– Release DISNEY+ 22.09.2023
Angststörungen machen die junge Brynn zur Einsiedlerin. Allein in ihrem abgelegenen Anwesen näht sie Blümchenkleider und baut eine Stadt aus individuellen Vogelhäusern. Regisseur Brian Duffield, der auch Netflix‘ starke Endzeitromanze LOVE AND MONSTERS geschrieben hat, zeigt ein mitreißendes Gespür für Inszenierung und auch Schauspielführung wie er Brynn vorstellt und ihren Alltag beschreibt. Das Idyll in ihrer in sich geschlossenen Welt, und die Panik bei einem notwendigen Ausflug in die Stadt. Es ist eine Tour de Force für und von der 27-jährigen Kaitlyn Dever, die hier alle für Menschen mögliche Emotionen ausspielt. Sie braucht dafür keine verbalen Äußerungen, und niemanden, der ihre Situation erklärt. Mit Duffield und Dever haben sich zwei gefunden, die sich in ihrer Profession perfekt ergänzen. Denn der Filmautor hat für seine Protagonistin noch einiges vorbereitet, wenn Brynn eines Nachts von einem Einbrecher im Haus geweckt wird. Und der ist nicht von dieser Welt.
Der grundlegende Plot von NO ONE WILL SAVE YOU dürfte kein Geheimnis sein. Aber viel mehr über den Inhalt zu schreiben bleibt eine Gratwanderung. Die herausragenden Vorzüge von Duffields Film sind die verschiedenen Herangehensweisen an eine schon oft gesehene Geschichte. Und das geht mit ständigen Überraschungen einher, wie der Filmemacher die altgedienten Genreschemata nutzt. Manchmal unverhüllt direkt, und dann wieder aufregend verspielt, mit ganz eigenen Interpretationen. Wer ohnehin vorhatte NO ONE SWILL SAVE YOU zu sehen, sollte an dieser Stelle pausieren.
Wer im Überangebot von Streaming-Diensten und unübersichtlichen Inhalten zu sorgsamerer Auswahl übergegangen ist, wird mit NO ONE WILL SAVE YOU einen denkwürdigen Filmabend erleben. Was der Film aber in den ersten dreißig Minuten an nervenzehrender Achterbahnfahrt zu bieten hat, kann Brian Duffield leider nicht über die ganze Laufzeit halten. Aber fürs Erste wird Brynn von einem Außerirdischen heimgesucht, dem sie in ihrem weitläufigen Haus zu entkommen versucht. Dafür, und bis zum Schluss, hat sich Kameramann Aaron Morton fesselnde Bildkompositionen ausgedacht.
Der Außerirdische ist nur als Schatten, oder in der Unschärfe zu sehen, durch milchiges Glas, oder nur Körperteile wie Zehen und Finger. Später wird Brynn feststellen, dass sie aus der Stadt keine Hilfe zu erwarten hat. Aber gleichzeitig ist auch Stück für Stück mehr aus ihrem Leben und ihrem Schicksal zu erfahren. Das im Film kein wirklich verständliches Wort gesprochen wird, nicht einmal ein Fluchen der Heldin, fällt erst sehr spät auf. Ein wunderbares Indiz, wie clever der Regisseur seine Geschichte erzählt. Denn er erzählt unaufdringlich, fast nebenher, Details die nach und nach ein Bild geben.
Aber vordergründig geht es um Brynns gnadenlose Hetzjagd gegen Außerirdische, einer drohenden Invasion und gegen ihre eigenen Neurosen. Mit nur wenigen, und dann auch nur kurzen Verschnaufpausen, kämpft sich die junge Frau durch alle möglichen Schwierigkeiten, die mit solchen Szenarien verbunden werden. Einschließlich eines Parasiten oder den Traktorstrahlen eines Raumschiffs. Genauer gesagt, bedient der Film die gesamte Palette von UFO-Mythologien, Invasionsphantasien und extraterrestrischen Fähigkeiten die seit den 1950ern durch filmische Exkursionen bekannt geworden sind.
Anstatt mit dem Versuch von eigenen Kreationen zu scheitern, ist das Design der diversen Außerirdischen exakt den Überlieferungen nachempfunden, die durch angeblichen Begegnungen oder Entführungen schon seit den ersten Tagen bekannt sind. Großer Schädel, handtellergroße Augen, ein kleiner, schmaler Mund und ein sehr feingliedriger Körper. Das Effekte-Team hat die Kreaturen sehr überzeugend animiert und makellos in die Settings integriert. Die Interaktionen von Darstellerin und Computeranimationen sind schlichtweg naturalistisch, weil die Kamera auch immer die richtige Perspektive findet.
Letztendlich steht und fällt der Film mit seiner starken Heldenfigur. Brian Duffield kann das Tempo und die Energie des ersten Aktes nicht halten, weil sich gewisse Abläufe zu wiederholen beginnen. Mit der Zeit hat sich dann auch schon gezeigt, worauf die Geschichte hinauslaufen wird, und nicht unbedingt alles so sein muss, wie es zu sein scheint. Aber auf Kaitlyn Dever ist Verlass, die schweißtreibend und mit unbändiger Energie zur Naturgewalt wird. Brynn ist keine hilflose Neurotikerin, sondern erweist sich als sehr besonnen und wehrhaft, trotz ihrer bleibenden weil nachvollziehbaren Ängste.
Duffield hat keine Kampfmaschine inszeniert, aber seine Brynn weiß immer was zu tun ist, und wie sie es tun muss. Der Regisseur gibt ihr immer sichtbar diesen Bruchteil einer Sekunde, in dem man Dever überlegen und abwägen sieht. Das macht diese Frauenfigur noch viel stärker, die durchaus panisch und angsterfüllt sein darf, aber nie dumm und erst recht nicht hilflos. Kaitlyn Dever macht nicht nur als Figur, sondern in erster Linie mit ihrer Darstellung den größten Reiz des Films aus. Da ist Dever und ein anfänglich cleveres Konzept. Doch darüber darf man nicht dieses überwältigende Sounddesign vergessen.
In der zweiten Hälfte verliert der Film merklich an Tempo und Spannung, wodurch leicht das Interesse verloren gehen kann. Aber dieses exzellente Sounddesign wirkt noch lange nach. Vielleicht, aber nur vielleicht, denkt man noch während des Abspanns darüber nach, was die Außerirdischen wohl gesagt haben mögen. Brian Duffield hatte gut ersichtlich einen viel raffinierteren Film im Kopf, als er ihn letztendlich realisiert hat.
Darsteller: Kaitlyn Dever und Elizabeth Kaluev, Zack Duhame, Evangeline Rose, Dari Lynn Griffin u.a.
Regie & Drehbuch: Brian Duffield
Kamera: Aaron Morton
Bildschnitt: Gabriel Fleming
Musik: Joseph Trabanese
Produktionsdesign: Ramsey Avery
USA / 2023
93 Minuten