PAST LIVES – In einem anderen Leben

Past Lives 2 - Copyright STUDIOCANALPAST LIVES
– Bundesstart 17.08.2023

Es gibt nur noch selten Filme die sich zu reiner Poesie entwickeln. Filme, die sich so explizit auf individuelle Schicksale fokussieren, und dabei so universell werden. In der Geschichte von Hae Sung und Nora, die früher Na Young hieß, kann man sich verlieren, weil sie so ehrlich und wahrhaftig ist. Und sie ist so ruhig und unaufdringlich, um allen im Publikum den Raum zu geben, sich selbst darin wieder zu finden. Vielleicht tun das manche dann auch nicht nicht, doch der bleibende Eindruck wird derselbe sein. Die Beziehung von Nora und Hae Sung ist so einzigartig, weil sie immer im hier und jetzt verwurzelt bleibt. Als Publikum werden wir Teil dieser Beziehung. Wer in Celine Songs Vita liest merkt auch, wie viel der Geschichte aus ihrem eigenen Leben entlehnt ist. PAST LIVES ist ihr Debüt als Filmemacherin. Das sie im filmischen ihre ersten Erfahrungen im Autoren Team der Fantasy-Serie WHEEL OF TIME sammelte, macht ihren Erstling umso erstaunlicher.

Erzählt wird in drei Lebensabschnitten. Na Young und Hae Sung wachsen zusammen in Südkorea auf. Mit zwölf Jahren trennen sich ihre Wege, als Na Youngs Familie nach Kanada immigriert. Die liberalen Eltern überlassen Na Young die freie Namenswahl, und so kennt man sie fortan unter dem Namen Nora. So vergehen zwölf voneinander getrennte Jahre, bis beide über verschlungene Internet-Wege wieder unverhofft Kontakt finden. Hae Sung und Nora haben ihre Plätze gefunden, mit klaren Vorstellungen ihrer jeweiligen Zukunft. Doch selbst über Video Chats scheint ihre Beziehung ungebrochen.

Wo PAST LIVES am beschaulichsten wirkt, definiert der Film seine Figuren. Die Komplexität des Lebens zeigt sich meist dann, wenn am wenigsten geredet wird. Auch wenn jeder der beiden die eigenen Träume verfolgt, fühlen sich noch immer verbunden. Dazu braucht es keine Worte. Celine Song inszeniert die unausgesprochene Zuneigung mit Blicken und Gesten. Und sehr langen Einstellungen, in denen kaum gesprochen, aber so viel gesagt wird. Auffällig ist der Verzicht auf konstruierte Dialoge, der Verzicht auf geschliffene Wortwechsel, der Verzicht auf eine anbiedernde Einvernehmlichkeit.

Past Lives 1 - Copyright STUDIOCANAL

 

Ihre Unterhaltungen sind fast banal, manchmal naiv, immer mit unbeholfener Zurückhaltung, aber im gegenseitigen Verständnis durchaus konkret. Gefühlsmäßig gibt die Regisseurin nichts vor, und lässt immer erst lange wirken, bevor sich gewisse Beweggründe erschließen. Es wird unvermeidlich, dass sich Nora und Hae Sung wieder verlieren. Die Gründe sind nachvollziehbar, selbst im Schatten der starken seelischen Bindung mutet es logisch an. Nur aus Gründen der Rücksicht kann hier nicht näher darauf eingegangen werden. Erneut zwölf Jahre später sehen sich Nora und Hae Sung wieder.

Der letzte Abschnitt schließt sehr raffiniert den Kreis zum Anfang, indem aus der Sicht von Unbekannten über die Beziehungsverhältnisse von zwei Männern und einer Frau gerätselt wird.  Nach vierundzwanzig Jahren trifft sich das Paar von Angesicht zu Angesicht. Der koreanisch sprechende Hae Sung, in der Mitte die bilinguale Nora und ihr amerikanischer Freund Arthur. Es wird eine emotionale Tour de Force in der es kein Gut oder Böse, Richtig oder Falsch, Tragödie oder Happy End geben wird. Diese wahren Figuren und ihre unglaubliche, weil authentische Geschichte nehmen die Zuschauenden zum Partner. 

Song erweist sich als brillante, sehr einfühlsame Erzählerin die durch ihre Aufrichtigkeit nie den Ton ändern muss. Die Figuren haben das Publikum, und Celine Song hat Shabier Kirchner an der Kamera. Noch wesentlich unaufgeregter als Regisseurin ihre Figuren führt, beeinflusst Kirchner unbemerkt die Wahrnehmung. Der Abzweig am Schulweg, die spielenden Kinder an den riesigen Kunstwerken, die erwähnte Dreiergruppe an der Bar. Die Kameraeinstellungen machen einen willkürlichen Eindruck, sind aber erzählende Komponenten. Die Kamera eröffnet eine Ebene, die selbst diese fantastischen Schauspieler nicht zu zeigen vermögen. Das sind nicht nur die überwältigenden Greta Lee und Teo Yoo, sondern auch ein ebenbürtiger, nicht minder bedeutender John  Magaro.

Past Lives - Copyright STUDIOCANAL

 

Darsteller: Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro, Moon Seung-ah, Leem Seung-min u.a.
Regie & Drehbuch: Celine Song
Kamera: Shabier Kirchner
Bildschnitt: Keith Fraase
Musik: Christopher Bear, Daniel Rossen
Produktionsdesign: Grace Yun
Südkorea, USA / 2023
105 Minuten

Bildrechte: StudioCanal
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