KANDAHAR

Kandahar - Copyright LEONINE DISTRIBUTION– Bundesstart 17.08.2023
Besprechung nach
der amerikanischen
Blu-ray Fassung

CIA-Agent Tom Harris ist nach einem Auftrag in Afghanistan aufgeflogen. Jetzt müssen sich er und sein Übersetzer Mohammed, genannt Mo, 400 Kilometer von Herat nach Kandahar durch die Wüste schlagen, um innerhalb von 30 Stunden eine britische Militärmaschine zu erreichen. Verfolgt vom iranischen Militär, weil Harris dort zuvor eine Atomanlage gesprengt hat, und von einem pakistanischen Agenten, der den CIA-Mann sehr teuer an von Harris geschädigte Regierungen verkaufen könnte. Das ist doch der Plot, der sich nach einem perfekten Gerard Butler-Vehikel anhört. Von Regisseur Vic Roman Waugh, der gerne gefällige Geschichten mit hohen Schauwerten inszeniert. Das Marketing wirbt auch mit den Titeln von Waughs GREENLAND und ANGEL HAS FALLEN. Solide Action-Kost, aber nicht unbedingt das Aufregendste was das Genre zu bieten hat. Deswegen sollte sich ein geneigtes Publikum von Plakat und Trailer bitte nicht täuschen lassen.

Drehbuchautor Mitchell LaFortune gibt mit KANDAHAR seinen Einstand im Geschäft. Interessanter ist allerdings seine Vorgeschichte als Offizier des amerikanischen Nachrichtendienstes für Verteidigung, wo er tatsächlich einige Einsätze in Afghanistan absolvierte. In der Geschichte ist nicht nur das tiefer gehende Wissen von LaFortune sehr auffällig, sondern das Buch zeichnet sich besonders durch sein neutrales Verhältnis zu einzelnen Regierungen, Parteien und Gruppierungen aus. Das übernimmt der Regisseur auch ganz ausgezeichnet, und umgeht sehr geschickt mögliche Schwarzweißmalerei.

Der Film ist weniger Action-Film als viel mehr soziopolitischer Abriss über die immerzu schwelenden oder offen ausgetragenen Konflikte in Pakistan, Afghanistan, und einigen Ländern des Mittleren Ostens. Und natürlich die meist verdeckte Einflussnahme der sogenannten westlichen Welt, die lediglich ihre eigenen Interessen zum Ziel haben. Der Regisseur macht dennoch kein Politdrama aus dem, bisweilen sogar sehr beeindruckenden Stoff. KANDAHAR ist nach wie vor ein Gerard Butler-Vehikel, allerdings mit angenehm reduzierten, und glaubwürdig inszenierten Action-Sequenzen.

Die bildliche Umsetzung hat MacGregor übernommen, der sich bei fast all seinen Kameraarbeiten durch beeindruckende Visualisierung auszeichnet. Dominant ist der sandfarbene bis goldene Ton, und eine sehr agile Bildführung. Zur Freude vieler Cineasten verzichtet MacGregor weitgehend auf Schulterkamera. Jeder Handlungsteil trägt seinen eigenen visuellen Stil. Wobei die zweite Hälfte einer längere Nacht-Sequenz, dann doch schlichtweg zu dunkel ist. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass MacGregor den thematischen Charakter mit seiner flirrenden Wüstenatmosphäre widerspiegelt.

Kandahar 2 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

 

Ric Roman Waughs Film hält einen sehr hohen Spannungsfaktor. Das liegt wohl auch an den nachvollziehbar inszenierten Abläufen. Butlers Tom Harris ist kein Superheld, man merkt seine trainierten Fähigkeiten, die ihn aber auch einmal scheitern lassen. Der Regisseur lässt einen immer sehen, wie Harris bei gewissen Situationen überlegt, bevor er reagiert. Selbst wenn er den berühmten Hasen aus dem Hut zaubert, ist die Action so geerdet, dass sie einen realistischen Charakter bekommen. Was aber auch durch Cutter Colby Parker unterstrichen wird, der immer übersichtlich, aber nie langsam schneidet.

Gerard Butler hat schon geraume Zeit das Problem, sich immer auf den gleichen Typ des stoisch besorgten Helden festlegen zu lassen. Das war manchmal seinen Rollen abträglich, ist hier aber angemessen. Tom Harris ist Profi, der immer auf die Situation fixiert bleibt. Für ihn ist es ein Job, und keine Weltanschauung. Ganz am Ende, wenn alle Figuren Politik und Religion erst einmal hinter sich lassen können, offenbart sich deren wahre Ideologie. Diese ist dem ganzen Film über allgegenwärtig, ohne aufzufallen. Es ist aber kein versöhnlicher Abschluss, sondern macht die Aussicht fast schon düster.

Ein Coup in der Besetzung ist Navid Negahban als ‚Mo‘. Sein Ziel war es eigentlich, die Schwester seiner Frau aus dem Land zu holen. Er ist verbittert, weil die Taliban das Leben seines Sohnes genommen haben. Und er ist verzweifelt, weil er eigentlich kein Kämpfer sein will, seiner Heimat hat er wegen der Taliban den Rücken gekehrt. Negahban kann hervorragend die ganze Wut und Hoffnungslosigkeit durch seinen Charakter ausdrücken, welche die Lage in Afghanistan im Allgemeinen beschreibt. Der gebürtige Iraner braucht dazu kaum Wort, versteht es aber sehr eindrucksvoll unglaublich viel auszudrücken.

Auch wenn Negahban der Glücksfall ist, schneiden die anderen Darsteller nicht viel schlechter ab. Ali Fazal als pakistanischer Agent, oder Bahador Faladi als Geheimdienstler des iranischen Militärs. Keiner gibt sich dem Stereotyp des Antagonisten hin, keiner von ihnen ist böse. Sie haben ihre Aufgabe, und sie haben ihre Überzeugung. Die Welt von KANDAHAR ist eine Welt mit Heuchlern, Fanatikern, Opportunisten, wahren Gläubigen und Idealisten. Nur ist es immer schwer zu erkennen, wer zu welchem Lager gehört. Denn tatsächlich gibt es in KANDAHAR kein Gut und Böse. Und das macht den Film unglaublich spannend, und wesentlich intelligenter als das Marketing vermuten lässt.

Kandahar 1 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

 

Darsteller: Gerard Butler, Navid Negahban, Farhad Bagheri, Bahador Foladi, Travis Fimmel, Nina Toussant-White, Mark Arold, Tom Rhys Harries u.a.
Regie: Ric Roman Waugh
Drehbuch: Mitchell LaFortune
Kamera: MacGregor
Bildschnitt: Colby Parker Jr.
Musik: David Bukley
Produktionsdesign: Vincent Reynaud
Saudi-Arabien, USA / 2023
119 Minuten

Bildrechte: LEONINE DISTRIBUTION
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