaft. Zu dieser Gemeinschaft gehören selbst die ewig gestrigen Miesmacher des Stammtisches, auch wenn sie die Rolle derer einnehmen, denen man bei jedem Satz kräftig ins Gesicht schlagen möchte. Es gibt nicht dieses filmtechnisch dramaturgisch vereinfachte Böse. Auch nicht diese Rüpel mit ihren Bulldogs und Pitbulls, die TJs zurückhaltendes Wesen herausfordern. Erwartungen des Publikums werden manchmal einfach nicht erfüllt, weil Ken Loach dem wahren Leben so nah wie möglich kommt.
Loachs bevorzugter Kameramann Robbie Ryan gestaltet für OLD OAK gewohnt naturalistische Bilder, die ohne erkennbar gesetztes Licht eine realistische Atmosphäre erzeugen. Die meisten Szenen inszeniert der Regisseur auch in einer überzeugend dokumentarischen Weise. Die Kamera ist nie Erzähler, sondern nur Beobachter. Das macht THE OLD OAK auch sehr oft, sehr unberechenbar. Und das generiert eine stetige Spannung. Nicht diese dem Thriller-Kino entliehene Spannung, sondern diese dem Leben entsprungene Unwissenheit, dass eigentlich alles möglich sein oder passieren kann.
Tragendes Herzstück ist allerdings Dave Turner als TJ, da kann Ken Loach noch so realistisch und einnehmend inszenieren. Turner trägt THE OLD OAK mit einer beeindruckenden Zurückhaltung, die ihn dadurch noch näher an die Zuschauenden bringt. Man spürt mit Turner förmlich das bewegte Leben dieses TJ Ballantyne, der einfach nur seine Ruhe haben möchte. Zweifelsfrei ist das gesamte Ensemble nicht einfach nur gut, sondern schlichtweg glaubwürdig besetzt. Aber es ist Dave Turner der auch die Hoffnung auf die Leinwand bringt, die diese Geschichte ständig begleitet. In Wirklichkeit ist es doch keine Geschichte von Verlierern oder Resignation, sondern über Möglichkeiten, Chancen und sehr viel Hoffnung aus den fast vergessenen Traditionen.
Darsteller: Dave Turner, Ebla Mari, Claire Rodgerson, Trevor Fox, Chris McGlade, Col Tait u.a.
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Kamera: Robbie Ryan
Bildschnitt: Jonathan Morris
Musik: George Fenton
Produktionsdesign: Fergus Clegg
Großbritannien, Frankreich, Belgien / 2023
113 Minuten